In Camp David endete der Oslo-Prozess: Vergesst Jerusalem

Die Welt schaute nach Camp David und wartete wie Ali Baba, dass die Räuber die Zauberformel sprechen: «Yftah, ya Simsim – Sesam öffne dich.» Die zwei Männer, die da zur Klausur eingesperrt waren und zu denen sich auch der Aufseher gesellte, sollten den Frieden verkünden, der die Geschichte der Konfrontation im Nahen Osten beendet, der den Konflikt um Palästina löst. Einen dauerhaften, umfassenden Frieden. US-Präsident Bill Clinton, der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde Jassir Arafat und Israels Premierminister Ehud Barak sprachen die Formel nicht.

Damit ist der «Oslo-Prozess», eine neue, bilaterale Verhandlungsform des Wegdenkens und Ignorierens der Konflikte, gescheitert. Das Vorsichherschieben der realen Probleme, das Herbeireden des Friedens hat nicht geklappt. Irgendwann musste selbst Arafat Nein sagen, nachdem er sich so oft über den Tisch hat ziehen lassen. Die Erleichterung über den Ausgang des Camp- David-Gipfels ist in palästinensischen Kommentaren spürbar. Die Angst vor erneuten Konzessionen Arafats war gross, allfällige Verträge wären, anders als in Israel, in Palästina ja nicht vors Volk gekommen. Die Strategie, Arafat zu isolieren – selbst die von den westlichen Regierungen geachtete Menschenrechtsaktivistin Hanan Ashrawi wurde an den Toren Camp Davids abgewiesen – und so zu Zugeständnissen zu bringen, hat nicht mehr funktioniert.

Arafats Nein galt der Aufgabe des palästinensischen Anspruchs auf Al Quds/Jerusalem. In den bisherigen Abkommen konnte er bei allen substanziellen Themen nachgeben, denn die «endgültigen» Verträge über Grenzverlauf, Rechte der Flüchtlinge und über Jerusalem standen noch aus. So kam der Frage des zukünftigen Status Jerusalems, in der arabischen Öffentlichkeit von enormer symbolischer Bedeutung, immer mehr Gewicht zu. Arafat musste Nein sagen. Dabei ist der Streit um Jerusalem Schaumschlägerei, denn er ist längst entschieden. Ob die in der Altstadt verbliebenen palästinensischen Kitschbuden den TouristInnen den Ramsch nun mit voller Souveränität über Müllabfuhr und Ladenöffnungszeiten verkaufen, kann so zentral nicht sein. Seit dem ersten Oslo-Abkommen 1993 wurden von israelischer Seite fleissig – und entgegen den Bestimmungen des Abkommens – neue Tatsachen geschaffen. Jerusalem ist eingeschlossen von israelischen Siedlungen. Das real existierende Ostjerusalem würde sich bestens eignen als jüdisch-islamisch-christliches Heimatmuseum unter internationaler Aufsicht und mit gemeinsamer touristischer Vermarktung (wenigstens ansatzweise besteht diese ja schon und ist eine der wenigen funktionierenden israelisch-palästinensischen Kooperationen). Und kein Palästinenser, keine Palästinenserin wird den arabischen Vorort Abu Dis mit Jerusalem verwechseln, da könnten noch so viele Verträge die Landschaft umbenennen.

Doch selbst wenn die drei Männer die Zauberformel nun gesprochen hätten: Der Sesam wird sich nicht öffnen. Es gibt die Formel nicht, die über Nacht Gerechtigkeit bringt, die Palästina erschafft und Palästina und Israel zu gleichberechtigtem Nebeneinander verhilft. Es gibt keine Formel, die PalästinenserInnen und Israelis plötzlich zu gleichberechtigten BewohnerInnen des kleinen Landstriches zwischen Mittelmeer und Totem Meer macht, mit gleichem Zugang zu Bildung, Wissen und Information, mit gleichem Lohn für gleiche Arbeit, mit tagtäglich gleich viel sauberem Trinkwasser statt Swimmingpools hier und Wassermangel da. Es gibt keine Formel, die das fruchtbare Land zwischen israelischen Agrarbetrieben und palästinensischen BäuerInnen gerecht aufteilt (oder die palästinensische Landwirtschaft über Nacht modernisiert). «One man one vote» soll nicht gelten im zerstückelten Palästina/Israel, wo die Menschen dicht beieinander, aber strikt voneinander getrennt leben. Die Stimme des 1999 nach Israel zugewanderten Russen in Ofakim bleibt unschätzbar viel mehr wert als diejenige der Flüchtlingsfrau im Lager Jabaliya im Gazastreifen.

Selbst wenn Clinton, Barak, Arafat und meinetwegen auch noch US-Aussenministerin Albright «Sesam öffne dich» gebrüllt hätten: Die meisten PalästinenserInnen werden sich weiterhin zu dritt, zu viert ein Zimmer teilen müssen. In Gaza werden Kinder unter Mangelernährung leiden, während man im kaum hundert Kilometer entfernten Tel Aviv nach amerikanischer Art zulangen kann. Israelische TouristInnen sind wie westeuropäische auf der ganzen Welt willkommen, während eine Fahrt vom palästinensischen Ramallah ins palästinensische Bethlehem schon an israelischen Checkpoints enden kann. Aus dem Gazastreifen kommt sowieso kaum wer heraus. Wem gilt schon ein palästinensischer Reisepass etwas, ausser dem/der TrägerIn selbst. Wobei der Stolz auf den Pass schon dadurch verringert wird, dass ein palästinensischer Pass ohne Zustimmung Israels nicht ausgestellt werden kann.

Das Scheitern des Camp-David-Treffens birgt die mittelfristige Hoffnung, dass von Grund auf neu verhandelt wird. Denn der «Oslo-Prozess» wollte die Ungleichheit ver- traglich festschreiben. Die Aufteilung des Landes in Vermögende und Bettelnde sollte «rechtsgültig» sanktioniert werden. Man wollte das Land in zwei Kantone teilen, mit Zickzackgrenzlinie und Exklaven. Als Resultat ist (mit wenigen Ausnahmen) ein palästinensischer Kanton der Rückständigkeit am Entstehen, mit einem immer noch nicht gekrönten Herrscher Arafat, mit nationalen Insignien, Fähnchen, Wappen und Orden, mit starker Stellung des isla- mischen Klerus. Ein Kanton, in dem – wie seit langem in den verbliebe- nen palästinensischen Städten und Dörfern innerhalb Israels – patriarchale Traditionen mit höheren Werten und Religion verwechselt werden. In einem «endgültigen» Rumpfpalästina würden dumpfer Tradi- tionalismus, Enge des Handelns und Denkens vorherrschend sein. Fehlen nur noch bunte Baströckchen für die Häuptlinge, aber solche Freizügigkeit lassen die Herren der Tradition nicht zu.