Ägypten: Zwischen Bush und Brüdern

Nr. 5 –

Präsident Mubarak hat einige schwere Tage hinter sich: Während die USA von ihm die rasche Grenzschliessung zum Gasa verlangen, gerät er gleichzeitig im eigenen Land von den Islamisten unter Druck.

Ägyptens Präsident Hosni Mubarak musste sich von seinem US-amerikanischen Amtskollegen George Bush einen Rüffel gefallen lassen. Der Grund: Tatenlos schaute der ägyptische Präsident vergangene Woche zu, wie Hunderttausende von PalästinenserInnen über die Grenze nach Ägypten strömten, um sich dort mit Lebensmitteln einzudecken. Dies, nachdem Aktivisten der Hamas, die seit dem Frühling 2007 den Gasastreifen kontrolliert, die Grenzmauer zu Ägypten in die Luft gesprengt hatten.

Mehr noch: In einer Rede rief Mubarak die BewohnerInnen des Gasa sogar auf, in sein Land zu kommen, um Vorräte einzukaufen. Er könne nicht tatenlos zusehen, wie 1,5 Millionen Menschen «unter israelischer Besatzung an Hunger leiden».

Der Druck aus Kairos Strassen

Israel und die USA zeigten sich über Mubaraks Haltung verärgert. Denn sie befürchten, dass nebst Ziegen, Reissäcken und Tabak auch zahlreiche Waffen in den Gasa geschmuggelt wurden – eine Befürchtung, die nicht aus der Luft gegriffen ist: Bereits am Tag nach der Sprengung des Grenzzauns brüstete sich auf dem Nachrichtensender al-Dschasira ein vermummter Hamas-Aktivist mit der Bemerkung, seine Organisation sei nun dran, ihre Waffenlager aufzustocken.

Ägypten wurde von den USA deshalb auch unverzüglich aufgefordert, die Grenze sofort zu schliessen – eine Forderung, die in Kairo Gewicht hat. Denn Mubarak will seinen mächtigen Alliierten auf keinen Fall verärgern. Vor allem die jährliche Militärunterstützung in Höhe von 1,3 Milliarden US-Dollar möchte die ägyptische Regierung nicht aufs Spiel setzen.

Doch die ägyptische Regierung tut sich schwer damit, die diplomatischen Ratschläge aus Washington zu befolgen. Nicht nur empfing sie die hungernde palästinensische Bevölkerung mit offenen Armen – in den folgenden Tagen zögerte Mubarak auch mit dem Einsatz militärischer Gewalt, um die Grenze wieder dicht zu machen.

Der Grund für diese Zurückhaltung liegt in Ägyptens Innenpolitik: Eine grosse Mehrheit der ägyptischen Bevölkerung solidarisiert sich sehr stark mit der gebeutelten Bevölkerung im benachbarten Gasa. In Kairo fanden letzte Woche denn auch mehrere Solidaritätskundgebungen statt. Der ohnehin bereits höchst unpopuläre Mubarak will sich nicht noch zusätzlichen Zorn der ÄgypterInnen zuziehen, indem er mit militärischer Gewalt gegen PalästinenserInnen vorgeht.

Die Angst vor den IslamistInnen

Hinzu kommt, dass die Kundgebungen von den ägyptischen Muslimbrüdern angeführt werden – der stärk­s­ten Opposition des ägyptischen Regimes. Ihre Protestmärsche richten sich denn auch gleichzeitig gegen das 26-jährige Mubarak-Regime. Vor allem sie würden vom mangelnden Fingerspitzengefühl des Präsidenten im Umgang mit der Gasa-Bevölkerung profitieren. Und Mubarak fürchtet nichts so sehr wie ein weiteres Erstarken der Islamist­Innen. Ein Fünftel der Sitze haben die Muslimbrüder 2005 im Madschlis al-Shaab, dem ägyptischen Parlament, errungen – auch wenn sie formal als unabhängige Abgeordnete gelten, da die von Hassan al-Banna 1928 gegründete Partei vom einstigen ägyptischen Präsidenten Dschamal Abd en-Nasser Mitte der fünfziger Jahre offiziell verboten wurde. Das ist so geblieben, obwohl sie sich in den vergangenen Jahren von der Gewalt losgesagt hat. Heikel ist die aktuelle Lage für Mubarak auch deshalb, weil die Hamas der Muslimbrüderbewegung angehört und enge Kontakte mit ihren ägyptischen Parteigenossen unterhält. Mubarak beobachtet darum mit besonderer Besorgnis, wie die aufgeladene Stimmung vom Gasa langsam auf die ägyptische Sinaihalbinsel überschwappt. Die jüngste Belagerung des Gasa durch Israel sowie die Machtdemonstration der Hamas an der Grenze zu Ägypten haben den IslamistInnen in Ägypten zusätzlichen Auftrieb verschafft.

Die ägyptische Polizei versuchte deshalb auch, die jüngsten Demonstrationen in Kairo mit Gewalt zu verhindern. Die Sicherheitskräfte haben am Mittwoch vor einer Woche eine geplante Grosskundgebung am Midan Tahrir (Platz der Befreiung) im Zentrum von Kairo im Keim erstickt: Bereits im Vorfeld der Demonstration wurden rund 500 Mitglieder der Muslimbrüder verhaftet – ein Vorgehen, das in Ägypten an der Tagesordnung ist (vgl. «Ein Blick in Ägyptens Gefängnisse»).

Diplomatisches Lavieren

Noch immer ist die Grenze zu Ägypten teilweise passierbar. Mubarak ist deshalb daran interessiert, die Verantwortung über die Grenzkontrolle möglichst rasch neu festzulegen; er möchte sich seine Finger nicht noch mehr daran verbrennen. Deshalb hat er vorgeschlagen, die palästinensische Autonomiebehörde von Mahmud Abbas solle die Kontrolle übernehmen – was die Hamas ablehnt. Sie will in die Lösung miteinbezogen werden. Mit der Sprengung des Grenzübergangs hat sie wieder an Selbstbewusstsein gewonnen – und immerhin erreicht, dass sie am Mittwoch erstmals seit ihrer gewaltsamen Übernahme des Gasa zusammen mit Abbas zu offiziellen Gesprächen nach Kairo eingeladen wurde.



Seit Jahren schon geht die Regierung Mubarak mit harter Gewalt gegen die Opposition im eigenen Lande vor – eine Politik, die sie vor allem dank des Ausnahmezustands praktizieren kann, der seit 26 Jahren in Kraft ist. Letzten April wurde er um zwei Jahre verlängert. Amnesty International spricht in ihrem Jahresbericht 2007 von «Hunderten» von verhafteten Muslimbrüdern, wobei die Folter von Gefangenen weiterhin «gebräuchlich» sei und «systematisch» angewendet werde. Die Ägyptische Organisation für Menschenrechte schätzt zudem die Anzahl Personen, die ohne Anklage oder Prozess im Gefängnis sitzen, auf 18000.

Erst vor zwei Wochen hat das Europäische Parlament eine Resolution verabschiedet, in der die Anwendung von Folter, der Ausnahmezustand und der ungenügende Minderheitenschutz kritisiert wurden. Dies löste in der ägyptischen Regierung heftige Proteste aus. Sie bezeichnete die Resolution als illegitimen Eingriff in Ägyptens Souveränität.