Ob im Flugzeug oder im Zug: Davos sehen und sterben!

Was tun während des Wef? Ein finaler Reiseführer.

Willkommen, Fremder, willkommen, Fremde, in Davos!

Wir hoffen, Sie werden einen Pass, gute Nerven, winter- und feuerfeste Kleidung mitbringen. (Immerhin werden von der Presse gigantische Attentate für möglich erklärt: Seien Sie also gerüstet, wenn Sprengstoffe explodieren, das Dorf brennt oder die Trümmer- und Leichenteile eines gekaperten, von einer F/A-18 abgeschossenen Jumbojets auf Sie herabregnen.) Beobachten Sie also Mitmenschen, verlassene Gepäckstücke und den Himmel!

Beobachten Sie auch sonst – zu Ihrem Vergnügen! Sie werden wie ein Gespenst Ihre Kindheitserinnerungen sehen: Skis, Glühwein, mit Holz verschalten Beton. Und Sie werden den Geruch der Skiferien riechen: Pommes Frites, Schnee, Kälte und Kaffee Schnaps. Sie werden viele Waffen und Kilometer von Nato-Draht sehen. Sie werden 2000 rosige und gut genährte Delegierte aus aller Welt sehen, etwas gehetzt und in Kaschmir und mit dem Natel am Ohr. Sie werden fast vergessene Schulkolleginnen wieder treffen, die unterwegs zur nächsten konspirativen Sitzung sind, ebenfalls mit dem Natel am Ohr. Sie werden in die Mündung einiger hundert Maschinenpistolen glotzen, im Ohr das Brummen von Helikoptern, das Fiepen von Walkie-Talkies, die Rufe nach internationaler Solidarität. Und Sie werden vielleicht den Polizeieinsatz befürworten, wenn mit dem Auffahren der Wasserwerfer quäkend die «Kumbaya»-Chöre der christlichen Gruppen erklingen, die sich an den Händen fassen – wie einst in der Arena, wenn die Löwen kamen.

Davos während des Wef ist ein irrer Ort, verzerrt von einer Überdosis Macht. Rund 500 Politiker mit Entourage. Die CEOs von 1000 riesigen, meist internationalen Firmen, ein Kapital von rund sechs Billiarden Dollar repräsentierend. 500 anderweitig wichtige Leute: Expertinnen, Künstler und sonstige Schwätzerinnen. Überall Journalisten. Fast 1500 Polizisten und Militärs. Horden ganz normaler Touristinnen. Livrierte Diener. Bodyguards mit gebeulten Achseln, mit Körpern wie aus federndem Stahl und Gesichtern aus zu Stein gewordener Langeweile. Mitglieder von Hilfswerken und NGOs. Anarchistinnen mit Arafat-Tuch. Trotzkisten im Anorak. Amerikaner. Russen. Afrikaner. Vielleicht auch die al-Kaida. Alles ist da. Und dies alles in einem Dorf, das im Wesentlichen aus Beton, Bergen und einer einzigen Promenade von dreissig verschlenderten Minuten besteht. Kein Wunder, ist das Wef ein Spektakel, ein Chaos, das globale Hauptquartier für Paranoia.

Also: Willkommen, Fremder! Auch wenn Sie Opfer eines verabscheuenswürdigen und schlecht gezielten Attentats werden sollten – für tolle und wilde Tage vor Ihrem Ableben ist gesorgt. Dank den Diskussionsveranstaltungen des «Public Eye». Dank der Demonstration des Oltner Bündnisses. Und nicht zuletzt dank dem genialen Forum des Professors Schwab.
Zu Letzterem vielleicht eine kleine Gebrauchsanweisung:

