Ein Buchungetüm: Phänomenaler Strudel

Frank Witzels «Riesengeschichte» über Astronautenreliquien und Revolutionsheimarbeiter.

Da redet einer, ein Schreiberling, ein Journalist. Er ist nicht allzu überzeugt von sich und von den Aufzeichnungen, die er bei einer Reise in die USA gemacht hat. Es handelt sich um ein Gespräch mit einer etwas zwielichtigen Figur, einem gewissen Snake. Daraus hat der Journalist zehn Dokumente gefiltert. Für einen Artikel ist das Material wohl etwas zu mager. Und mit der Klage über die Mängel der Dokumente beginnt der Schreiberling nun zu räsonieren: Von der Untauglichkeit der Kopfhörer seines Aufnahmegeräts, die ihm immer aus den Ohren flutschen, gelangt er zum Bestreben der Herrschenden, dem Körper die Welt unpassend erscheinen zu lassen, um ihn in der Knechtschaft zu halten. Ob das nun zu kleine Displays für normale Finger sind oder überdimensionierte HipHopperhosen. Irgendwann landet der Räsoneur bei der Schönheitschirurgie und den medizinischen Experimenten der Nazis.

Kriminell viel Personal

Das ist ein durchaus plausibel erscheinender Reflexionsstrudel, aber von dieser Seite her kommt man Frank Witzels Buchungetüm «Revolution und Heimarbeit» nicht bei. Fangen wir mit den Personen an, die darin eine Rolle spielen: Da ist dieser Dokumentator, ein Mann Anfang fünfzig, der sich regelmässig mit seinem Schwager trifft, obwohl ihr Verhältnis nicht besonders gut ist. Der Schwager erzählt von jenem in der Nähe Washingtons lebenden Snake. Der hat eine kambodschanische Freundin namens Tang-Li, die als Schauspielerin in einer Kleinkinderfernsehserie arbeitet. Sie verliert ihren Job, weil ein Fernsehprediger ihr kambodschanisches Geflüster während der Sendung als gotteslästerliches Fluchen identifiziert. Snake, von einiger krimineller Energie beseelt, bereitet eine Entführung vor. Sein Komplize ist ein gewisser Trickett, ein Spezialitätenhändler, der mit seltenen Tieren ebenso wie mit Raumfahrtreliquien dealt. Einer seiner Kunden ist ein Pseudowissenschaftler, der Reihen, Abfolgen und Systeme konstruiert wie etwa die zu erwartenden Sterbedaten der zwölf amerikanischen Astronauten, die den Mond betreten haben. Snake und Trickett wollen offensichtlich den Nachwuchs eines reichen, mennonitischen Schokoriegel-Industriellen entführen. Das Kidnapping der beiden Kinder, die an einer seltenen Blutkrankheit leiden, verhindert jedoch deren marokkanischer Leibwächter. Eine Freundin Snakes ist eine gewisse Sara Jane, die Tochter eines Werbetexters, der in den siebziger Jahren als Terrorist gesucht wurde. Dieser holt wegen seiner widerspenstigen Tochter bei einem Psychologen Rat. Und dann ist da noch Ben, ein gewalttätiger Patriot.

Kein gewöhnliches Personal also, das hier in den einzelnen Dokumenten von sich erzählt. Dazu gibt der Journalist seine Kommentare ab, philosophische Ausflüge, Aperçus und Anekdoten zu Waffentechnologien, Spielzeugautos, Terrorismus, Raumfahrt, Werbewirtschaft, modernen Mythen, Medien, immer wieder gemessen an den Begriffen Lager, Kapital, Arbeit und an der Dichotomie von Revolution und Heimarbeit. Dabei ergeben sich hübsche Sachen wie die Erkenntnis, dass die Vertreter der revolutionären Praxis mangelndes Textverständnis und eine Vorliebe für Comics haben.

Härter als der Rest

Nun, ein Roman im strengen Sinne ist das nicht, auch wenn es am Schluss zu einem überraschenden Plot mit einem Mord kommt. Das ist ein Textgeflecht, in dem alles zusammenhängt und durcheinander geht, in das sich die Leserin und der Leser einfach reinfallen lassen können. Eine Riesengeschichte aus vielen kleinen Splittern. Eine eigenartige Faszination geht von diesem stetigen Fluss des Räsonnements, der Angleichung, der Logifikation verschiedenster Phänomene aus. Der scheinbar auflösende Schluss kann genauso falsch sein wie alles andere. Dem Erzähler darf man nicht trauen, weder dem im Buch noch dem realen Autor. Frank Witzel, ein Mann vieler Talente und von grossem Wissen, hat schon mit seinem vorhergehenden Roman «Bluemoon Baby» einen schillernden Roman über Verschwörungstheorien und Paranoia geschrieben. Darin ist er härter als der Rest!

Frank Witzel: Revolution und Heimarbeit. Edition Nautilus. Hamburg 2003. 255 Seiten. 34.90 Franken