Irak: Wie ist die Stimmung in den Armenvierteln?: Der Teufel soll ihn holen

Ein ägyptischer Journalist erlebte Bagdad ohne Aufpasser. Bis er ausgewiesen wurde.

An Tarek Hassan, Journalist der ägyptischen Tageszeitung «al-Ahram», ist ein Schauspieler verloren gegangen. Zuhause in Kairo parodiert er gekonnt Saddam Hussein bei der täglichen Huldigungssendung des irakischen Fernsehens. Devote Generäle grüssen den Herrscher, Saddam quittiert es mit einem pathetischen «Salimmli aleehum!» (Sie seien auch von mir gegrüsst!). «Das sind die irakischen ‘breaking news’ – jeden Tag dasselbe.»

Tarek Hassan machte während seines Aufenthalts in Bagdad weder Notizen noch Tonbandaufnahmen. Telefonnummern lernte er auswendig. Alles andere wäre viel zu gefährlich gewesen, meint er. Nach 45 Tagen und täglicher, ergebnisloser Durchsuchung seines Hotelzimmers wurde ihm dennoch beschieden, er sei unerwünscht und müsse ausreisen. Wer nichts hat, verbirgt etwas. Vielleicht hatte der Geheimdienst auch mitbekommen, dass er oft alleine, ohne Aufpasser, in Bagdads unterwegs war. Mit Nabil, einem irakischen Freund aus alten Tagen, machte er sich nachts auf in die Armenviertel Bagdads. Sie trafen sich jeweils in einem Mittelklasse-Restaurant, dessen Besitzer immer wieder ohnmächtig zuschauen muss, wie Leute aus der Oberschicht, meist ostentativ ihre Pistolenhalfter zeigend, die Zeche prellen.

Die irakische Regierung zelebriert ihre Macht. Im Bagdader Hotel Mansur veranstaltet sie jeweils montags und donnerstags eine Massenhochzeit von sechzig bis achtzig Paaren. Dabei wollten viele Frauen einfach möglichst schnell heiraten, um als potenzielle Kriegswitwen später eventuell eine Rente beziehen zu können. Die Schiiten in Obeidi, einem Armenviertel Bagdads, aber auch konservative Sunniten zwingen neuerdings die jungen Frauen, ihr Gesicht zu verhüllen. Sie wollen sich frühzeitig abgrenzen von der Oberschicht, die sich im modernen Bagdad nach wie vor schamlos amüsiere. Das Volk nennt sie die Takarta, die Mafia aus Saddams Geburtsort Tikrit – neureiche, privilegierte Embargo-Parvenus aus dem Dunstkreis von Armee, Partei und Regierung.

Die Neureichen seien aber nicht nur ein Produkt des Embargos, heisst es in Obeidi. Es habe sie unter Saddam schon immer gegeben. Ihre schicken Wohnviertel würden von normalen Leuten New York genannt, wegen der schönen Läden, der teuren Autos und der Jeunesse dorée, die in Trendmode auf den Gehsteigen paradiere. Bei der konservativeren Bevölkerung Bagdads hiesse das Gebiet auch Chicago – ein Verweis auf Mafia, Gangstertum und Waffen. Überhaupt Waffen: Nicht nur die Privilegierten und Saddam-Getreuen trügen jetzt Waffen, auch in den unteren Schichten wappne man sich. In Obeidi etwa gingen geschmuggelte, nagelneue Kalaschnikows für siebzig US-Dollar heimlich über den Ladentisch. Die Schiiten fürchten die Republikanischen Garden, die Sunniten fürchten die Rache der Schiiten, beide fürchten sie die Kurden, die mit Bagdad offene Rechnungen haben. Alle hielten sich selber für die Verlierer der kommenden Auseinandersetzungen. Also versuchten sie sich abzusichern.

Tarek Hassan ist überzeugt, dass gerade die Schiiten sehr vorsichtig sein werden. Sie würden bis zum letzten Moment warten, um sich gegen die Armee zu stellen. Die US-Truppen müssten in Bagdad Saddam schon umstellt haben, vorher würden die Schiiten sich nicht rühren. Geschähe das aber, hätte CNN die goldene Gelegenheit, US-Fähnchen auf den Balkonen Bagdads triumphierend in alle Welt auszustrahlen. So ist die amerikanische Invasion also berechtigt? Hassan zuckt mit den Schultern. Die Frage sei schwierig zu beantworten. Das Gros des irakischen Volkes wisse gar nicht, was vor sich gehe. Bagdad, der ganze Irak seien wie ein abgelegenes Dorf. Bei seiner Ankunft in Bagdad nahm ihm die Grenzpolizei sämtliche Magazine und Zeitungen ab. Internet gebe es nur für ausgesuchte Leute, und die angewählten Websites würden kontrolliert, ebenso die E-Mails. Satellitenfernsehen ist streng verboten und das Abhören von «feindlichen» Radiosendern lebensgefährlich.

Manchmal wünsche er sich, dass die US-Amerikaner diesen Zuständen ein Ende bereiten würden. Aber das sei illusorisch. «Die ärmeren Iraker, die ich kennen gelernt habe – und es sind fast alle arm –, sagen: ‘Möge Saddam und seine Clique der Teufel holen. Amerika ist des Teufels. Sollen sie also kommen, die Amis! Aber wenn der Teufel weg ist, was kommt dann? Wir wagen nicht daran zu denken.’» Hassan lehnt sich zurück: «Siehst du? Das ist unser Dilemma. Wir wollen die Amerikaner, und wir wollen sie nicht. Sie können vielleicht reinhauen, aber befreien, wie es die Leute heimlich wünschen? Das können sie nicht. Ich hasse es, unser arabisches Dilemma.»