Die Mandarinen in Palästina: Auf der Suche nach dem belgischen Professor

Sie schmeckten süss, das Haus in Ramallah gehörte der Organisation. Hunde bellten.

Zugegeben, etwas missmutig machte ich mich auf Richtung Allenby- beziehungsweise King-Hussein-Brücke – je nachdem, ob man Jude oder Araber ist –, aber mein Freund Fayez meinte, Jerusalem wäre sehenswert. Die israelischen Behörden mochten Stempel in meinem Pass nicht, besonders nicht den syrischen und den aus dem Libanon, der der beste ist, denn ihn ziert eine Zeder, die angeblich nur dort wächst, abgesehen davon, dass die Franzosen ein paar umpflanzten.

So setzte ich mich aus Loyalität zu meinen arabischen Taxigenossen, als ein junger Palästinenser namens Ashraf daherkam, und zwar direkt aus der Schweiz vom palästinensisch-israelischen Friedenstreffen. Er war Mitglied der kommunistischen PPP, Abgeordneter der Stadt Ramallah, stellvertretender Generalsekretär des Jugendverbandes und im Prinzip die dritthöchste Leuchte der Partei. Er berichtete, man habe sie wie Kriminelle behandelt, immer separat gehalten, kein Hotel, kein Schlaf, kein Kontakt, alles zu ihrer eigenen Sicherheit, wie ihnen versichert wurde, während die israelische Delegation Stadtrundfahrten unternahm. Dafür gab es am Ende eine Tüte Schokolade, für jeden. Er sass nun bereits acht Stunden da.

«Ja, aber sagen Sie mal, wir sehen,
Sie sassen bereits im Gefängnis, da
Sie einen Stein geworfen haben
wie kam denn das?»

«BECAUSE YOU ARE OCCUPATORS AND I HAVE A RIGHT TO RESIST!»

Gut geschüttelt vor Lachen, Adressen ausgetauscht, dann schlug ich vor, unser Gespräch zu vertagen (man äugte bereits), und kam endlich durch. Vorher wurde ich noch vernommen. Ein Beamter, dessen Hemd sich über dem Gürtel ausbeulte, führte mich einen hellen Gang entlang und bedeutete mir, vor einem Büro Platz zu nehmen. Heraus trat ein freundlicher Mann mit einem – wie ich zu erkennen glaubte – deutschen Pass in der Hand. Ich nickte ihm zu und fragte, ob er auch aus Deutschland sei. Er war aber vom Geheimdienst, und das war mein Pass. Er stellte ein paar Fragen und gewährte mir letztlich eine Woche. Auf nach Jerusalem!

Oder doch nicht – denn es war spät und dunkelte bereits, es fuhr kein Bus mehr, und ein Taxi kostete 250 Schekel. Ich stand unschlüssig herum, dachte nach, und siehe da, heraus kam Ashraf. Und so fuhren wir in die Westbank. Im Bus begann er zu erzählen, dass sie heute morgen in Ramallah einmarschiert seien, in ein paar Eckhäuser geschossen hätten und andere Sachen, aber ich merkte, wie ich abschweifte, ich kann schlecht zuhören, es war oft langweilig, und so hab ichs irgendwie verlernt, jedenfalls endete er mit den Worten: Trouble. Big Trouble.

Umsteigen mussten wir in Jericho, wo er palästinensischen Bullen und Taxifahrern die Hände schüttelte, von dort gings nach Kallandia, einem Ort, der in meinen Ohren wie ein orientalisches Zauberland klang, sich aber nur als matschiger Umsteigebahnhof und Flüchtlingsslum entpuppte, und weiter nach Ramallah.

«Your friend is a good man!»

«Do you know him?»

«No. But I heard of him!»

Mein Kumpel war also berühmt. In Ramallah stellte er fest, dass er seinen Schlüssel verbummelt oder verborgt hatte, platzierte mich in ein Restaurant, bestellte mir Houmus, Foul, Salat, Brot und verschwand. Nach dem Essen wurde mir langweilig und kalt, und ich ging in einen Laden und redete mit dem Verkäufer, der sehr fröhlich schien. Nach einer Weile kam Ashraf, unverrichteter Dinge, und nach einer weiteren Weile sein Mitbewohner, ein älterer Muslim aus Jenin, mit einem grossen Sack Mandarinen. Die Wohnung gehöre der Organisation, wurde mir mitgeteilt. Die Mandarinen schmeckten süss.