1. Tom-Sawyer-Overdose. Bei seiner Gründung 1971 war das Wef nur eines dieser Manager-Meetings unter hundert anderen: Man redet, man fährt Ski, man geniesst die Zeit abseits der Familie. Der geniale Dreh des Wef war sein geradezu Tom-Sawyer-haftes Marketing. Das Forum deklarierte: 1. Management trifft nicht nur Management, sondern auch Politik. 2. Wir nehmen nur die wirklichen Leader. (Firmen müssen mindestens eine Milliarde Umsatz haben.) 3. Wir verbessern die Welt.
Diese Vorgaben schmeichelten von Jahr zu Jahr prominenteren Teilnehmenden. Das Problem war, dass die Teilnehmenden zu prominent wurden. Und dass dadurch in einer zunehmend unübersichtlicheren Welt plötzlich ein Ort entstand, wo sich Leute trafen, die behaupteten, tatsächlich an den Hebeln zu sitzen. Und damit ein Ort, an den die Klagen über transnationale Missstände gerichtet werden können. Kurz: Professor Schwab machte mit dem Wef nicht nur den grössten Prominentenklub, sondern gleichzeitig auch das grösste Reklamationsbüro der Welt auf.

2. Ku-Klub-Klan. Im Grunde funktioniert das Wef als Klub – seine Aufgabe neben Weltrettungs-Entertainment ist vor allem das Networking. Fatal an der Sache ist, dass das Networking plötzlich zu gut funktioniert – auch für nicht Geladene. (Etwa Sie, Fremder!) Längst haben sich Presse, NGOs und abenteuerlustige Oppositionelle an das Forum angehängt – nicht nur im Forum, sondern auch auf den Strassen trifft man Menschen aus der ganzen Welt. Reisen Sie ruhig allein: Einsamkeit ist in Davos ein Fremdwort.

3. Schleim-Dilemma. Warum kommt das als Networking-Instrument so beispiellos erfolgreiche Wef in fast allen Debatten derart schlecht weg – warum produziert es so viel Banalitäten und Quatsch? Der erste Grund dafür besteht darin, dass seine supererfolgreichen Werbeslogans «Wir sind die global Verantwortlichen!» und «Wir verbessern die Welt!» propagandistischer Selbstmord sind. Auf Vorwürfe seiner Kritiker, die sozialen, ökonomischen, ökologischen Katastrophen dieser Welt betreffend, können die Global Leaders nur zwei Antworten geben: a) Ja, wir sind die Schurken, die für den ganzen Schrott verantwortlich sind. b) Nein, wir sind zwar nominell mächtig, aber auch nur die ersten, hilflosen Opfer des Sachzwangs. Beide Antworten sind gleich ehrenrührig. Deshalb mäandriert das Wef in endlosen Sätzen und Leerformeln vor sich hin. Und verliert trotz 500 handverlesenen Eierköpfen jede Propagandaschlacht.

4. Öffentlichkeit als Gift. Der zweite Grund für die Schwäche des Wef ist, dass ein Klub nur exklusiv ein Klub bleibt – sein primärer Service besteht aus offener Aussprache unter Gleichen. Deshalb kann sich das Wef auch keine Öffentlichkeit leisten: Will man miteinander Klartext reden, kann man keine Presse – und schon gar nicht Gegnerinnen – gebrauchen. (Planen Sie beispielsweise eine Demonstration, wären Sie auch nicht entzückt, Reporterinnen und Polizisten im Raum zu haben.)

5. Beleidigungs-Perpetuum-Mobile. Da nun aber Presse, NGOs und Demonstrierende zu hunderten einmarschieren, muss das Wef interne Hierarchien schaffen – und beleidigt andauernd Leute: Gehätschelte Starjournalisten beklagen Zensur und Nichtzugänglichkeit der interessantesten Meetings (letztes Jahr verbot das Wef seine offizielle Hauszeitung nach einem Artikel über «Media-Apartheid»; NGOs beklagen den folgenlosen Dialog mit Firmen (so sprach etwa Greenpeace durchaus fruchtbar mit der Autoindustrie – nur nahmen die Autobosse nach dem Meeting nicht mehr den Hörer ab); Demonstrierende werden durch halb kriegsartige, halb halbherzige Abwehrmassnahmen effizient in Weissglut versetzt.

