Kriegsökonomie: Kriegerisches Geschäft

Der internationale Handel mit Drogen, Diamanten, Waffen, Schutzzöllen, Entführungen und Menschen floriert. Das globale Bruttokriminalprodukt verzeichnet Rekordwerte.

956 Milliarden US-Dollar gaben die Regierungen der Welt im Jahr 2003 für Waffenkäufe aus. Laut dem schwedischen Friedensforschungsinstitut Sipri sind die Zahlen so hoch wie noch nie. Und sie widerspiegeln «nur» die staatlichen, also offiziellen Rüstungsausgaben. In über vierzig innerstaatlichen Kriegen und bewaffneten Konflikten stehen einander Konglomerate von Regierungssoldaten, Rebellen, Söldnern, Kriegsfürsten und Kindersoldaten gegenüber: Wer sie jeweils bezahlt, wird selten transparent gemacht.

Armeen und Rebellengruppen führen heute Krieg, als wären sie Wirtschaftsunternehmen. Davon handelt der Sammelband «Kriege als (Über)Lebenswelten», herausgegeben von der Politologin und Lateinamerika-Spezialistin Sabine Kurtenbach und vom Sozialwissenschaftler und Friedensforscher Peter Lock. Das Buch behandelt die aktuellen Dynamiken von bewaffneten Konflikten und Bürgerkriegen. Armeen lagern militärische Aktivitäten aus an Söldnerfirmen – an so genannte «Private Military Companies» – wie jüngst die US-Streitkräfte im Irak. Rebellengruppen setzen auf den international vernetzten Handel mit Drogen, Diamanten, Waffen und Menschen. Plünderungen, Schutzzölle und Entführungen gehören ebenso zu den Mitteln der Kriegsführung wie die Rekrutierung von arbeitslosen Jugendlichen als Kindersoldaten.

Schattenglobalisierung

So entsteht ein weltweites Bruttokriminalprodukt, das nie Eingang findet in öffentliche Statistiken. Laut Lock beträgt es über 1500 Milliarden US-Dollar, knapp die Hälfte davon trägt der Drogenhandel bei. Lock bezeichnet diese Wirtschaftssphäre als Schattenglobalisierung.

Die Ursache sieht Lock in der neoliberalen Öffnung der Märkte, die 1,2 Milliarden Jugendlichen weltweit keine «Chance zur Erwerbstätigkeit» gebe. Selbst die optimistischsten Wachstumsprognosen brächten zu wenig Wirtschaftswachstum, um junge Menschen in die reguläre Ökonomie zu integrieren. Als Ausweg müssten sie in den Sphären der Schattenglobalisierung nach Arbeit suchen – bei Rebellen, Drogenhändlern oder als ArbeitssklavInnen. Die Schattenglobalisierung ist kein abgeschlossenes Wirtschaftssystem. Kriminelle Netzwerke sind auf eine reguläre Wirtschaft angewiesen: als Abnehmerin von Rohstoffen und Diamanten, beim Einkauf von Waffen oder als Lösegeldzahlerin. Und: «Um erfolgreich zu sein, müssen sich die Kriegsparteien als leistungsfähige Gewaltunternehmer in den Netzwerken der Schattenglobalisierung bewähren.»

Die Grenze zwischen Krieg und Nicht-Krieg werde immer diffuser, schreibt Lock. Es falle immer schwerer, Krieg und Gewaltkriminalität gegeneinander abzugrenzen. Ein Beispiel: In Rio de Janeiro werden jährlich gleich viele Personen umgebracht wie in manchen Kriegsgebieten. Doch niemand bezeichnet Rio als Kriegsgebiet. Lock schlägt deshalb einen neuen Gewaltbegriff vor. Statt von Krieg spricht er von «regulativer Gewalt». Darunter versteht er die Androhung und den Einsatz von physischer Gewalt, um ungleiche Tauschverhältnisse durchzusetzen.

Entführungsindustrie

Ein solch «ungleiches Tauschverhältnis» sind zum Beispiel Entführungen. Die Pax Christi-Mitarbeiterin Marianne Moor liefert in ihrem Beitrag interessante Zahlen zur «Entführungsindustrie», die immer auch Teil von Kriegsökonomien ist. Drei Viertel aller Entführungen weltweit geschehen in Lateinamerika, vor allem Kolumbien ist davon betroffen. 1987 gab es in Kolumbien 500 Entführungen, 1990 schon 1000, im Jahr 2000 bereits 3706 Fälle. Die letzten Zahlen stammen aus dem Jahr 2002 mit 4200 Entführungen. Es ist ein florierendes Gewerbe.

Die britische Versicherungsgesellschaft Hiscox schätzt, dass die Guerillagruppen in Kolumbien zwischen 1987 und 2001 mit Lösegeldern 632 Millionen US-Dollar erwirtschafteten. Besonders lukrative Opfer sind AusländerInnen. Gemäss den Recherchen Moors sind Lösegeldforderungen von über einer Million US-Dollar keine Seltenheit. Für den Vizepräsidenten eines japanischen Unternehmens verlangte die Rebellenorganisation «Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens» FARC im Jahr 2001 rund 27 Millionen US-Dollar. Mit dem Geld kaufen die Guerilleros neue Waffen und rekrutieren neues Personal für neue Operationen. Auch die «Nationale Befreiungsarmee» ELN hatte 1985 ihren militärischen Aufschwung mit den Lösegeldzahlungen für drei entführte Mannesmann-Mitarbeiter finanziert. Die zwanzig Millionen US-Dollar halfen der Guerilla-Gruppe, plötzlich – statt wie vorher an drei – an elf Fronten aktiv zu sein.

Liegt nun die Motivation, Gewalt auszuüben, allein in einer Nutzen maximierenden Bereicherung? Gibt es einen Homo oeconomicus des Krieges? Der Politologe Michael Ehrke kritisiert diese einseitige Feststellung. Die Ursache von Bürgerkriegen liege zwar in der Gier der Konfliktbeteiligten und nicht bei den ökonomischen und politischen Missständen. Aber es sollten auch Umverteilungsprozesse hinsichtlich Macht und symbolischer Güter in die Analyse von Konflikten einbezogen werden. Sonst würden Konflikte entpolitisiert, einer Rebellion ihre Legitimität abgesprochen und Armut entproblematisiert. Das wäre dann eine «Konfliktanalyse als Vollendung neoliberalen Denkens».

Netzwerke zum Überleben

Die AutorInnen des Sammelbandes betrachten die wirtschaftliche Schattenglobalisierung differenziert und – angesichts der aktuellen Terrorismus-Diskussionen – ohne sie zu verteufeln. Sie weisen zu Recht darauf hin, dass informelle und kriminelle transnationale Netzwerke eine wirtschaftliche Überlebensstrategie sein können. Sie setzen ihre Hoffnung auf so genannte «Inseln der Zivilität»: Gruppen und Organisationen, die versuchen, sich der Logik der Gewaltakteure zu entziehen. Der Sammelband bietet eine interessante Mischung aus Theorie – zum Teil sich widersprechend – und konkreten Fallanalysen (Algerien, Brasilien, Georgien, Indien, Palästina). Diese helfen, die Theorie besser zu verstehen.

Sabine Kurtenbach (Hrsg.) und Peter Lock (Hrsg.): Kriege als (Über)Lebenswelten. Schattenglobalisierung, Kriegsökonomien und Inseln der Zivilität. J.H.W. Dietz Nachf. Bonn 2004. 325 Seiten. Fr. 22.30