Popautorinnen: Ihr glamourös-zerbrechliches Leben

Egal ob in Kurzgeschichten oder in einem Roman, in Deutschland lebende Popautorinnen haben derzeit viel zu erzählen.

Identifikationsangebote für Frauen haben zugenommen. So behauptet es eine Gesellschaft, die zwar tausend Möglichkeiten bietet, aber genauso konsequent aussiebt. In akademischen feministischen Diskursen ist nicht abgebildet, wie eine Generation, die gerade erwachsen wird, damit umgeht – eher schon in der Literatur, in der sich mehr Kulturproduzentinnen durchsetzen als in anderen Genres.

An dokumentationswürdigen Sehnsüchten mit Grund zum Ausrasten fehlt es jedenfalls nicht, meint Françoise Cactus. Die in Deutschland lebende Französin und Leaderin der Trashband Stereo Total stellt mit «Neurosen zum Valentinstag» ihren dritten Kurzgeschichtenband vor. Darin spleent sie sich in poetischer Schwelgeform durch Gefühle und spielt mit klassischen Frauenklischees, um sie in einer Welt zwischen Traum und Wirklichkeit ins Absurde zu steigern. Jede der zwölf Geschichtchen lässt sich entweder hyperventilierend aufgeregt oder leidenschaftlich hauchend lesen, so sehr scheinen Cactus’ Heldinnen ihre glamourös-zerbrechlichen Leben selbst in den dramatischsten Momenten zu geniessen: «Deutlich spürte ich in mir den Wunsch, intensiver zu leben», heisst es auch auf dem Rücken von Cactus’ buntem Einband, auf dem die Autorin übrigens fasziniert in Norman Mailers Marilyn-Monroe-Biografie blättert.

Ob Pamelas quälende Erkenntnisse über das Älterwerden beim Frisör, Berthe Bovarys melancholische Anekdoten über ihre legendäre Mama oder die absurden Erinnerungen Mias an eine chaotische Spanienreise – Cactus beschreibt die Ereignisse mit so besessenem Hang zum grossen Drama und durchlebt jedes Klischee mit so viel Emphase, dass aus ihren Soaps kleine Opern werden. Ob die Tränen im Gesicht vom Lachen oder Weinen kommen, kann dabei manchmal offen bleiben. Cactus mag nicht auf Schnulzen und comichafte Komik verzichten, egal was die Wirklichkeit von ihr will.

Dass der Sprung zwischen Fantasie und Realität nicht immer im performativen Akt tragikomischen Rollenspiels aufgeht, weiss hingegen Kerstin Grether. Die Ex-«Spex»-Redaktorin ist Fachfrau für die von Werbung und Popkultur durchdrungene Wirklichkeit. Noch mehr als Kollegin Cactus setzt sie dabei auf eine den LeserInnen fast entgegenspringende Sprache: Von Wortmelodien getragen durchschreiten ihre Heldinnen die Subkultur Hamburgs, während Zitate von Songs und TV-Spots in ihren Monologen die reizüberflutete Aussenwelt mitspiegeln. Während Angebote für ein besseres Leben an jeder Ecke bereitliegen – Ricky, Kicky und Micky bilden eine Riot-Grrrl-Band, die energiegeladenen feministischen Rock kickt, während die nicht gerade auf den Mund gefallene Journalistin Alita weiblichen Starletts kritische Fragen stellt – gerät Sonja, die Protagonistin des Romans, in eine Sinnkrise, an deren Ende die Magersucht steht. Es ist mitreissend und selbst im schlimmsten Moment unterhaltsam, wie Grether ein detailliertes Psychogramm zeitgenössischen Popmädchenseins zeichnet. Auf 200 Seiten beobachtet sie genau, ohne sich dabei nur eine Sekunde für den pädagogischen Blick moralisierender Distanz zu entscheiden. Genau das macht «Zuckerbabys» in den schönen Momenten noch schöner und in den schrecklichen noch schrecklicher. Dass Grether in ihrem zeitgenössischen Stück Popliteratur Affirmation und Untergang nebeneinander denken kann, macht sie zu einer Ausnahme unter den sonst zumeist kräftig posenden SchriftstellerInnen des Genres.

Wo bei Grether die Nachdenklichkeit tief in den Figuren versteckt bleibt, damit sie sich noch direkter im literarischen Jetzt verselbständigen, hat die Münchnerin Ulrike Draesner den Drahtseilakt gewagt, poetisch-reflexive Sprache und kühl stilisierten Gegenwartssprech in ihrem neuen Kurzgeschichtenband «Hot Dogs» ineinander zu weben. Ihre Gegenwart beginnt in der genetischen Reproduzierbarkeit, in der Ära der Samenspende und des Gen-Experiments, ihre Figuren scheinen auf unsentimentale Art befreit von der biologischen Angewiesenheit aufeinander. Gina zum Beispiel, beliebt aufgrund ihres relaxten Lifestyles, sammelt die Spermien ihrer zahlreichen Lover, um sie an Samenspendeorganisationen in Kalifornien zu verkaufen. Leben kann sie davon ganz gut, aber wie sich eine andere Form der Beziehung zum männlichen Geschlecht gestalten soll, bleibt offen. Die Unabhängigkeit der Menschen voneinander besitzt in «Hot Dogs» immer einen Hauch der Bedrohung: In einer Geschichte kommt gegen die familiäre Verbindung eines inzestuösen Geschwisterpaares keine andere Beziehung mehr an. In einer anderen lässt sich eine Frau konsequenterweise von einem anderen Mann schwängern, wo es «ihrer» nicht kann – entwürdigt von dem Blick des Lovers fühlt sie sich trotzdem.

Das kann alles manchmal konzeptionell zu klar gestrafft sein, um zu überzeugen, bleibt aber aufgrund einer unglaublichen sprachlichen Gewandtheit auf hohem Reflexionsniveau jederzeit spannend. Die Kunst, aus ihren Figuren keine Opfer zu stilisieren, zeichnet Draesner, Grether und Cactus als auf die Wirklichkeit reagierende Schreiberinnen aus.

Françoise Cactus: Neurosen zum Valentinstag. Rowohlt Berlin Verlag. Berlin 2004. 160 Seiten. Fr. 26.80

Ulrike Draesner: Hot Dogs. Luchterhand. München 2004. 190 Seiten. Fr. 33.60

Kerstin Grether: Zuckerbabys. Ventil Verlag. Mainz 2004. 202 Seiten. Fr. 21.30