Nach dem 11. September 2001: Zeit für das wahre Ding

Nach dem Terror, der auch ein medialer war, kamen die Tage der Drohungen. Aber Krieg hilft nicht weiter.

Was wir am 11. September erlebten, war ein «crash of civilisation». Aber es gibt keinen Grund, in Anspielung auf Samuel G. Huntingtons Aufsatz «The clash of civilisations» von einem Krieg der Zivilisationen zu sprechen. Mit dieser Formel würde die Welt in Gut und Böse eingeteilt, ganze Regionen wie die arabische Welt ausgegrenzt und eine neue Bipolarität geschaffen. Sie würde die Sicherheit nicht erhöhen – im Gegenteil. Adäquat können wir nur agieren und reagieren mit einer Weltinnenpolitik, die nicht nur den Westen und den Norden, sondern auch den Osten und den Süden einbezieht. Die einzig glaubwürdige Instanz dafür ist die Uno – nicht aber die Nato, und zwar aus zwei Gründen: Die Nato denkt und handelt rein militärisch – und gerade diese Logik ist den neuen Herausforderungen nicht gewachsen. Zudem vertritt die Nato nur den reichen Norden und Westen der Welt.

Laut dem Sicherheitsexperten Kurt Spillmann müssen die Wurzeln des Terrorismus auch damit bekämpft werden, dass man dafür sorgt, die Lebensbedingungen der Ärmsten und Armen dieser Erde zu verbessern (Radio DRS, 12.9.01). Seit dem Fall der [Berliner] Mauer haben die kriegerischen Auseinandersetzungen und die Konflikte nicht abgenommen, sie haben zugenommen. Was wir auf dem Balkan, im Nahen Osten, in Afrika an Konflikten erleben, ist ein Modell der kriegerischen Auseinandersetzungen unterhalb der eigentlichen Kriegsschwelle und – ebenfalls neu – immer weniger beschränkt auf Staaten. Eine solche Entwickung war schon im 20. Jahrhundert sichtbar, aber nun scheint sie im 21. Jahrhundert ihre katastrophalen Folgen zu entfalten.

Aber es gibt Perspektiven. Für sie einzustehen und sie umzusetzen braucht es allerdings Zivilcourage, republikanisch-liberales Denken und einen kühlen Kopf, oder in den Worten des amerikanischen Kolumnisten William Pfaff in der «Herald Tribune» vom 12. September: Die Angriffe zeigten, dass «politische Klugheit und Mut die einzig echte Verteidigung» seien.

Es gibt dafür ein erprobtes Modell, das integriert und nicht ausgrenzt und das wir alle kennen: Es ist die Demokratie, verbunden mit einer fairen wirtschaftlichen Entwicklung als Gegenpol zum globalisierten Neoliberalismus. Ebenso wichtig sind der Dialog zwischen den Kulturen und die Bereitschaft, Konflikte zivil auszutragen und nicht mit militärischer Gewalt. Zwar sind all diese Instrumente unvollkommen und auf langfristige Prozesse angelegt. Doch nur sie schaffen Sicherheit, und das alte Wort, dass es die Solidarität ist, die Sicherheit schafft, ist richtiger denn je. Eine militärische Logik hingegen versagt letztlich auch auf ihrem ureigenen Gebiet, indem sie Sicherheit mit Krieg herbeiführen will und echte Sicherheit damit gerade verhindert.

Natürlich sind unsere Sicherheitsdispositive zu überprüfen; im Kanton Zug schenkt die Kantonspolizei seit dem 11. September den Gebäuden amerikanischer Firmen ein besonderes Augenmerk und hat weitere Massnahmen getroffen: Sofort wurde ein Lagebüro eingerichtet, und der Kontakt mit den Bundesbehörden läuft permanent. Auch auf der Ebene der Zentralschweiz arbeiten wir vernetzt, und zu überprüfen ist auch, ob das Wef in Davos überhaupt noch durchführbar ist.

Ein liberaler Staat kann nur um den Preis seines eigenen Selbstverständnisses seinen Bewohnerinnen und Bewohnern die totale Sicherheit versprechen. Dass Sicherheit ein viel feiner gesponnenes Netz ist, auch ein Netz ist, das verletzlich ist, das wissen wir. Dass unsere Zivilisation nicht nur eine Weltgesellschaft, sondern auch eine Risikogesellschaft ist, hat uns der 11. September schmerzlich bewusst gemacht. Machen wir weiter mit unserer oftmals schwierigen Arbeit an einer Weltgesellschaft, die diesen Namen verdient, denn die neoliberale Globalisierung schafft weder Sicherheit noch Gerechtigkeit. Dass es eine Weltgesellschaft gibt, die auf Fairness, Toleranz und Würde beruht, sind wir den vielen Opfern des heimtückischen und ruchlosen Terroranschlags in den USA schuldig.