«Trilobiten»: Krabbeltiere von gestern

Trilobit im Wappen der Gemeinde Skryje nad Berounkou, Tschechien

300 Millionen Jahre lang waren sie ein wichtiger Bestandteil der Tierwelt, vor 200 Millionen Jahren starben sie aus, und heute sind die Trilobiten ein Fall für SpezialistInnen. Oder doch nicht nur für SpezialistInnen: Richard Fortey, leitender Paläontologe des Londoner Natural History Museum, ist diesen merkwürdigen Tieren, die wie Kämme ausschauen und entfernte Verwandte der Spinnen sind, seit seiner Jugend verfallen. Für sie reiste er um die halbe Welt und hämmerte ihre fossilen Überreste auf Spitzbergen und in Thailand, in Marokko und in China frei. Im Laufe der Zeit ist er einigen ihrer Geheimnisse auf die Spur gekommen. Zum Beispiel, dass sie ihre Umwelt durch eine Linse aus Kalzit sahen, einer besonders reinen Form von Kalziumkarbonat. Und nun sind seine Lieblinge Gegenstand eines reich bebilderten Buchs.

Aber mehr noch als eine Darstellung von Forteys Erkenntnissen ist «Trilobiten» ein Buch, das Streiflichter auf die Geschichte und Kultur der Paläontologie und ihrer Exponenten wirft. Der Autor kramt in seinen Erinnerungen an verdiente Fachkollegen, Querelen und Kontroversen. Er streift auf informative Art wichtige Debatten der Paläontologie der vergangenen Jahre – etwa die Frage, ob im Kambrium (vor rund 550 Millionen Jahren) eine eigentliche Explosion des Lebens stattgefunden habe oder nicht. Fortey neigt aufgrund von Untersuchungen über Ähnlichkeiten im Körperbau kambrischer Lebewesen zur Ansicht, dass die Entwicklung viel schleichender vor sich gegangen sei, die Entwicklung höherer Tiere also viel früher eingesetzt habe als gemeinhin angenommen.

Forteys Trilobitenfunde trugen aber auch dazu bei, die Lage der Kontinente vor knapp 500 Millionen Jahren zu bestimmen. Damals lag der Riesenkontinent Pangäa noch im Pazifischen Ozean und die nordamerikanische Platte um neunzig Grad gedreht auf dem Äquator. Ganz nebenbei gibt der Autor einen kleinen Benimmkurs in wissenschaftlicher Nomenklatur für den Fall, dass Sie eines Tages eine neue Art entdecken sollten: Man soll sich bei der Benennung einer neuen Art nicht selber verewigen – und nicht seinen wissenschaftlichen Rivalen mit einer besonders unansehnlichen Spezies.

Ein Genuss ist die reichhaltige Bebilderung des Buches. Angesichts der hier manifestierten Vielfalt des Ähnlichen wächst die Bewunderung für die wissenschaftliche Geduld und Präzision, mit der Fortey und seine Arbeitskollegen Ordnung und System in diese durch die geologischen Wirrnisse von 300 Millionen Jahren nur noch bruchstückhaft vorhandene Fossilienwelt bringen. Insgesamt ist «Trilobiten» eine typisch englische Verbindung von wissenschaftlicher Kompetenz und gelungener Unterhaltung – für alle, die in die Welt der Trilobiten eintauchen wollen. Und nicht zuletzt ist der lange Atem des Wissenschaftlers Fortey ein Trost angesichts der Vergänglichkeit alles Irdischen – in einer kurzlebigen Zeit wie dieser.

Richard Fortey: Trilobiten. Fossilien erzählen die Geschichte der Erde. DTV. München 2004. 271 Seiten. Fr. 17.60