Raus aus dem Irak!: Volle Souveränität

Nicht nur die Besatzungsmächte müssen Reparationen zahlen. Sondern auch all die anderen Staaten, die Saddam Hussein unterstützten.

Besatzungsmächte haben Verantwortung, aber keine Rechte. Ihre Hauptverantwortung besteht meiner Meinung nach darin, so schnell wie möglich abzuziehen, und zwar in einer Art und Weise, über die die besetzte Bevölkerung entscheidet.

Daraus folgt, dass die von Prokonsul Paul Bremer angeordneten Massnahmen illegitim sind und aufgehoben werden müssen – inklusive jener Erlasse, die die irakische Wirtschaft praktisch in die Hände westlicher (vor allem US-amerikanischer) Banken und multinationaler Konzerne gegeben haben. Auch die Flat Tax* in Höhe von fünfzehn Prozent muss verschwinden – sie ist nicht nur ungerecht, sondern blockiert den Weg für dringend benötigte Sozialausgaben und den Wiederaufbau. Ohne ökonomische Souveränität sind die Chancen für eine gesunde Entwicklung gering. Ohne diese Souveränität steht die politische Unabhängigkeit nur auf dem Papier. Über die Modalitäten des Rückzugs müsste also die irakische Bevölkerung entscheiden. Aber es ist nicht einfach, die Meinung von Menschen herauszufinden, die unter militärischer Besatzung stehen – sie tendieren dazu, den entscheidenden Fragen auszuweichen. Aber es gibt ein paar Informationen. Ausführliche Umfragen im März (also noch vor den jüngsten Auseinandersetzungen, Anm. der Red.) haben ergeben, dass rund siebzig Prozent der Bevölkerung eine Kontrolle des Landes durch IrakerInnen befürworten, fünf Prozent waren der Ansicht, dass der von den USA eingesetzte Regierungsrat die Verantwortung für die Sicherheit übernehmen sollte. Rund sieben Prozent wollten die US-Truppen in der Verantwortung belassen, weitere fünf Prozent sprachen sich für eine Kontrolle durch die «Koalitionstruppen» aus.

Die Befragung wurde von westlichen Meinungsforschungsinstituten vorgenommen, andere Antwortmöglichkeiten waren nicht vorgesehen. Von daher wissen wir auch nicht, wie viele IrakerInnen einer verantwortlichen Rolle der Uno zustimmen würden. Fest steht aber, dass nur ein Prozent der Befragten der Meinung ist, die Invasion hätte dem Ziel gedient, im Irak eine Demokratie durchzusetzen (und nur fünf Prozent glaubten, sie sei erfolgt, um der irakischen Bevölkerung zu helfen).

Sollte den IrakerInnen wirklich die volle Souveränität übertragen werden, gibt es auch keine Rechtfertigung mehr für die gigantische Botschaft (die Rede ist von 3000 US-amerikanischen Botschaftsangehörigen in Bagdad, Anm. der Red.), die die Besatzer errichten wollen. Ebenfalls aufgegeben werden müssen die Pläne, dauerhafte Militärstützpunkte im Zentrum der grössten Energiereserven einzurichten. Denn damit hätten die BesatzerInnen einen mächtigen Hebel für eine Kontrolle der Welt in der Hand.

Eine grosse Mehrheit der US-Bevölkerung glaubt, dass die Uno (und nicht die USA) die Verantwortung übernehmen und zusammen mit den IrakerInnen die Übergabe der vollen Souveränität, den wirtschaftlichen Wiederaufbau und die Aufrechterhaltung der zivilen Ordnung sichern sollte. Das ist eine vernünftige Position, der die IrakerInnen zustimmen könnten. Allerdings müsste dabei die Uno-Vollversammlung – und nicht der von den Invasoren stärker kontrollierte Sicherheitsrat – die Federführung haben.

Über den Wiederaufbau haben die IrakerInnen alleine zu entscheiden – er darf kein Mittel sein, sie weiter zu kontrollieren, wie das Washington derzeit plant. Um den Aufbau zu finanzieren, braucht es Reparationszahlungen, nicht nur Hilfe. Dafür aufzukommen haben all jene Staaten, die die irakische Zivilgesellschaft durch ihre Sanktionen und militärischen Aktionen zerstörten – und Saddam Hussein unterstützten, während der seine schlimmsten Gräueltaten beging. Das ist das Minimum, was der Anstand verlangt.

* Die Flat Tax ist eine Einheitssteuer auf Einkommen, Unternehmensgewinne und Umsatz.

Noam Chomsky ist Professor am Massachusetts Institute of Technology. Er schreibt regelmässig für die WOZ und «Le Monde diplomatique».