Das World Economic Forum in New York: Der Heilige vom Waldorf

Davos–New York einfach oder retour? Der Bundesrat arbeitet an der Rückkehr, die AktivistInnen am Verschwinden des Wef.

Nach dem Kongresszentrum Davos also das «Waldorf Astoria» New York. Es ist ein würdiger Gastgeber für das Wef: ein klassischer Art-déco-Wolkenkratzer, das Juwel und Flaggschiff der Hilton-Kette und seit der Eröffnung 1893 eines der berühmtesten Luxushotels der Welt. Allein die Lobby ist unvergesslich. Ein flauschiger Teppich, der einem die Knöchel streichelt. Ein fast unhörbar leiser Mozart aus den Lautsprechern. Sehr viel Platz. Gedämpftes Licht. Überall livriertes, geräuschloses Personal, sehr elegante, geräuschlose Gäste. In der Ferne ein Kindergeburtstag, fünfjährige Mädchen in Weiss, fünfjährige Jungen im Smoking oder Frack. In den hell erleuchteten Vitrinen Brillanten. Die Klimaanlage pumpt kleine Wölkchen aus Parfüm in die Luft. Es riecht nach Geld.

Adieu «Belvedere», adieu «Seehof», adieu Arvenstübchen, adieu ausgekachelter Kongresszentrumsbunker. Adieu Wef in Davos. Adieu Polizeiaufgebot, adieu Pressepolemiken, adieu ihr tausend Konzernchefs. Hallo Opportunismus. Die Bündner Regierung verschärfte die Polizeigesetzgebung, der Bundesrat ernannte die Rückholung des World Economic Forum zu «einem der wichtigsten Legislaturziele 2002», Ruth Metzler regte die Gründung einer zentralen Elitepolizei an – eine Sicherheits- und Aussenpolitik, konzipiert von als Politiker getarnten Kurdirektoren.

Der Wind dreht sich schnell. Noch im Herbst signalisierte der Bundesrat kühl, die Sicherheitslage des Wef könne nicht eingeschätzt werden, und die Bündner Regierung erwog, dem Wef wenigstens einen Teil der zehn Millionen Sicherheitskosten aufzubrummen. Klaus Schwab, der Gründer des Forums, sprach vor der Davoser Bevölkerung von der «tiefen Verbundenheit zu ihrem Ort» und offerierte der Schweizer Presse und Parlamentariern bevorzugte Behandlung. Das Echo war gequält: Professor Schwab war als Person wie als Funktion eindeutig dasselbe: ein arrogantes Gleitmittel.

Nun, nach dem Entscheid für New York, rächte sich Schwab. Dass in Davos 60 Prozent der Bevölkerung das Forum begrüssten und 40 Prozent nicht – «das reicht natürlich nicht. Da kommt kein Gefühl hoch, willkommen zu sein. In einem politischen Abstimmungskampf reichen 51 Prozent, im Atmosphärischen nicht.» Kurz, das Gleitmittel will auch noch geliebt werden: Es verlangt von einem demokratischen Land den 100-Prozent-Kniefall.

Ich kam von 444, Madison Avenue, wo der erste Counter Spy Shop lag – das führende Geschäft für private Mikroelektronik: Wanzen, Nachtsichtgeräte, Wanzendetektoren, Elektroschockgeräte, Richtmikrofone, Sicherheitsschleusen, Kleinkameras und Bombendetektoren. Ich hatte dort mit dem Verkäufer Frank Coasano gesprochen, einem ehemaligen Bodyguard.

Der zweite Shop befand sich in der Lobby des Waldorf, gegenüber einem Shop für seltene Erstausgaben – ab 3000 Dollar aufwärts. Viel Elektronik und ein Endlosvideo über ein fernsteuerbares Mini-U-Boot und ein James-Bond-Auto mit Ölwerfer, Satellitentelefon, Maschinengewehren und einer Minibombe unter dem Fahrersitz, mit der ein möglicher Kidnapper per Fernsteuerung erledigt werden kann.

Der Verkäufer war ein sehr schwarzer Expolizist namens Bob Rogers. Seine Begrüssung überwältigend freundlich. Als er herausfand, dass ich von der Presse war, legte er seine Freundlichkeit ab wie einen falschen Bart. Er rief Mr. Coasano an: «Did you check out this individual? Did you check him out? Wer ist das? Shit, Frank! Der Kerl hier ist von der Presse! Did you check him out?» Er legte den Hörer nieder und starrte mich an wie ein Insekt. «Okay», sagte er, «du hast eine Frage – eine einzige.»
«Warum gibt es einen zweiten Counter Spy Shop im ‘Waldorf Astoria’?»

«Hör zu», sagte er, «ich sags dir ganz langsam, damit du es verstehst. Wir haben hier die reichsten Männer der Welt, die Männer, die ganze Länder regieren, die Männer, die die mächtigsten Konzerne führen, wir haben berühmte Schauspieler, die grössten Stars aus Sport und Unterhaltung, die schönsten, reichsten, bestangezogenen und mächtigsten Leute der Welt, Prinzessinnen und Prinzen, Könige und Botschafter, Leute, die die Welt regieren – und sie alle steigen im ‘Waldorf Astoria’ ab, und dann kommen sie zu uns, in den Counter Spy Shop, um sich das kostbarste Gut von allen zu kaufen: Protection – Sicherheit.»

Mit dem Wef reist die Paranoia über den Atlantik. Fünf Blocks in Manhattan mutieren zu Sperrgebiet, 4000 Polizisten sind aufgeboten, dazu FBI, Secret Service, Bioterrorspezialisten und Fachleute aus Melbourne, Philadelphia, Seattle. Dazu die lokale Presse: Die «Village Voice» schreibt ähnlich martialisch begeistert über den Schutz von siebzig Politikern – von Colin Powell bis Gerhard Schröder – und die 3000 Businessleute wie einst die «Davoser Zeitung».

