Pilze: Delikate Ausserirdische

Nr. 38 –

Ist der Kahle Krempling gefährlich? Wo wächst der Gemeine Samtfussrübling? Was ist das überhaupt, ein Pilz? Antworten kennt der neue «Pilzführer Schweiz».

Schon als Kind faszinierten sie mich, wenn ich ihnen auf meinen Streifzügen durch den Wald begegnete: die Nebelkappen mit ihren Hexenringen. Die Tintlinge, die mit der Zeit zu einer ekligen schwarzen Sauce zerlaufen. Die Boviste, aus denen beim Drauftreten Wolken von Sporen aufwirbeln. Und natürlich die Fliegen- und Pantherpilze mit ihren weissen Tupfen. Aber essen mochte ich keine Pilze. Ihre Konsistenz war mir unheimlich, kam mir vor wie etwas Ausserirdisches. Manche sahen auch so aus.

Später wurde ich dann doch zur Pilzliebhaberin. Als ich auch noch von gewissen halluzinogenen Wirkungen hörte, begann ich sogar wieder Pilzbücher zu lesen. Doch um diese geht es hier nicht (Interessierte informieren sich bitte beim Solothurner Nachtschatten Verlag), sondern um ein ganz «normales», ausgezeichnetes Pilzbuch, das kürzlich erschienen ist.

Der «Pilzführer Schweiz» stellt über 150 Arten mit Farbfotos vor - wo nötig mit mehreren Bildern zur gleichen Art, die die Pilze in verschiedenen Altersstufen, von oben und unten und im charakteristischen Umfeld zeigen. Auch auf mögliche Verwechslungen wird genau eingegangen. Der «Pilzführer Schweiz» ist aber noch viel mehr als ein Bestimmungsbuch. Was ist eigentlich ein Pilz? Warum ist er keine Pflanze? Warum lassen sich viele Pilzarten nicht züchten? Was passiert bei einer Pilzvergiftung? Auch zu diesen Punkten geht das Buch ins Detail. Elf verschiedene Vergiftungssyndrome werden mit grausigen Details beschrieben. Viele Pilzgifte wirken erst stark verzögert oder nach mehrmaliger Einnahme. Deshalb werden heute noch neue Gifte entdeckt: Das Gift Orellanin im Orangefuchsigen Raukopf führt erst Wochen nach dem Essen zu einem schweren Nierenschaden. Der Kahle Krempling kann jahrelang problemlos gegessen werden, bis plötzlich, wenn ein gewisses Quantum erreicht ist, ähnlich wie bei Leukämie lebensgefährlich die roten Blutkörperchen zerfallen. Und wer Faltentintlinge isst und dazu (oder auch noch drei Tage später!) Alkohol trinkt, erleidet einen Kreislaufkollaps.

Ein anderes faszinierendes Thema ist die Symbiose von Pilzen und Bäumen. Was wir als Pilz bezeichnen, ist nur der kleine, sichtbare Teil eines grösseren Lebewesens. Ausgedehnte Geflechte aus Pilzfäden durchziehen den Boden. Viele Pilzarten gehen eine Lebensgemeinschaft mit einer bestimmten Baumart ein: Die Pilzfäden umgeben die feinen Wurzeln des Baumes mit einem dichten Gewebe. Sie tauschen mit dem Baum Nährstoffe aus und schützen ihn vor Schadstoffen und Krankheitserregern. Ohne sie wären ganze Wälder nicht lebensfähig. Der Pilzführer zeigt, welche Arten mit welchen Bäumen zusammenleben. Das erleichtert natürlich auch die Pilzsuche.

Wer sich nun auf die Suche nach dem Gemeinen Samtfussrübling, dem Natternstieligen Schneckling oder der Ziegenlippe macht, muss auch noch einiges wissen. Zum Beispiel, dass Pilze in Plastiksäcken ganz schnell zu modern beginnen. Und welche Sorten auf keinen Fall gesammelt werden dürfen, weil sie zu selten sind. Und wie das Gesammelte am besten konserviert wird. Auch hier überzeugt der «Pilzführer Schweiz». Eine kleine Auswahl von Pilzrezepten ergänzt das Buch. Und die Fotos sind wunderschön.

Markus Flück: Pilzführer Schweiz. Haupt Verlag. Bern 2006. 288 Seiten. Fr. 39.90