Ashri ging dann mit einer Flasche Whisky, die er im Duty-free-Shop Amman erstanden hatte, Freunde besuchen – angeblich hätten zweihundert Palästinenser den Laden gestürmt und die Schnapsregale leer gekauft:

«Also! Ihr Palästinenser kommt hier rein und kauft einfach den ganzen Schnaps!
Ihr seid doch Muslime!»

«That's our life!» –

Bei der Gelegenheit erzählte er, dass er während einer von den Israeli verhängten Ausgangssperre einmal runterging, um ein Bier zu trinken, darauf schiss, sozusagen, und liess den interessanten Satz fallen: «Man muss zusehen, sich die Lust am Leben zu erhalten. Wenn dir die Lust am Leben abhanden kommt, kannst du jeden Widerstand vergessen.» Das schien mir ein handfestes Problem zu sein, in Ländern wie Deutschland oder der Schweiz.

Jedenfalls, dachte ich, fragst du mal nicht, von welcher Organisation die hier immer reden, dumme Fragen ergeben zwar manchmal kluge Antworten, aber auch dumme Gegenfragen. Er ging also los, Freunde treffen und ein Haus besichtigen, welches die Soldaten kurzerhand in die Luft gesprengt hatten, da Waffen gefunden wurden.

So lag ich auf dem Sofa und guckte zusammen mit dem Alten fern, fragte ihn Löcher in den Bauch und fror, denn es gab keine Heizung. Wir verschanzten uns hinter dicken Decken, durch das Fenster sah man eine jüdische Siedlung, die auf einem Hügel errichtet war, die Hänge waren gerodet – es wirkte wie eine futuristische Ritterburg. Der Mann war in der Landwirtschaft tätig, ähnlich wie Ashraf, der studierter Ökonom und Landwirt war – die beruflich häufig anzutreffende Kombination von Politik und Landwirtschaft wurde mir erst später klar, da Land existenziell ist.

Bald kam auch Ashraf, der Jugendlichen Kurse für gewaltlosen Widerstand gibt, und erzählte von seiner Gefängniszeit, wie er jeden Tag verprügelt wurde, winkte ab, das sei gar nichts, er sei noch gut davongekommen, anderen habe man Chemikalien gespritzt – nicht wenige, die unfruchtbar oder mit Organschäden rauskämen. Und so ging ich zu Bett. Ich hatte einen eigenen Raum und sah aus dem Fenster. Es war still in Ramallah. Ein paar Hunde bellten.

Ich fragte mich, warum hier so viele Menschen guter Laune schienen. Und was man wohl macht, wenn die Soldaten kommen. Stellte mir vor, wie sie mit angelegten Gewehren in die Wohnung heizten. Ich beruhigte mich aber damit, dass sie vermutlich nicht wahllos Häuser stürmen, sondern auf Widerstandsherde fixiert sind. Dann dachte ich: Er ist Kommunist. Er sass im Gefängnis. Er sprach von Waffen. Das ist ein Widerstandsherd.

Und so schlief ich ein.

Am nächsten Morgen musste Ashri zur Schule, wir tranken noch zwei Kaffee, ich versprach, wieder zu kommen, das hier aufzuschreiben, und er geleitete mich zum Service-Taxi-Platz. Bye bye! Maasalamma! Schalom! Und so fuhr ich nach Jerusalem.

