Interview mit dem angeblichen «WEF-Hacker»: Das WEF – ein Opfer der E-Revolution

Neues zum Hacker-Fall: Die Story aus der Sicht des Verhafteten. Und die Blamagen des Untersuchungsrichters.

Vielleicht sollten Superreiche keine Revolutionen ausrufen, auch keine virtuellen. Denn sie laufen wie alle Propheten Gefahr, von der eigenen Prophezeiung gebissen zu werden. Noch letztes Jahr waren am WEF alle mögliche Parolen der Renner, in denen «Sieg der Schnellen und Cleveren über die Grossen und Langsamen» oder kurz die «E-Revolution» gefeiert wurde. Heute sind es Erklärungen einer Niederlage.

Auch ohne zwischenzeitlichen Nasdaq-Crash mitzurechnen, welcher der «New Economy» einer Menge an ideologischem Drive beraubte, hat die Internet-Revolution dem WEF einen empfindlichen Dämpfer versetzt. Der Hack in die intimsten Datenbanken des Forums war eine brutale Blamage, die Verhaftung des «WEF-Hackers» eine weitere: Denn mit den Akten des Untersuchungsrichters wurde mit einem Male klar, wie unglaublich amateurhaft das von einem gigantischen Polizeiaufgebot bewachte WEF seine Daten gesichert hatte – ein offener Server, brisanteste Dateien darauf und kein Passwort installiert.

Das Pech des Verhafteten war also letzlich das Pech seiner Verfolger: Der 20-jährige Berner Computerspezialist David, in ersten Pressemitteilungen als dicker Fisch und sicherer Fang angeprisen, ist längst wieder auf freiem Fuss. Und es sieht aus, als werde nicht nur das WEF blamiert, sondern auch die Behörden – allen voran der Untersuchungsrichter Marc Tappolet.

Es begann mit einer Polizeiaktion, Marke (so David zur WoZ) «Föderalismus pur»: zwei Genfer, ein Berner und ein Bundespolizist drangen Freitag, den 9. März, sieben Uhr dreissig, durch die unabgeschlossene Tür der Berner WG. Die Zeit des Besuchs war unhöflich, das Betragen auch. Sie holten David aus dem Bett, montierten den Computer ab und durchwühlten das Zimmer – das Vorweisen eines Durchsuchungsbefehls ersetzten sie durch die Worte «arrêtez» und «hocket itz ab!».

Sie überführten ihn auf die Wache, dann 100 Kilometer weiter in ein Genfer Gefängnis. Auf dem Weg dorthin drückte ein Bewacher seine Sympathie durch die Worte aus, er habe «auch einmal ein Konto bei der Alternativen Bank» gehabt, aber auf Davids Gegenfrage, ob ihnen ihr Job gefalle, hatten sie «wenig Argumente»: Die Konversation versiegte.

Zu Untersuchungsrichter Marc Tappolet wollte sich David – aus Gründen der Höflichkeit und der Klugheit – nicht äussern: nur, dass Tappolet «nichts von Informatik verstand und sich auch nicht darum kümmerte». So waren die ersten Verhöre «vor allem verwirrend»: Die Beamten redeten von «sicheren Beweisen», ohne diese je vernünftig auf den Tisch zu bringen.

Unbestritten war nur, dass David a) frühzeitig in Besitz der Hacker-CD gewesen war, an die er durch Anti-WTO-Kreise geraten war, die einen starken Computer brauchten, um die Files zu öffnen, und b) dass er am WEF-Server die Ports gescant hatte, um nachzuprüfen, ob das WEF tatsächlich so sensationell unprofessionell gesichert war. «Ich habe zu keinem Zeitpunkt angenommen, etwas Strafbares zu machen.»

Nach den Verhören wartete im Untersuchungsgefängnis ein «unangenehmes, aber soziologisch interessantes» Wochenende, dann kam das erste Gespräch mit dem Anwalt und «die Gewissheit, nach menschlichem Ermessen nicht weiter belangt werden zu können.» Es folgten einige entspanntere Zellentage «mit schönen Sonnenaufgängen».

Tatsächlich setzte ihn die Genfer Anklagekammer – trotz des Begehrens von Tappolet, ihn einen weiteren Monat da zu behalten – nach einer Woche auf freien Fuss. Wie der Anwalt Jean-Pierre Garbade ihm erklärte, sei eine Ablehnung einer Haftverlängerung «nicht gerade häufig» und das «Schlimmste für den Untersuchungsrichter».

In der Tat stehen die Aktien schlecht für Tappolet. Denn Unkenntnis mischt sich bei ihm mit Grobheit. So beharrte er etwa gegenüber Garbade zweimal gereizt auf der lächerlichen Behauptung, ein in den Papierkorb gelegtes File sei für immer gelöscht – und sein Verhalten bei der Zeugeneinvernahme beim Interlakener Zwei-Mann-Provider TcNet spricht nicht von Subtilität.

Auch dort standen Genfer Polizisten vor der Tür, auch dort ohne Durchsuchungsbefehl. Sie verlangten, die Server zu durchforsten – obwohl diese gar nicht nicht im Interlakener Büro standen – und verhörten stattdessen den Besitzer Andreas Fuchs, nachdem sie ihm «mit Beugehaft gedroht» hatten. Sie verlangten die Herausgabe sämtlicher David betreffender Aufzeichnungen über Monate zurück – und erhielten sie von dem überrumpelten Betreiber. «TcNet hat seine Lehre gezogen», sagte Fuchsens Kompagnon zur WoZ, «und wird keine Daten mehr aufzeichnen, die wir nicht unbedingt aufzeichnen müssen.»

Ebenso zweifelhaft sind die weiteren Beweise. Es existiert kein Log-File über erfolgreiche Invasionen in die Microsoft SQL-Server-Datenbank (nicht Quickbase, wie die WoZ und nach ihr die SonntagsZeitung versehentlich schrieben), und für die Port-Scans existieren nur zwei Zeugenaussagen von WEF-Experten. Der erste war ein vom WEF angeheuerter Privatdetektiv, der im Januar nur eine «Attacke» fand, (wobei ein Port-Scan besser als «Anklopfen» beschrieben wäre), während ein anderer Experte acht bis neun Scans feststellte – sich «aber intuitiv auf den Angriff aus der Schweiz konzentrierte». Intuitiv!

Ebenso unklar ist, ob bei der Amateurhaftigkeit des WEF überhaupt noch «von einem Eindringen in ein geschütztes System» die Rede sein kann, ob das WEF selbst nicht den Datenschutz verletzt hat, Untersuchungsrichter Tappolet nicht illegal Beweismaterial gesammelt hat, der Fall nicht nach Bern verlegt wird … etc. Der Kommentar des Untersuchungsrichter zu dem allem ist immer der gleiche: «Kein Kommentar.»

Trösten kann sich das WEF damit, dass wenigstens seine E-Revolutions-Theorie stimmt: Der Schnellere und Cleverere siegt offensichtlich auch dann über den Langsameren und Dümmeren, wenn dieser kapitalkräftig ist und Gesetze bricht wie andere Leute Brot.