Mit den Bossen der transnationalen Konzerne fliegen ihre Gegner ein. Das Internet ist mit Plänen voll: für die (bewilligte) Demonstration, Meetings und «direct actions». Angekündigt sind auf den Foren eine Menge Leute: vom Greenpeace-Chef Amerikas bis zu den Drunk-Punks von Philadelphia. Die Columbia University führt einen Gegengipfel durch, das Social Forum überträgt das Weltsozialforum von Porto Alegre, die Anti-Capitalist Convergence («Testen Sie, ob Sie ein Anarchist sind. Sie werden überrascht sein!») wird versuchen, die «kapitalistische Langeweile» aufzulockern, etc.

Mit dabei ist auch eine Schweizer Delegation – die Bundesräte Villiger (Eröffnungsansprache), Couchepin und Deiss sowie die Schweizer Tourismusvereinigungen (mit Alphörnern) buckeln im Wef. Gott sowie das Public Eye beobachten sie dabei ein paar Blocks weiter im United Nations Church Center, 777 UN Plaza. Dazu kommen zahlreiche Anti-Wef-Konferenzen: Hauptgegenstand ist der Versuch, ein Regelwerk auszuarbeiten, mit welchem die Uno die Multis überwachen und sanktionieren könnte.

Mr. Rogers hatte geendet, und ich sagte: «Sie reden wie die Bibel.» Es war das Richtige. Er lächelte. «Okay, drei weitere Fragen», sagte er.
«Wird Ihr Material zur Spionage benutzt?»
«Falsch. Wir sind nicht der Spy Shop, sondern der Counter Spy Shop. Zwei Fragen.»
«Aber Sie persönlich, würden Sie wissen wollen, wenn Sie von Ihren Söhnen bestohlen oder von Ihrer Frau betrogen werden?»
«Gott sagte: Die Wahrheit wird dich befreien. Bestiehlt mich jemand, sei es mein engster Freund, so möchte ich das Gesicht des Hundesohnes, der es getan hat, auf Video sehen. Da draussen regieren die Versuchung, die Gier und das Böse. Aber Gott sei Dank gibt es hier den Counter Spy Shop – und mich, zu dem die Menschen kommen und sagen: Please, help me! Meine Kunden sind die mächtigsten Leute der Welt. Aber hier bin ich der Doktor, und sie sind die Patienten. Und was immer sie für ein Problem haben – welche Sorgen und Ängste auch immer –, ich bin da, ihnen zu helfen, mit der besten Elektronik der Welt.»
«Frank sagt, viele seiner Kunden seien Lügner.»
«Das gilt für Frank. Meine Kunden, mein Sohn, tragen Schuhe für 10000 Dollar, Anzüge für 200000 Dollar, Uhren für eine halbe Million und Krawatten, so teuer wie ein kleines Haus. Solche Menschen lügen nicht. Nie. Never ever. Letzte Frage.»

Wird das Wef nach Davos zurückkehren? Es gibt Gründe dafür und Gründe dagegen:
Dagegen spricht: New York dient sich an. Die Beleidigung von Professor Schwab. Das kanadische Whistler Mountain dient sich an. Die Zürcher Polizei hat das Okay nicht gegeben. Salzburg dient sich an. Das jetzige Wef hat – nachdem die Amerikaner 2002 nicht nach Davos kommen wollten – in NYC eine Rekordteilnahme. Casablanca dient sich an.
Dafür spricht: Der Bundesrat dient sich an. Am Mittwoch hat er die Übernahme von Sicherheitskosten angeboten. Dazu ist NYC teuer. Weiter die Wef-Tradition. Sowie der Unwillen europäischer und asiatischer Manager, den zahlenmässig und ideologisch dominierenden Amis Jahr für Jahr ein Auswärtsspiel zu liefern.

Die Anbiederung hat genützt. Minuten vor unserem Redaktionsschluss gab Gleitmittel Klaus Schwab bekannt: Im nächsten Jahr wird das Wef Davos wieder heimsuchen. In früheren Interviews sprach sich Schwab kryptisch für eine alternierende Lösung aus. Und das hat er auch jetzt nicht dementiert.

Der Deeskalierungsplan des «Spirit of Davos» hingegen, also eine Plattform für NGOs, wird trotz Geldversprechen des Bundesrates wohl heisse Luft bleiben. Das «Oltener Bündnis» von 37 NGOs hat sich bereits distanziert. Und laut der relativ milden Erklärung von Bern verlief eine erste Sitzung am 4. Dezember mit nichts als «leerem Geschwätz». Das zuständige Planungsbüro Arbenz war völlig unvorbereitet: Man fragte, wen man sonst noch einladen könne, hielt den Berner Anti-WTO-Aktivisten mit Vornamen Detti für «Frau Detti» und dachte, das Einzige, was NGOs wollten, sei die Teilnahme am Wef. Adieu Dialog also. Die Sicherheit wird auch inskünftig nicht gewährleistet werden können.

«Mr. Rogers, wie kommen Sie mit so reichen Leuten aus?»
«Ich, ich bin wie sie geboren, ein freier Amerikaner. Dass ich mit ihnen auskomme, dass ich sie beschütze, ist ein Geschenk und eine Gnade.»
«Wow!», sagte ich.
«Weisst du, wie man mich nennt?», fragte Bob Rogers zum Abschied. «Man nennt mich den Heiligen.»

Amen. Ein Heiliger im Tempel der Wanzen, der Privat- und Industriespionage und für vier Tage Beschützer der Könige und Prinzessinnen, der Wirtschaftsführer und Milliardäre im Herzen des Wef.