Margarida Rebelo Pinto: Die moderne «Latina»

Die portugiesische Autorin mag Helden, verabscheut Fussball und ist mit ihren Büchern in jedem Supermarkt präsent.

«Ich bin diejenige, die Portugal zum Lesen gebracht hat!» behauptet die portugiesische Erfolgsautorin Margarida Rebelo Pinto kühn. In ihrem Heimatland ist sie ein Phänomen. Jedes ihrer Bücher wurde innert kürzester Zeit zum Bestseller, über eine halbe Million hat sie bis anhin verkauft. Nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass am westlichen Rand von Europa wenig bis kaum gelesen wird. (Es sei denn, das geschriebene Wort lasse sich aus Fussballzeitungen konsumieren.) Er habe gar nicht gewusst, dass in Portugal überhaupt so viele Leute lesen könnten, witzelte ein Showmaster, als er Margarida Rebelo Pinto vor kurzem in seiner Sendung auf ihren immensen Erfolg ansprach.

Grosse Auflagenzahlen erreichen unter den lebenden AutorInnen Portugals nur bekannte Schriftsteller wie Antonio Lobo Antunes oder der Literaturnobelpreisträger José Saramago. Rebelo Pinto zählt sich nicht zu den grossen LiteratInnen. Sie schreibt Trivialliteratur. Bücher, die von allen gelesen werden, von denen aber keiner zugibt, dass er sie liest. Sie schreibe Herzschmerzgeschichten für TeenagerInnen und Menschen mit geringer Schulbildung, bekommt zur Antwort, wer portugiesische Bekannte auf die Erfolgsautorin anspricht.

Auch in Portugal ist suspekt, wer Erfolg hat und sich allzu gerne in Szene setzt. Doch Rebelo Pintos Romane lassen sich nicht bloss auf simple Romanzen reduzieren. Scharfzüngig und mitunter auch sehr witzig zeichnet die Autorin und Kolumnistin ein kritisches Bild der modernen portugiesischen Gesellschaft. Und auch wenn die Plots in ihren Romanen nicht immer bis ins Detail ausgeklügelt sind, erfährt man doch einiges über Land und Leute. So beschreibt sie zum Beispiel in ihren Büchern den sprichwörtlichen Konservatismus des Nordens: «Eine Bank aus Porto in Lissabon. Die sind bestimmt nicht hier, um aufzufallen. Sie geben sich diskret und effizient, wie es der Lebensart im Norden entspricht.» Oder: «Ich bin vier Minuten zu spät, was in Portugal so ist, als käme man eine Viertelstunde zu früh.»

Und natürlich fehlt es auch nicht an bösartigen Beschreibungen der portugiesischen Männer, die sich in ihren Partnerschaften zwar alle Freiheiten herausnehmen, aber gleichzeitig stets von der Angst getrieben sind, ihre Frauen könnten es ihnen gleichtun. Doch nicht nur der Machismo, auch das Äussere des portugiesischen Mannes scheint der ehemaligen Modejournalistin zu missfallen: «Als ob es nicht reichen würde, dass die Portugiesen nicht besonders gut aussehen», schimpft sie in einem ihrer Romane, «nein, sie müssen sich auch noch alle hässlich kleiden.»

Ich vereinbare mit der Autorin ein Gespräch. Die endlose Fahrt führt mich in einen noblen Vorort von Lissabon. Eine Hausangestellte in karierter Schürze öffnet die Tür. «Schätzchen, ich habe ein Interview. Ich rufe dich gleich zurück!» Margarida Rebelo Pinto stürmt, das Mobiltelefon ans Ohr gepresst, den langen Flur entlang. «Ich bin gleich so weit!» Die 39-Jährige erinnert unwillkürlich an die Protagonistinnen, die sie in ihren Romanen beschreibt. Sie ist gross, blond, dünn und sehr modisch gekleidet.

Im Gegensatz zu den Männern haftet den Frauen in Rebelo Pintos Romanen nichts Provinzielles an. Meist sind es Portugiesinnen zwischen fünfundzwanzig und vierzig, die ihre Zeit hauptsächlich damit verbringen, den «Richtigen» zu finden und sich nebst dieser offensichtlich nicht zu unterschätzenden Aufgabe zuweilen auch noch als Modejournalistinnen oder Grafikerinnen betätigen. Eine «Generation Chic», die sich zwischen Trendlokalen und Vernissagen bewegt. Orte, die genau so austauschbar sind wie die Dutzenden von Schuhen, die Rebelo Pinto ihr Eigen nennt.

Im Wohnzimmer der Schriftstellerin dominiert das Farblose: ein weisser Teppich mit buntem Muster, ein weisses Sofa, an den Wänden dezent gerahmte Fotos ihrer selbst, daneben auch eines ihres achtjährigen Sohnes. Die lange Fensterfront bietet eine atemberaubende Sicht auf den Fluss Tejo. «Du trägst hübsche Schuhe», begrüsst sie mich endlich. Das Telefon klingelt erneut. «Entschuldige bitte, aber das ist Brasilien.» Rebelo Pintos erster Roman «Sei là», was so viel heisst wie «was weiss ich», erscheint dieser Tage auch in Südamerika. Und damit man in der ehemaligen Kolonie versteht, wovon im einstigen Mutterland die Rede ist, hat Rebelo Pinto zuhinterst im Buch ein Glossar untergebracht.

«Ich möchte, dass meine Bücher eine grösstmögliche Verbreitung finden», sagt sie. Im Gegensatz zu den im Ausland bekannten portugiesischen Autoren versteht sie sich nicht als Chronistin der portugiesischen Gesellschaft. Ihr Interesse gelte den urbanen, erfolgreichen Frauen, der «modernen Latina». Das Hauptproblem in diesem Land sei übrigens, dass es keine Helden mehr gebe. Keine Könige, keine Seefahrer, kein Imperium. Aus diesem Grund hätten die PortugiesInnen auch wenig Selbstbewusstsein. Sie schaffe eine Art moderne «Prinzessinnen». Identifikationsfiguren für Frauen, denen der Zugang zur Hochglanzwelt verwehrt ist. Für sie als Tochter eines Psychologen sei ja wohl klar, dass sie sich sehr für das menschliche Gefühlsleben interessiere, meint Rebelo Pinto.

Mit den Gefühlen von Fussballfans hat sich die Autorin bislang nicht auseinander gesetzt. Und das wird sie mit grosser Sicherheit auch in Zukunft nicht, obwohl sie das Spiel – zumindest in ihrem Land – näher bei der Kultur und der Wissenschaft ansiedeln würde als im Sport. Aber ihre Reaktion auf das magische Stichwort ist schlicht und unmissverständlich: «Ich verabscheue Fussball!» Und die Erklärung folgt auch sofort: «Fussball raubt den Männern die Zeit, die sie mit ihren Frauen und Familien verbringen sollten!» Bei einem Sieg der Portugiesen würde sie trotzdem nicht unglücklich abseits stehen. Schliesslich haben auch erfolgreiche Fussballer das Zeug zum Helden.

Margarida Rebelo Pinto: Wer einmal liebt. Heyne Verlag. München 2003. 272 Seiten. Fr. 18.50