Drogenpolitik: Dafür gibts was auf die Pfoten

Nr. 49 –

Keine Gnade für Raucher, Kifferinnen und «Dopingsünder»: Im Neoliberalismus geht die wirtschaftliche Freiheit auf Kosten der Freiheit der BürgerInnen.

Jeder hat das Recht, mit sich und seinem Körper zu machen, was er will. Er darf sich berauschen, er darf sich aufputschen und sich dabei auch selbst schädigen. Das ist ein Rechtsstaatsprinzip erster Ordnung. Es gilt nicht nur für Drogen, sondern auch für Doping. Die Sonderrolle, die der Sport beansprucht, seine Abkoppelung vom allgemeinen gesellschaftlichen Geschehen, ist durch nichts zu rechtfertigen.

Das Dopingproblem ist nur ein Sonderfall des weltweiten Drogenproblems. Folglich schlagen alle Massnahmen gegen Doping auf die gesamte Drogenpolitik zurück. Schliesst eine Hochleistungssportlerin mit einem Veranstalter einen Vertrag, in dem sie versichert, ungedopt an den Start zu gehen, ist sie rechtlich belangbar, wenn sie gegen diese Zusicherung verstösst. Sie ist dann eine Betrügerin. Die herrschende Gesetzgebung reicht aus, BetrügerInnen zur Rechenschaft zu ziehen. Dass dennoch die Forderung, Dopingsünder - ein verräterisches Wort! - wegen des Konsums von Dopingsubstanzen zu belangen, nicht vom Tisch ist, deutet darauf hin, dass das scheinbar überwundene Abstinenzgebot erneut hervorgekramt wird.

Abstinenz als Dogma

Dabei wissen wir doch, dass diese Politik gescheitert ist. Das kann gar nicht oft genug gesagt werden. Die politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Folgen der Drogenprohibition sind längst schädlicher als der Drogenmissbrauch selbst. Aber im Verlauf der drogenpolitischen Auseinandersetzungen der letzten vier Jahrzehnte gab es auch Erkenntnisfortschritte und eine drogenpolitische Praxis, die sich gegen die FundamentalistInnen der Abstinenz behaupten konnte.

Wer abstinent leben will, ist zu respektieren - ohne Wenn und Aber. Mit «FundamentalistInnen der Abstinenz» meine ich Gruppen und Institutionen, die Abstinenz als gesamtgesellschaftliches Ideal verankern wollen. Das hat eine lange Tradition. Sowohl im aufstrebenden Bürgertum wie in der Arbeiterbewegung gab es eine äusserst heftige Abstinenzdiskussion - wobei es vor allem um die Droge Alkohol ging. Unterschwellig waren diese Traditionsströme in der drogenpolitischen Auseinandersetzung der Nachkriegszeit immer präsent. Hier liegt der Grund, warum diese emotional so aufgeladen ist und so verbissen geführt wird.

Vor diesem Hintergrund ist es eine Errungenschaft, wenn sich die Drogendiskussion heute nicht mehr am Prinzip von Schuld und Sühne orientiert. Es ist eine Errungenschaft, wenn die Schweizer Fachverbände im Suchtbereich in ihrem neuen Grundsatzpapier schreiben: «Die Entscheidungen des Individuums müssen respektiert werden. Stigmatisierung provoziert sozialen Ausschluss und Isolation. Der Grundsatz einer Suchtpolitik muss also der Schutz von Personen und ihrem Umfeld vor Diskriminierungen und Schädigungen sein» (siehe WOZ Nr. 46/07).

