Israel: Noch ist Arafat in Ramallah
Der erste Angriff gegen Syrien seit dreissig Jahren.
Der israelische Luftangriff gegen ein angebliches Ausbildungslager islamistischer Gruppen in Syrien zeigt unübersehbar, dass sich die verfahrene Lage im Nahen Osten einer Explosion nähert. Paradoxerweise ist der Angriff in Syrien dennoch weniger dramatisch, als es die befürchtete Alternative wäre. Das Attentat des Islamischen Dschihad in einem Restaurant in Haifa, das neunzehn Menschen tötete, schien nämlich die Gelegenheit zu bieten, auf die die Regierung von Ariel Scharon wartete. Vor drei Wochen hatte die israelische Regierung bekannt gegeben, dass sie Jassir Arafat aus den palästinensischen Gebieten ausweisen werde. Und noch während man in Haifa die Leichen zählte, verlangte ein Minister die Umsetzung dieses Entscheids.
Der angekündigten Ausweisung Arafats liegt weit mehr zugrunde als die alte Rivalität, die Scharon gegenüber dem palästinensischen Präsidenten zu hegen pflegt. Und selbst die autistische israelische Führung, die das Land in eine historische Tragödie treibt, muss wissen, dass es nicht so einfach ist, Arafat auszuweisen. Womöglich würde die israelische Armee Arafat bei der Kommandoaktion töten. So oder so wären die folgenden Auseinandersetzungen ungemein heftig. Das verdeutlicht eines: Der eigentliche Plan ist es, Friedensverhandlungen zu verunmöglichen und gleichzeitig die Bedingungen zu schaffen, um tausende von PalästinenserInnen aus ihren Häusern zu vertreiben. Die Ausweisung Arafats soll helfen, den Traum der fundamentalistischen nationalistischen Gruppen zu verwirklichen, die Israel zurzeit regieren.
Die Armeeführung gehörte früher zu den vergleichsweise moderaten Kräften. Heute ist sie die wichtigste Achse in der Koalition extremer Kräfte – gefangen in der archaischen Vorstellung, dass Terrorismus durch militärische Mittel vernichtet werden kann. So liess der Befehlshabende der Armee, Mosche Yaalon, bei Beginn der «Hudna», dem innerpalästinensischen Waffenstillstand, der bis zum Wiederbeginn der israelischen «gezielten Tötungen» islamistischer Militanter und Anführer anhielt, verlauten, dass dieser Waffenstillstand ein Siegeszeichen sei. Der Wandel in den Konzepten der Armee hatte begonnen, als General Schaul Mofas 1998 das Kommando übernahm. Seine rechtsextremen Ansichten übertrugen sich während der letzten Jahre auf die täglichen militärischen Operationen. Als er seinen Job schliesslich aufgab, landete er dort, wo er hingehört: in den Armen Scharons. Mofas ist heute Verteidigungsminister. Somit gibt es niemanden mehr, der die Armee kontrollieren oder mässigen kann.
Für Leute wie Mofas bedeuten schon Verhandlungen ein Desaster. Denn Verhandlungen bringen letztlich mit sich, dass ein Teil der besetzten Gebiete aufgegeben werden muss, dass einige Siedlungen geräumt werden müssen. Ein Teil dieser extremen Rechten will die PalästinenserInnen massenhaft vertreiben. Diese Kreise vertreten Ansichten, die in Teilen einer faschistischen Ideologie ähneln. Die Morde während der «Hudna», der Entscheid, Arafat auszuweisen – das sind keine Ergebnisse mangelnder Voraussicht der israelischen Führung. Sondern das Resultat einer kalkulierten Politik, die Frieden unmöglich machen will. Wenn die Gefahr von Verhandlungen einmal abgewendet ist, können die 1967 besetzten Gebiet annektiert werden. Und wenn es dabei nur genug brennt, entsteht auch die Möglichkeit zur «ethnischen Säuberung» in den palästinensischen Gebieten.
Noch ist Arafat in Ramallah. Doch der Angriff gegen Syrien gehört zur Politik gegen Verhandlungen. Sie bedroht nicht nur die PalästinenserInnen. Sie ist auch eine Gefahr für die Zukunft Israels. US-Präsident George Bush riskiert mit seiner gefährlichen Nahostpolitik seine Wiederwahl. Im Falle von Ariel Scharon steht jedoch viel mehr als eine simple Wiederwahl auf dem Spiel: Seine Politik kann den ganzen Nahen Osten in Brand setzen.