Letzte Runde im Osloer Friedensprozess: Was für ein Palästina darf es sein?

Auch wenn die in der letzten Woche aufgenommenen israelisch-palästinensischen Verhandlungen über den «endgültigen Status», den ein palästinensischer Staat einmal haben soll, bereits wieder auf der Stelle treten, ist es nach den sechs Jahren des «Osloer Friedensprozesses» schon aufregend, dass beide Seiten immerhin so weit gekommen sind. Den Verhandlungen liegt ein ambitionierter Zeitplan zugrunde, der prinzipielle Übereinkunft bis zum Februar nächsten Jahres verlangt und eine definitive Vereinbarung bis zum kommenden September. Doch das ist ganz und gar unrealistisch, solange Israel nicht bereit ist, die 1967 im Sechs-Tage-Krieg besetzten Gebiete wieder zu räumen und das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge anzuerkennen. Diese Probleme, deren Behandlung über Krieg und Frieden im Nahen Osten entscheiden, werden sich im diplomatischen Geplänkel nicht lösen lassen. Sie verlangen sowohl politische Bereitschaft als auch eine strategische Vision. Und das eine wie das andere gibt es zurzeit nicht. Tatsache ist deshalb, dass wir immer noch ganz am Anfang eines langen und qualvollen Prozesses stehen.

Immerhin bedeutet die Verständigung auf abschliessende Verhandlungen schon einen Schritt weg von der anderen «endgültigen Lösung»: Sie drückt wechselseitige Anerkennung und den Wunsch nach dauerhaftem Frieden aus. Dieser allerdings ist erreichbar nur dann, wenn der politische Wille besteht, die Wurzeln des Konfliktes zu behandeln und nicht allein dessen Syptome. Die palästinensischen Flüchtlinge einerseits, die israelischen Siedler andererseits können symbolisch für diese Wurzeln stehen, für den Anspruch beider Seiten auf das Land.

Wie mit diesen Ansprüchen umgehen, nachdem sie sich ja nicht mehr grundsätzlich ausschliessen sollen? Beide Seiten müssten vorab ihre strategischen Zielvorstellungen definieren. Ist es Trennung oder Integration? Ist es Trennung, die irgendwann einmal zu einer Form der Integration führen soll? Ist das Ziel ein binationaler Staat oder eine Zwei-Staaten-Lösung? Die Frage ist von zentraler Bedeutung, und sie verlangt eine verbindliche Antwort: Geht es in Richtung Libanon oder in Richtung Jugoslawien? Oder bleibt für die palästinensische Frage doch nur die kurdische Lösung?

Die palästinensische Seite fordert auf Grundlage der wichtigen Uno-Resolutionen eine «rechtliche Trennung», die zu einem unabhängigen Staat in Gaza und dem Westjordanland mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt führen soll. Auf der anderen Seite will die israelische Regierung unter Ehud Barak lediglich eine «physische Trennung» der Israelis von den PalästinenserInnen, stellt aber zugleich mit der Unterstützung der SiedlerInnen in den besetzten Gebieten weiterhin Ansprüche auf palästinensischen Boden.

Diese Politik zielt auf eine weitere Fragmentierung des palästinensischen Territoriums und ein Apartheid-System: eine totale palästinensische Abhängigkeit von Israel und eine permanente Trennung der israelischen von der palästinensischen Bevölkerung, deren billige Arbeitskraft in speziellen Industriezonen vernutzt werden soll. Dies ist genau das Rezept für Instabilität, Elend und Gewalt, für ein Palästina, das zu einem Polizeistaat verkommt und ganz und gar nicht attraktiv für Kapital der palästinensischen Diaspora oder andere ausländische Investitionen sein wird.

In dieser Entwicklung sind die PalästinenserInnen freilich längst nicht mehr nur die Opfer. Die palästinensische Autonomiebehörde (PA) Jassir Arafats kann nicht weiterhin auf das Völkerrecht pochen und gleichzeitig selbst die Menschenrechte verletzen. Mehr noch: Mit seiner wirtschaftlichen Entwicklung kann Palästina nicht bis zu einem befriedigenden Abschluss der Verhandlungen warten. Der nationale Aufbau ist die vorrangige Aufgabe, und es gibt viel, das die PA heute schon tun kann, um die demokratischen Institutionen von morgen zu stärken und den Lebensstandard der Bevölkerung zu heben.

Israel seinerseits sieht sich mit der wohl grössten existenziellen Herausforderung seit Beginn der Besetzung 1967 konfrontiert. Polarisiert zwischen dem nach vorne schauenden, säkularen Tel Aviv und dem in der Vergangenheit lebenden, religiös und ultranationalistisch dominierten Jerusalem ist Israel fünfzig Jahre nach seiner Gründung weit davon entfernt, ein normaler Staat zu sein. Dieser Bruch zwischen zwei einander entgegengesetzten Weltsichten wird durch die fortwährende Besetzung Palästinas verstärkt. Drei Jahrzehnte lang wurde Israel entweder von Generälen oder von einer seltsamen Koalition der harten Rechten mit religiösen Fundamentalisten regiert. Und paradoxerweise geriet das Land je mächtiger es nach dem Sieg über die arabischen Armeen im Sechs-Tage-Krieg wurde, desto mehr in wirtschaftliche, militärische und kulturelle Abhängigkeit von den USA.

Fünfzig Jahre nach Erlangung seiner Unabhängigkeit müsste Israel die Gelegenheit der abschliessenden Verhandlungen ergreifen, um mit der Normalisierung seines Lebens in der Region zu beginnen, um weniger zionistisch, dafür demokratischer zu werden, mehr ein Land all seiner BürgerInnen als ein Staat für die Jüdinnen und Juden aus aller Welt. Die politische Führung muss mit der kolonialen Vergangenheit (und Gegenwart) ins Reine kommen, und sie muss ihre palästinensischen Opfer um Vergebung bitten, so wie sie es kürzlich gegenüber den nordafrikanischen EinwanderInnen (Mizrahim) getan hat.

Auf die Dauer liegt die wirkliche Garantie für Israels Sicherheit darin, den inneren Frieden zu fördern und ein souveränes Palästina zu unterstützen, mit einer florierenden Zivilgesellschaft und starken staatlichen Institutionen. Was die PalästinenserInnen angeht, so müssen sie begreifen, dass nach dem Ende des bewaffneten Kampfes nunmehr die harte Arbeit des Staatsaufbaus begonnen hat. Sie können nur sich selbst dafür verantwortlich machen, wenn sie sich als unfähig erweisen sollten, die notwendige Einheit und Verantwortlichkeit aufzubringen, um aus ihrer Heimat ein lebenswertes Land zu machen.