In solchen Feststellungen manifestiert sich ein Wandel der Einstellungen: weg vom Glauben an die Wirksamkeit von Verboten. Dieses Umdenken hat sich in den siebziger und achtziger Jahren ereignet. Es war der Wechsel vom Abstinenzgebot zum Akzeptanzgedanken. Die Bereitschaft, auf moralische Vorverurteilungen zu verzichten, hat den Handlungsspielraum der in der Drogenarbeit Tätigen spürbar erweitert. Lange weigerte sich der drogenpolitische Mainstream in der Politik und den Medien noch, das Konzept einer akzeptierenden Drogenarbeit auch nur zu diskutieren. Der Widerstand wurde erst gebrochen, als Mitte der achtziger Jahre die Aidspanik ausbrach. Jetzt war keine Zeit mehr für moralische Appelle, jetzt ging es darum, mit einer Politik der Schadensminderung pragmatisch zu handeln.

Der Rauchstreit

In der Tabakpolitik, wo urplötzlich eine legale Droge in den Sog prohibitionistischer Massnahmen geraten ist, vollzieht sich nun ein neuerlicher Wechsel des Denkmusters - zurück zum Abstinenzgebot. Die Vehemenz, mit der überall in Europa - von den USA gar nicht zu sprechen - Rauchverbote erlassen werden, lässt vermuten, dass mehr als nur gesundheitspolitische Motive im Spiel sind.

Ich halte es für legitim, wenn der Staat über die Risiken des Rauchens aufklärt und Schranken zu errichten versucht, die jugendlichen NeueinsteigerInnen den Zugang erschweren sollen. Und ich kann nachvollziehen, dass NichtraucherInnen sich vom Tabakrauch gestört und belästigt fühlen. Deshalb ist es legitim, Massnahmen zu ergreifen, die sie vor derartigen Belästigungen schützen.

Dieser Klarstellung bedarf es, um der Unterstellung entgegenzutreten, wer sich für die Rechte von RaucherInnen einsetze, argumentiere automatisch im Sinne der Tabaklobby oder stünde gar auf deren Lohnliste. Apropos Tabaklobby: Es hat schon etwas Groteskes, wenn sich Leute, die ansonsten mit allem einverstanden sind, was ihnen zugemutet wird, plötzlich zu antikapitalistischen KritikerInnen der Tabaklobby aufschwingen. Und die Öllobby? Die AKW-Lobby? Die Autolobby? Die Pharmalobby? Vergiss es. Es ist die Tabaklobby, der die Schurkenrolle zugewiesen wird. Die hat sie zweifellos verdient. Aber eben nicht sie alleine. Das Ganze hat System. Das Ganze ist ein System.

Kompromiss oder Verbot?

Rauchverbote sind eine massive Einschränkung der Persönlichkeitsrechte von Millionen von Menschen, die vom Rauchgenuss nicht ablassen wollen oder können. Weil sie süchtig sind.

Die rauchenden Menschen bewirken aber eine massive Einschränkung der Persönlichkeitsrechte jener, die sich vom Tabakrauch belästigt oder bedroht fühlen.

Ein Interessenkonflikt. Er kann unterschiedlich gelöst werden - obrigkeitsstaatlich mit Hilfe von Verboten oder zivilgesellschaftlich mit Hilfe von Absprachen und Kompromissen. Am Ende stünde die Aufteilung des öffentlichen Raumes in Raucher- und Nichtraucherzonen, ohne die eine oder die andere Seite zu diskriminieren.

Für diesen Kompromiss braucht es keine medizinischen Begründungen. Diese sind ohnehin oft fragwürdig: Auch wenn es makaber klingt, darf man durchaus fragen, woran einer, als dessen Todesursache Lungenkrebs angegeben wird, tatsächlich gestorben ist, wenn der Betreffende nicht nur Raucher war, sondern sein Haus mit Garten an einer Hauptstrasse gelegen ist, über die täglich Tausende von Dieselfahrzeugen donnern. Und wie glaubwürdig ist die Politik der deutschen Regierung, die mit rigiden Rauchverboten operiert, aber kein Gesetz erlassen will, das den Einbau von Dieselfiltern zwingend vorschreibt? Schliesslich ist auch nicht zu übersehen, dass die Antiraucherpolitik da am rigidesten exekutiert wird, wo die Bereitschaft, Autoabgase und Industrieemissionen zu minimieren, am geringsten ist. Ich meine die USA.