Die Schwester aus Kioto

Oder doch nicht. Ich fuhr gleich weiter nach Hebron, aber da regnete es und sah auch sonst nicht gut aus. Auf dem Rückweg hielt ich in Bethlehem, traf einen Dummkopf und arabischen Antisemiten, aber auch da: Regen. Dunkel war es auch schon, in letzter Minute kam ich zum Checkpoint und nach Jerusalem: schlafen. Vorher aber dachte ich, was du brauchst, sind Informationen. Also ging ich in eine Absteige namens Damaskus Hotel, die man mir empfohlen hatte, und deren Namen ich, da ich nicht richtig zuhörte, wieder vergessen hatte und somit immer nach dem Tabasco Hotel fragte; ein meiner Meinung nach räudiges Loch. Am Tresen sass ein Deutscher, kritzelte Bibelzitate, Teufelssterne und Sechsen auf ein Plakat, verkündete, die Welt gehe bald unter, und ausserdem: «Gaza? Das kannst du vergessen.»

Mir fiel der Benn-Aufsatz ein: «Soll die Dichtung das Leben bessern?» In diesem zerpflückte der Dichter jedes einzelne Wort. Ich beschloss die Taktik anzuwenden: «Das» war das erste Wort. Dazu fiel mir nicht viel ein ausser: was? Was meint er mit «das»? Woher weiss er, was ich will? Wo ich es selbst nicht weiss. Und was weiss er, was ich nicht weiss? Ich kam zu dem Schluss: Er blufft – er weiss nichts. Also: «das» = 0. Zero.

Nächstes Wort: «kannst». Lüge! Ich kann nichts. «Kannst» auch 0.

«Du» – wie kommt der dazu, mich zu duzen? Diese Westler duzen immer Hinz und Kunz. Einfach ignorieren ...

Letztes Wort: «vergessen». Vergessen kann man doch nur, was man weiss!? Und ich weiss doch nichts! Deshalb hab ich doch gefragt! Ergibt alles keinen Sinn ...

Probierst du es einfach mal, dachte ich, man hört so viele Dinge, und Informationen mag ich sowieso nicht. Alles, was ich über Gaza wusste, war, dass Eiko, die japanische Krankenschwester, die ich in Amman kennen gelernt und die in Gaza gearbeitet hatte, sagte, sie möge ihre Kollegen, speziell einen Arzt und zwei Schwestern, ausserdem liege Gaza City am Meer.

Als ich ankam (Erez Border Crossing), regnete es, und man gab mir zu verstehen, ich solle mich verpissen. War egal, Eiko war sowieso nicht mehr da, sie flog einen Tag, bevor ich Amman verliess, nach Hause, die ganze Geschichte ergibt keinen Sinn. Gern hätte ich mir aber das Krankenhaus angesehn. Wie kann man dort freiwillig arbeiten?

Also fuhr ich wieder nach Jerusalem. Und am nächsten Tag nach Nablus. Dort arbeitete der belgische Professor, dem ich Wochen zuvor ein lockeres Schreiben übermittelt hatte, in welchem ich ein zur Not kostenloses Rockkonzert offerierte. Die letzten Sätze meiner Bewerbung lauteten:

I can't sing.

I can't keep the rhythm on time.

I always forget the words while

singing.

I could play around the 10th of

december.

Leider hat er sich nie gemeldet – und leider wies man mich auch in Nablus ab.

Und so fuhr ich wieder nach Jerusalem. Lief ein wenig durch die Stadt: Wailing Wall, Dome of the Rock, Al Aksa. In der Altstadt bedrohte mich ein arabischer Junge mit einem Küchenmesser, und sein Kumpel boxte mir in den Rücken.

Und die Juden
schüttelten ihre Köpfe
an der Klagemauer

Shake it, Baby

Und die Muslime

knieten 300 Meter

weiter im Staub

We will, we will

rock you

Besuchte nochmals Ashri in Ramallah, dem man seitens der PPP gesteckt hatte, dass der militante Flügel der Fatah-Partei ihn auf die Abschussliste gesetzt habe, da er am Friedenstreffen teilgenommen hatte (sic!). Er wirkte sichtlich nervös und gab an, sich eine Wumme besorgen zu müssen. Falls er mir da keinen Bären aufband. Ich glaub aber nicht. Was meint ihr?

Zum Autor

Alexander Krohn lebt, wenn er nicht auf Reisen ist, als Musiker und Verleger in Berlin. Zurzeit bemüht er sich, in Israel und Palästina internationale Konzerte zu organisieren, um dadurch die starren nationalistischen Fronten etwas aufzubrechen.