Raketen gegen Politiker in Palästina: Abu Ali Mustafa, ermordet

Diesmal trafen die israelischen Raketen wieder ihr Ziel. Abu Ali Mustafa, 63 Jahre alt, bürgerlicher Name Mustafa Ali Zibri, wurde in seinem Büro in Ramallah, in der Metropole der palästinensischen Autonomiegebiete, zerfetzt. Abu Ali Mustafa war bis am Montag der Generalsekretär der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), also der Vorsitzende der wichtigsten linken palästinensischen Partei. Wie nur ganz wenige palästinensische Politiker verkörperte er persönliche und politische Integrität, vergleichbar etwa mit dem deutlich jüngeren Marwan Barghuti aus der Fatah-Bewegung, der vor vier Wochen einem israelischen Raketenangriff knapp entging.

Abu Ali Mustafas Geschichte ist die Geschichte der palästinensischen Linken. Schon als 17-Jähriger schloss er sich der damals, zu Beginn der fünfziger Jahre, entstehenden panarabistischen Befreiungsbewegung an, der Arabischen Nationalen Bewegung (ANB). 1965 absolvierte er einen eigens für Palästinenser eingerichteten Lehrgang an einer ägyptischen Offiziersschule und gründete die ersten Fedajin-Einheiten der ANB, ihre Guerilla im Kampf gegen die israelische Besetzung Palästinas.

Ende der sechziger Jahre wandelte sich die Bewegung zu einer marxistischen palästinensischen Partei: zur PFLP. Zu den Gründern der PFLP gehörten Abu Maher al-Jamani, der die PFLP lange in der Exekutive der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO vertrat; Wadi Haddad, der für die militärischen Operationen verantwortlich war und seine Politik der Flugzeugentführungen später ausserhalb der PFLP weiterführte; George Habasch, der erste Generalsekretär; und Abu Ali Mustafa. Dieser wurde bei der Gründung der PFLP im Dezember 1967 zum stellvertretenden Generalsekretär gewählt. Er blieb es bis letztes Jahr, als Habasch alters- und krankheitsbedingt zurücktrat – bemerkenswert in der arabischen Welt, in der politische Führungspositionen in aller Regel lebenslänglich eingenommen werden. Abu Ali Mustafa, zwölf Jahre jünger als Habasch, wurde zu dessen Nachfolger gewählt. Im Gegensatz zu Habasch und Haddad, die aus bürgerlichen christlichen Familien stammen, kam der muslimische Abu Ali Mustafa aus einfachen Verhältnissen. In jungen Jahren schlug er sich als Gelegenheitsarbeiter durch; es heisst, er habe zeitweilig als Zuckerbäcker gearbeitet.

Mit der PFLP erlebte er alle bisherigen Stationen des palästinensischen Kampfes im Exil: die Kriege in Jordanien und Libanon, die vorläufige Aufnahme in Syrien. Habasch war seit den frühen achtziger Jahren gesundheitlich angeschlagen, Abu Ali Mustafa leistete deshalb praktisch die ganze Arbeit an der Spitze der Partei. Erst 1999, sechs Jahre nach Abschluss der Oslo-Abkommen und dem Beginn der palästinensischen Teilautonomie, liess er sich schliesslich in Ramallah, in den palästinensischen Gebieten, nieder. Denn die palästinensische Linke fand sich mit den Folgen der Oslo-Abkommen, die sie als faktische Kapitulation ablehnt, nie richtig zurecht.

Sollten die exilierten ParteifunktionärInnen in die autonomen Gebiete zurückkehren, obwohl sie die Autonomieabkommen ablehnten? Und sich unter die Kontrolle Israels und der Behörden Jassir Arafats begeben? Die Situation klärte sich unter dem Druck der Realität schnell: Wer in Gaza und der West Bank nicht anwesend war, verlor schnell an Einfluss. So gingen immer mehr «Kader» zurück – durchaus nicht immer auf Parteibeschluss, sondern oft getrieben von der elenden Lage der PalästinenserInnen in Libanon und anderswo. Sie konnten tun, was den allermeisten der vier Millionen Flüchtlinge immer noch verwehrt bleibt: abhauen, in die teilautonomen Gebiete gehen. Dort waren sie zwar der Korruption und Repression von Arafats Apparat ausgesetzt, liessen jedoch zumindest all die fremden Mächte und Geheimdienste, die sich in die palästinensische Politik und das palästinensische Leben im Exil einmischen, hinter sich. Die Rückkehr Abu Ali Mustafas aber war die politische Entscheidung der PFLP, das Schwergewicht ihrer Arbeit und ihrer Präsenz nach innen zu verlegen: als innerpalästinensische Opposition und im Kampf gegen die andauernde israelische Besetzung.

Gerade im «Innern», in den Autonomiegebieten, verliessen in den neunziger Jahren viele engagierte Menschen die linken Parteien; sie arbeiteten fortan in Menschenrechts-, Medien-, Frauen- und Entwicklungsorganisationen. Die strengen leninistischen Parteistrukturen der PFLP und die trockene, an Worthülsen erinnernde Sprache der siebziger Jahre waren vorab für junge AktivistInnen wenig attraktiv. Daran änderte auch die Verjüngung der Parteigremien wenig. Doch heute, nach elf Monaten Volksaufstand und bewaffneten Auseinandersetzungen, ändert sich dies. Die Stimmung in den palästinensischen Gebieten ähnelt derjenigen der achtziger Jahre, heisst es heute aus Ramallah. Die Parteien haben Terrain zurückgewonnen, sie sind in den Strassen wieder präsenter. Sie bestimmen das politische Leben immer mehr. Die Autonomiebehörden sind geschwächt und ohne Autorität. Längst führen die linken und die islamistischen Gruppen geheime Gespräche und haben eine Art Untergrundführung mit entsprechenden Strukturen aufgebaut. Die Linke, nicht nur die PFLP, nahm in den neunziger Jahren eine Auszeit. Sie überliess die Konfrontation mit der Besetzung bis vor kurzem den beiden islamistischen Bewegungen Hamas und Dschihad mit deren wahnwitzigen Aktionen. Nun meldet sie sich langsam zurück.

Ganz offensichtlich zielen die israelischen Anschläge auf diejenigen, die eine klare politische Linie haben. Auf diejenigen, die den Willen und die Mittel haben, ihre Forderungen nachdrücklich zu vertreten. Auf diejenigen, die Glaubwürdigkeit und Integrität besitzen. Der Mord an Abu Ali Mustafa wird diese radikalen Kräfte, die den gescheiterten so genannten Friedensprozess von Anfang an ablehnten, stärken. Und das ist gut so. Denn sie werden die faulen Lösungen ablehnen, die Besetzung und Herrschaft doch nur anders verpacken wollen. Sie werden sich nicht kaufen und sich nicht um den Finger wickeln lassen. Wenn sie über «Frieden» reden, dann meinen sie wirklich Frieden – einen gerechten, gewollten Frieden, weder Gemauschel noch Zwang. Wer wirklich Frieden will, muss die radikalen PalästinenserInnen dafür gewinnen. Besonders jene rationalen linken Kräfte, die dann auch in der Lage wären, das rückwärts gewandte islamistische Gesellschaftsprojekt zu blockieren.