«... aber s ist wunderbar»

Staatlich gelenkten Gesundheitskampagnen ist grundsätzlich mit grösster Skepsis zu begegnen. Sie sind ein Instrument der Exekutive, das Risikobewusstsein der Bevölkerung zu lenken - was immer auch heisst, von anderen, möglicherweise grösseren Risiken abzulenken. Was zum Beispiel ist mit all den Risiken, die man nicht sieht, hört, schmeckt oder riecht? Wie schädlich sind die Hochfrequenzstrahlen, die von Antennenmasten ausgehen, die in immer grösserer Dichte in den Himmel ragen? Wir haben es hier mit einem globalen Massenversuch am menschlichen Objekt zu tun. Vereinzelt regen sich Proteste gegen dieses Experiment, doch eine staatliche Kampagne gegen Antennenmasten und Handys ist undenkbar.

Wenn der Gesetzgeber das Risikoverhalten der BürgerInnen lenken will, greift er gerne auf Risikoanalysen und Risikoabwägungen zurück. Doch nur wenn die vom Verbot Betroffenen die Risikoabwägungen des Gesetzgebers teilen, hat das Verbot eine Chance, sich durchzusetzen. Andernfalls läuft es ins Leere.

Das ist beim Cannabisverbot der Fall. Aus vielerlei Gründen. Die Vermutung liegt nahe, dass das Verbot selbst zumindest bei jugendlichen KonsumentInnen die Lust an der Übertretung herausfordert: «Es ist verboten / was wir da machen, ist verboten / Dafür gibts was auf die Pfoten / weil was wir machen, ist verboten / Aber s ist wunderbar», hat Rio Reiser gesungen. Fakt ist: Millionen von KonsumentInnen innerhalb der EU halten die mit Cannabis verbundenen Risiken für tragbar.

Die Risiken des Illegalen

Selbstverständlich birgt der Konsum von Cannabis Probleme und Risiken. Das wird von niemandem, der sich auskennt, bestritten. Allerdings sind einige dieser Probleme direkte Folgen des Verbotes. Zum Beispiel das Killerargument der GegnerInnen eines straffreien Cannabiskonsums: Der Gehalt des Wirkstoffs THC sei heute wesentlich höher als vor zwanzig oder dreissig Jahren, behaupten sie. Dieser hohe THC-Gehalt sei verantwortlich für sich häufende Zwischenfälle beim Konsum. Für diesen Zusammenhang gibt es keine wissenschaftlich seriösen Belege, und eine Studie des belgischen Gesundheitsministeriums betont ausdrücklich, auch keine gefunden zu haben. Doch wenn es so wäre, wären europaweit Millionen von Menschen gefährdet.

Es gibt nur eine logische Konsequenz, dieser Gefährdung zu begegnen: Der Staat wäre verpflichtet, zum Schutze der Verbraucher regulierend einzugreifen und eine Höchstgrenze für den THC-Anteil festzulegen. Die niederländische Regierung will übrigens diesen Weg gehen. Es wäre ganz im Sinne einer Politik der Schadensbegrenzung und des Verbraucherschutzes. Allerdings: Verbraucherschutz ist nur dann garantiert, wenn er an Produkthaftung gekoppelt ist. Produkthaftung ist aber nur möglich unter den Bedingungen der Legalität oder Quasilegalität.

Im Übrigen hat Cannabis ein Qualitätsproblem. Das ist wahr. Es war der Repressionsdruck, der die CannabisfarmerInnen Mitte der achtziger Jahre zum Umstieg auf den Indooranbau gezwungen hatte. Was bis dahin den Qualitätsunterschied ausmachte - Bodenbeschaffenheit, Sonneneinstrahlung, Pflege der Pflanze - , ging bei diesem Rückzug ins Treibhaus verloren. Professionelle Pflanzer verlegten sich auf die Hochzüchtung des Wirkstoffgehaltes: Der THC-Anteil wurde zum wichtigsten Verkaufsargument. Das ist eine Folge des Verbotes.