6. Bubble Brainstorming. Also muss das Wef seine Existenz mit grossen Erfolgen und weitreichenden Plänen rechtfertigen. Nur sind CEOs wie Politiker viel zu gehetzt (und mit persönlichem Networking beschäftigt), um überhaupt einen klaren Gedanken fassen zu können. (Diskutieren Sie einmal das Aids-Problem in neunzig Minuten.) So ist das Resultat der Wef-Debatten zwar so gut wie immer gut fürs Ego, aber eine Beleidigung fürs Gehirn.

7. Der Sound macht die Musik. Nicht wohin die Passagiere laufen, sondern wohin der Zug fährt, ist von Bedeutung. Also ist das einzige wahre Resultat des Wef der jeweilige Status quo des globalen Irrtums: Ob New Economy, Fusionen, Genetic Hype – die Kernaussage des Wef ist, völlig unbeschadet einiger kritischer Zwischenbemerkungen, jeweils die Selbstverstärkung der neusten Mode, die Rechtfertigung des neusten Stands des globalen Irrtums: Kurz, die Party der neoliberalen Clique.
Also: Wo immer das Wef hinkommt, es verursacht Aufsehen, Kosten, Unmengen von Blabla, Enttäuschungen, Wut, Hektik, Irrealität, Unfug und massenweise Spass – Letzteres, falls man dagegen ist.

Was also tun? In zwei Wörtern, Fremder: sich amüsieren. Da das Wef und die Öffentlichkeit Gegensätze sind, genügt allein die persönliche Anwesenheit, um eine weitere Reisszwecke in den Sarg des Wef zu drücken. Egal, ob Sie Intellektueller, Christin, Krawallant oder alles zusammen sind: Die Masse, die Vielstimmigkeit, Hektik und Chaos schaden genug.
Der spannendste Zeitvertreib dürften die öffentlich zugänglichen Kongresse des «Public Eye» sein: die Diskussionen, wo und wann konkret weltweit etwas gemacht wurde. (Hier braucht es zwar manchmal etwas Geduld: Oft kommen die Teilnehmenden aus aller Herren Kontinenten – und müssen einander erst in langen Monologen darlegen, worum es überhaupt geht.) Trotzdem ist das «Eye» die einzige Chance, intellektuell etwas zu erfahren.

Warme Wef-Luft hingegen kann man in den Diskussionen des Open Forum schnuppern – Diskussionen, die vom (durchaus bemühten!) Wef mit ein paar internationalen CEOs, lokalen Prominenten und einer Hand voll windelweicher NGOs organisiert wurden: die richtige Gelegenheit, globale Leaderatmosphäre mitzubekommen.
Für das Abendprogramm sei die Mitnahme eines Anzugs oder Deux-Pièces empfohlen. Teure Bars (sehr empfehlenswert: der Schweizerhof) sind ein paar Drinks zur Beobachtung der globalen oberen tausend wert. Erfreulich ist, wie banal die Konversationen oft sind: «It’s great doing business in China!» Oder wie weniger prominente Wef-Mitglieder selbst prominentengeil sind: «Look there: This is Swiss minister Pascal Couchepin!» Alternativ dazu kann man bei einem Martini darüber nachdenken, was man tun könnte, wenn man jetzt ein bartloses Al-Kaida-Mitglied wäre.

Also Willkommen, Fremde, hereinspaziert, Fremder! Davos ist ein Spektakel, irgendwelche Schlafplätze finden sich irgendwie irgendwo immer (etwa in der Jugendherberge), und es wird durchaus ein stilvoller Spass, seine eventuell letzten Tage in Davos zu verbringen – bevor die typischen Davoser Krankheiten (herabstürzende Jumbos, fehlgeleitete Sprengstoffe, die Tuberkulose oder das Blabla) Ihnen den stahlblauen Himmel näher bringen.