USA: Heimlicher Feldzug der Einwanderungsbehörden: Einbuchten und schweigen

Mit Sonderregelungen und Razzien zielt der Kampf gegen den Terrorismus in den USA vor allem auf arabische ImmigrantInnen.

Seit dem 14. Dezember 2001 sitzt Rabih Haddad in einem Chicagoer Gefängnis in Einzelhaft. Die Fenster seiner Zelle wurden zugemalt. Pro Monat darf er fünfzehn Minuten lang mit seiner Familie telefonieren. Das Vergehen des libanesischen Staatsangehörigen: Überziehen des Touristenvisums. Rund 1200 Männer nahöstlicher Herkunft wurden nach dem 11. September 2001 in den USA verhaftet. Rabih Haddad ist nur einer der schätzungsweise 300, die nach Angaben von Amnesty International heute noch mit fadenscheiniger Begründung gefangen sind. Sie werden laut einem kürzlich veröffentlichten Bericht der Menschenrechtsorganisation grundsätzlicher Rechte beraubt. Gegen viele von ihnen erfolgte die Anklage erst Wochen oder Monate nach ihrer Verhaftung. Ein Saudi sass 119 Tage lang ohne Angabe von Gründen im Gefängnis.

Eine am 17. September 2001 in Kraft gesetzte «Übergangsregelung» ermöglicht diese den internationalen Menschenrechtsstandards widersprechende Behandlung. Gemäss der Verordnung darf die US-Einwanderungsbehörde INS «unter ausserordentlichen Umständen» ausländische Staatsangehörige auf unbestimmte Zeit festhalten, ohne Anklage zu erheben. Die INS erhielt dabei auch die Befugnis, Urteile von RichterInnen zu ignorieren, die eine Freilassung anordnen. Und dies obwohl die amerikanische Einwanderungsbehörde seit Jahren von allen Seiten des politischen Spektrums wegen undurchschaubarer bürokratischer Vorgänge und ihrer notorischen Inkompetenz kritisiert wird. Im März blamierten sich die EinwanderungsbeamtInnen ein weiteres Mal, indem sie die Visumsanträge von zwei mutmasslichen Attentätern auf das World Trade Center posthum bewilligten.

Weitere im Namen des Kampfes gegen den Terrorismus eingeführte gesetzliche Neuerungen sorgen dafür, dass die amerikanischen Behörden in ihrem Vorgehen gegen arabische und islamische ImmigrantInnen unbehelligt von der Öffentlichkeit bleiben: Verhandlungen vor den Einwanderungsbehörden sind seit dem letzten September geheim, der Zugang von AnwältInnen und Familienangehörigen zu Gefangenen ist massiv eingeschränkt. Eben hat die INS in Absprache mit dem Justizdepartement die Beamten der lokalen Einwanderungsämter erneut angewiesen, keine Angaben über ihre Gefangenen herauszugeben. Eine pakistanische Frau fand ihren Ehemann und ihren Bruder erst nach dreimonatiger Suche in einer New Yorker Haftanstalt – nachdem man ihr zunächst versichert hatte, sie befänden sich nicht dort. Amnesty International schildert Fälle von Gefangenen, denen untersagt wurde, einen Rechtsbeistand zu kontaktieren, und von Anwälten, die erfolglos versuchten, ihre Klienten in den Wirrungen des Gefängnissystems aufzuspüren. Einige Gefangene haben auch mehrere Monate nach ihrer Verhaftung keinen Rechtsvertreter. Doch selbst wenn die Kontaktaufnahme gelingt, ist das nur von beschränktem Nutzen: Neuerdings sind Lauschangriffe auf Gespräche zwischen Angeklagten und ihren AnwältInnen erlaubt.

Amnesty berichtet auch, dass in verschiedenen Gefängnissen arabische oder islamische Inhaftierte von Aufsehern und Mitgefangenen misshandelt worden sind. So soll ein Wärter im Passaic County Jail einen Gefangenen mit dem Kopf voran in einen Tisch gerammt haben. Der Betroffene, der kein Englisch versteht, hatte nicht sofort auf einen Befehl reagiert. Besonders unmenschlich sind die Umstände, unter denen über vierzig Männer in einer Haftanstalt in Brooklyn gefangen gehalten werden. Obwohl den meisten von ihnen bloss geringfügige Verstösse gegen Einwanderungsvorschriften zur Last gelegt werden, für die normalerweise eine Busse auferlegt wird, sind sie im Hochsicherheitstrakt interniert. Dort verbringen sie 23 bis 24 Stunden pro Tag in Einzelzellen, die rund um die Uhr erleuchtet sind. Wenn sie ihre Zellen einmal kurz verlassen dürfen, werden sie in Ketten gelegt.

Inzwischen unternimmt die Einwanderungsbehörde nach mehrjährigem Unterbruch wieder gezielte Razzien auf Schwarzaufenthalter. Dabei konzentriert sie sich auf Angehörige von arabischen und nahöstlichen Staaten, die dem Ausweisungsbefehl nicht gefolgt sind. Nun plant die INS bereits den nächsten Coup: Die Aufenthaltsdauer für BesucherInnen mit Touristenvisum soll von sechs Monaten auf 30 Tage verkürzt werden. Schweizer TouristInnen, die 35 Tage lang in Florida am Strand liegen, werden aber auch in Zukunft kaum Einzelhaft zu befürchten haben. Die bleibt Menschen aus dem Nahen Osten vorbehalten. Denn der Kampf gegen den Terrorismus wird nach rassistischen Kriterien geführt.