Und die ProduzentInnen?

Wenn aber Verbote als Instrumente zur Steuerung des Konsumverhaltens für legitim erachtet werden, warum werden sie dann nicht auch zur Steuerung der Produktion eingesetzt?

Wie wäre es damit: Der Alkoholindustrie wird verboten, Süssgetränken hochprozentige Alkoholika beizumischen. Oder damit: Cannabis wird legalisiert, und der Gesetzgeber setzt THC-Obergrenzen fest. Oder: Der Tabakindustrie wird verboten, ihrem Tabak Zusatzstoffe beizumischen. Einige dieser Stoffe wie Honig, Zucker, Lakritze und Kakao sollen Kindern und Jugendlichen den Einstieg in den Nikotinkonsum erleichtern. Je früher der Einstieg, desto höher das Risiko einer Suchtbildung.

Eingriffe in die Produktion erfordern einen gesellschaftlichen Konsens darüber, dass nicht alles produziert werden darf, was unter Ausnutzung menschlicher Schwächen beworben und verkauft werden kann. Harm Reduction (Schadensminderung) ist das Stichwort.

Doch solche Forderungen treffen den Kern einer Wirtschaftsordnung, die bedingungslos auf Wachstum setzt. Weil unter den Bedingungen der neoliberalen Globalisierung die Freiheit des Gewerbes höher eingestuft wird als die Freiheit der BürgerInnen, ist es nur naheliegend - will man die gesundheitlichen Schäden einer entfesselten Warenproduktion irgendwie in den Griff bekommen - , die Freiheitsrechte der Individuen zu beschneiden, anstatt die Freiheit des Gewerbes einzuschränken.

Deshalb hagelt es Verbote. Denn in einem Klima der allgemeinen Verunsicherung steigt die Bereitschaft, autoritäre Lösungen zu akzeptieren. Das ist eine historische Erfahrung.

Fitte gegen Fette

Als Nächstes trifft es die Trinkenden und die Dicken: In Deutschland tritt das Gesundheitsministerium mit seiner Kampagne «fit statt fett» an die Öffentlichkeit, in der Schweiz heisst es plump: «Die Schweiz wird immer dicker.» Slogans, die sich demonstrativ absetzen von Präventionsstrategien, die in den achtziger und neunziger Jahren entwickelt wurden und bewusst auf Abwertung, Einschüchterung und Ausgrenzung verzichteten. So läuft das, wenn man die Entsolidarisierung einer Gesellschaft vorantreiben will. Man teilt die Menschen auf: in Trinker und Nichttrinker, in Raucherinnen und Nichtraucherinnen, in Fette und Fitte. Dann ordnet man die einen den Guten und die anderen den Bösen zu. Das beginnt mit gesellschaftlicher Ausgrenzung und endet mit dem Ausschluss aus der Solidargemeinschaft des Gesundheitssystems.

Sucht wird wieder zu einer Charakterfrage. Streng dich an! Du musst nur wollen! Der mühsam erreichte Konsens über den Umgang mit Sucht droht aufgekündigt zu werden. Süchtige als Kranke zu behandeln, ihnen beizustehen, statt sie zu verfolgen, ist mit dem neoliberalen Zeitgeist nur schwer vereinbar. Denn das Persönlichkeitsideal des Neoliberalismus verlangt von den MarktakteurInnen nicht nur, mobil und flexibel zu sein, sie sollen auch fit sein und vor Lastern zurückschrecken. Notfalls muss man sie dazu zwingen.

Der Drogenexperte Günter Amendt lebt in Hamburg und schreibt seit langem für die WOZ. Sein neustes Buch, «Die Legende vom LSD», wird im Februar 2008 bei Zweitausendeins erscheinen. Dieser Text basiert auf einem von der WOZ bearbeiteten Vortrag, den Amendt zum Abschluss der Suchtwoche 2007 in Hamburg gehalten hat.