«Im Zeichen des Edelweiss»: Völkische Anfänge

Nr. 26 –

Viele Münchner BergsteigerInnen haben die Geschichte des Alpinismus geprägt, darunter auch etliche Nazis.

Kann man ein Buch über eine Bergsteigerstadt schreiben? Also nicht über eine Stadt in den Bergen, sondern über eine, von der aus man die Berge nur bei Föhn sehen kann? Wird es nicht furchtbar langweilig, wenn sich einer durch die Geschichte eines Ortes quält - auch wenn dieser Ort München heisst, wo es 28 Sektionen des Deutschen Alpenvereins (DAV) gibt, in denen 130 000 Mitglieder organisiert sind? Und was kann so ein Buch schon vermitteln?

Der Alpinjournalist und Schriftsteller Nicholas Mailänder hat es trotzdem versucht und in einem detaillierten und umfassenden Werk die Geschichte der Bergsteigerstadt München nachgezeichnet. Herausgekommen ist ein überaus aufschlussreicher und lesenswerter Band. Das liegt vor allem am Autor. Lange Jahre selbst im schwierigen Fels unterwegs, war Mailänder in den neunziger Jahren beim DAV für das Referat «Klettern und Naturschutz» zuständig, bevor er sich zunehmend mit der Geschichte des Bergsteigens und Kletterns beschäftigte. Dabei widmet er sich klar umrissenen lokalen Gebieten. So hat er mit «Hart am Trauf» bereits kenntnisreich die Kletterhistorie auf der Schwäbischen Alb beschrieben.

Der «Judenfresser»

Münchens Rolle als Bergsteigerstadt begann 1788, als der Botaniker Franz von Paula Schrank den Auftrag zu einer Forschungsreise in die Gebirge südlich der Stadt erhielt. Facettenreich schildert Mailänder den weiteren Verlauf der Erschliessung der Berge, die Gründung des Alpenvereins, die Geburt des alpinen Bergsports und beleuchtet jede Epoche bis in die heutigen Tage.Besonderes Augenmerk legt Mailänder auf die Nähe des damaligen Deutschen und Österreichischen Alpenvereins DuOeAV zum Nationalsozialismus (1873 hatten sich die Alpenvereine Österreichs und des Deutschen Reiches zusammengeschlossen). Gestützt auf bislang unveröffentlichte Dokumente, erzählt er die Geschichte über den Ausschluss der Donaulandsektion aus dem Alpenverein.

Nachdem 1921 der Bergsteiger Eduard Pichl, ein bekennender «Judenfresser» und Führer der rechtsradikalen paramilitärischen Wiener Heimatwehr, handstreichartig zum Vorstand der Sektion Austria gewählt worden war und die Aufnahme jüdischer BergsteigerInnen rigoros verhinderte, erklärten rund 2000 Mitglieder ihren Austritt aus der Wiener Sektion. Sie gründeten die Sektion Donauland und wurden vom Hauptausschuss des DuOeAV in den Alpenverein aufgenommen.

Die Sektion mit ihren vielen jüdischen Mitgliedern war von Anbeginn an Zielscheibe der antisemitischen Kräfte im Umfeld des DuOeAV, die den Ausschluss der Donaulandsektion über Jahre hinweg immer planvoller und hetzerischer betrieben. Differenziert beschreibt Nicholas Mailänder, wie es im Dunstkreis des aufkeimenden Nationalsozialismus dazu kam, dass die Sektion Donauland 1924, also lange vor 1933, auf der Hauptversammlung in Rosenheim aufgefordert wurde, ihren Austritt zu erklären. Als Hauptgrund wurde «behufs Wiederherstellung des Friedens und der ruhigen Entwicklung» des Vereins genannt. Zuvor hatten bekennende Nazis und ihre Gesinnungsgenossen mit einer Spaltung des DuOeAV gedroht. Vereinspolitische Machtinteressen und ein ausgeprägter Opportunismus liessen es zu, dass die Opfer zu Tätern stilisiert wurden.

«Kraft, die den Frieden stört»

Die Sektion Donauland lehnte den freiwilligen Austritt ab. Daraufhin wurde noch im gleichen Jahr auf einer ausserordentlichen Hauptversammlung des DuOeAV in München der Ausschluss beschlossen. Obwohl sich die Donaulandsektion nichts zuschulden hatte kommen lassen, wurde sie «als eine Kraft gebrandmarkt, die den Frieden im Verein stört». Und niemand prangerte diese Massnahme an - bis auf die Naturfreunde, die traditionell dem linken Lager angehörten. Deren Aussage war jedoch klar: «Man sieht: Herr Hitler hinkt geradezu hinter dem forschen DuOeAV noch her.»

Diese Episode vereinspolitischer Entwicklungen wird im Buch mit vielen Einzelheiten ausführlich beschrieben, und man merkt, wie der Autor um eine differenzierte Aufarbeitung bemüht ist. Niemand soll von ihm zu Unrecht verurteilt werden. Fest steht aber, dass bereits in den frühen zwanziger Jahren die Nazis im Alpenverein die Oberhand bekamen - und dass dies lange Zeit weder den DAV noch den OeAV interessierte. Diese Ignoranz hat selbst Mailänder erstaunt, der am Ende des Kapitels mit der Überschrift «Um die Ehre des Alpenvereins» überrascht konstatiert, «dass im Alpenverein über siebzig Jahre vergehen mussten, ehe das angesprochene Unrecht eingestanden wurde».

Alle, die sich mit der Geschichte des Alpinismus näher befassen, werden an diesem Buch nicht vorbeikommen. Bietet es doch nicht nur für MünchnerInnen eine Fülle an Informationen und zugleich eine spannende Lektüre über eine Freizeitbeschäftigung, der nicht nur ich am liebsten nachgehe.

Nicholas Mailänder: Im Zeichen des Edelweiss. Die Geschichte Münchens als Bergsteigerstadt. AS Verlag. Zürich 2006. 416 Seiten. 66 Franken