Uno: Ohne Abzug keine Stabilität

Grösste Aussichten auf Akzeptanz hätte eine aus BlauhelmsoldatInnen und PolizistInnen bestehende Friedensmission der Uno.

Weiter so mit der desaströsen Politik der letzten vierzehn Monate und immer tiefer in den mesopotamischen Morast bis hin zur Wahlniederlage im November: Das ist die Quintessenz der Rede, mit der US-Präsident George Bush Anfang der Woche vor allem die US-amerikanischen WahlbürgerInnen zu überzeugen suchte, er habe ein Konzept zur Befriedung, Stabilisierung und Demokratisierung des Irak oder auch nur eine Exitstrategie für die dort stationierten knapp 140000 US-amerikanischen BesatzungssoldatInnen. «Die Iraker sind ein stolzes Volk, das ausländische Kontrolle über seine Angelegenheiten ablehnt.» Diesen einzigen klugen Satz seiner Rede hat Bush entweder selber nicht verstanden. Oder aber er hält die Welt tatsächlich für so blöd, seiner Propaganda zu glauben, die in seiner Rede und in dem gleichzeitig vorgelegten Entwurf für eine neue Uno-Resolution enthaltenen Vorschläge würden die ausländische Kontrolle der irakischen Angelegenheiten beenden.

Unabhängig von den USA hat Europa «ein erhebliches Eigeninteresse an der politischen und wirtschaftlichen Stabilisierung des Irak und darüber hinaus der gesamten Nahostregion». Wie oft haben europäische PolitikerInnen – auch in der Schweiz – diesen Satz in den letzten Monaten von sich gegeben? Ein völlig richtiger Satz. Nur müssten die EuropäerInnen endlich anfangen, entsprechend ihrem «erheblichen Eigeninteresse» zu handeln und die weiteren Entwicklungen relevant zu beeinflussen. Die möglicherweise letzte Chance hierzu wäre ein klares, grundsätzliches und öffentliches Nein zu dem angloamerikanischen Entwurf für eine neue Irakresolution der Uno. Stattdessen beschönigt der – lange Zeit als erster EU-Aussenminister gehandelte – deutsche Aussenminister Joschka Fischer diese Blaupause für eine fortgesetzte Katastrophe im Irak als «sehr gute Grundlage, auf der ein Konsens erreicht werden kann».

Die auffallend kritischere Reaktion Frankreichs nimmt zwar eine Reihe wunder Punkte ins Visier. Doch auch Paris drückt sich um das zentrale «Detail»: Nach allem, was in den letzten vierzehn Monaten im Irak passiert ist, wird es keine Befriedung des Landes geben (geschweige denn Stabilisierung, Demokratie und wirtschaftliche Genesung), solange dort US-amerikanische und britische Truppen stationiert bleiben. Und zwar auch dann nicht, wenn diese Truppen künftig als «multinationale Streitmacht» mit Uno-Mandat verkleidet auftreten. Und unabhängig davon, wie ihre Kompetenzen und ihr Verhältnis zu einer irakischen Interimsregierung in einer Uno-Resolution schliesslich geregelt würden.

Eine Chance, keine Garantie, aber immerhin eine Chance für eine Wende zum Besseren im Irak gibt es überhaupt nur, wenn die bisherigen Besatzungstruppen abziehen. Und dies je eher, desto besser. Soweit stimme ich mit den beiden US-Amerikanern Howard Zinn und Noam Chomsky völlig überein. Ich folge auch den Vorschlägen Chomskys für die Wiederherstellung der ökonomischen Souveränität Iraks und dem Plädoyer Zinns für eine internationale zivile Präsenz aus FriedensstifterInnen und UnterhändlerInnen sowie von Wiederaufbaukräften.

Allerdings glaube ich im Unterschied zu Zinn, dass es zumindest bis zum Zeitpunkt allgemeiner, freier Wahlen auch einer internationalen Sicherheitspräsenz im Irak bedarf. Das Modell, das bei der irakischen Bevölkerung die grössten Aussichten auf Akzeptanz hätte, wäre eine aus Blauhelmsoldatinnen und Polizisten bestehende Friedensmission der Uno – zusammengesetzt aus Militär- und Polizeikontingenten solcher Länder, die nicht am Irakkrieg beteiligt waren, darunter unbedingt auch islamischer Staaten.

Bislang wurde dieses Modell immer schnell abgetan: Die Bush-Regierung würde es nie zulassen, Uno-Generalsekretär Kofi Annan habe die Entsendung von Blauhelmen ausgeschlossen, und 150000 SoldatInnen und PolizistInnen liessen sich als Ersatz der bisherigen Besatzungstruppen weltweit ohnehin nicht finden. Doch die Besatzungstruppen müssen nicht 1:1 ersetzt werden. Eine Uno-Friedensmission wäre wegen des völlig anderen politischen Ansatzes und der höheren Akzeptanz mit 30000 bis 40000 Soldaten und Polizistinnen ausreichend gross. Annan hat eine solche Mission keineswegs grundsätzlich abgelehnt, sondern sie angesichts bislang mangelnder Bereitschaft aus den Uno-Mitgliedsstaaten lediglich für unrealistisch erklärt. Und was die Bush-Regierung angesichts einer drohenden Wahlniederlage zulassen würde, wäre erst einmal ernsthaft auszutesten.

Eine Chance hätte dieses Modell also nur, wenn es endlich von europäischen Staaten – im Idealfall gemeinsam mit einigen islamischen Ländern – vorgeschlagen würde. Ein solcher Vorschlag müsste natürlich auch die Bereitschaft einschliessen, sich an einer solchen Mission aktiv zu beteiligen. Spätestens dann wäre auch der in Deutschland erzielte Konsens zu überprüfen, der als Ersatz für konstruktive Politik herhalten muss: «Keine eigenen Soldaten in den Irak», darauf hatten sich alle von der Friedensbewegung bis zur CDU/CSU geeinigt. Auch in der Schweiz wäre dann eine Dis-kussion über die Beteiligung an einer Uno-Friedensmission fällig.