Bern: Mit Rot und Grün für Recht und Ordnung

Nr. 13 –

Die Regierung der Hauptstadt setzt im Wahlkampf auf fühlbare Sicherheit und Sauberkeit. Schon jetzt haftet den Linken das Image von Wendehälsen an.

Die rot-grüne Berner Regierung lässt Taten sprechen: Beim Ausgang des Bahnhofes hat sie aus Zement eine kleine Pyramide auf einem Lüftungsschacht errichten lassen. Sie soll verhindern, dass sogenannte Randständige auf dem warmen Schacht sitzend das Stadtbild stören.

Treffender könnte ein knapper Kubikmeter Zement kaum den aktuellen politischen Trend in der Bundesstadt symbolisieren: Hier geht es um das «subjektive Empfinden» der Leute. Was stört, muss weg, seien es BettlerInnen, Plakate oder DemonstrantInnen. Denn im Herbst sind Wahlen, und da will man es allen recht machen, besonders den KritikerInnen von rechts.

Ein paar aktuelle Beispiele? Im Bahnhof soll Betteln und «ungebührliches Verhalten» verboten werden, private Sicherheitskräfte sollen das Verbot durchsetzen. Ausserhalb des Bahnhofs werden Drogensüchtige wieder härter angefasst. Die Polizeipräsenz ist gestiegen. Im Januar erlebte Bern Methoden, die man früher nur dem freisinnigen Scharfmacher und Polizeidirektor Kurt Wasserfallen zugetraut hätte: Im Vorfeld einer zunächst bewilligten, dann aber verbotenen Anti-Wef-Demo wurden über 240 Menschen in Präventivhaft genommen. Der SP-Stadtpräsident und Jurist Alexander Tschäppät zeigte sich «zufrieden» angesichts des Polizeieinsatzes.

Die OrdnungshüterInnen sollen nun, so verlangt es die grüne Gemeinderätin Regula Rytz, nicht nur für Sicherheit, sondern auch vermehrt für Sauberkeit sorgen, indem sie im Rahmen eines neuen Schwerpunktes AbfallsünderInnen büssen und Leute verzeigen, die illegal Plakate aufhängen. Und seit kurzem setzt Sozialdirektorin Edith Olibet (SP) auf Sozialdetektive - nachdem sie diese bisher immer kategorisch abgelehnt hatte.

Zerstrittene Bürgerliche

Was ist in der «Hauptstadt der Anarchie» («SonntagsZeitung») passiert? Droht eine bürgerliche Renaissance? Kaum. Die städtischen Bürgerlichen sind in Grabenkämpfe verwickelt und tragen einmal mehr öffentlich ihre Streitigkeiten aus. Zudem verfügen sie nicht über fähige Köpfe, die auf breite Sympathie zählen könnten.

Druck kommt eher von den Medien: Seit dem 6. Oktober 2007, als der Marsch der SVP auf Bern gestoppt wurde und es zu Ausschreitungen kam, setzt es Prügel für die Stadtregierung. So viel Prügel, dass dafür ein eigenes Wort kreiert wurde: «Bern-Bashing». Zunächst waren es Zürcher Medien, die sich darin übten, dann auch die Berner Lokalpresse. Bern sei dreckig, verkommen und sozialromantisch, so der Tenor. Die Vorwürfe sind aber nicht neu: Bereits vor einem Jahr behauptete ein in Bern wohnhafter «Weltwoche»-Autor im Gratisblatt «Berner Bär», in der Hauptstadt würden hauptsächlich «Autonome, Arme und Alkoholiker» wohnen.

Druck kommt auch aus der steuergünstigen Agglomeration: UnternehmerInnen erkannten nach dem 6. Oktober die Gunst der Stunde und lancierten unter dem Motto «Itze längts!» eine Petition. Schluss mit Demos, weg mit Reitschule und Gassenküche, her mit dem «sauberen, sicheren und fröhlichen» Shoppingzentrum Bern-Innenstadt, so die Forderungen. Unterschrieben haben zum Grossteil Auswärtige.

Diese Angriffe auf die Stadtregierung und die Bevölkerung wären eigentlich eine ideale Gelegenheit, den KritikerInnen die Stirn zu bieten und in die Offensive zu gehen. Könnte Rot-Grün nicht mit etwas Stolz das Bild zeichnen, Bern sei eine Art linkes Gallierdorf, umgeben von bürgerlichen Römerlagern? Wieso wehrt sich die Regierung nicht entschlossen gegen die Diffamierungen? Verweisen könnte sie auf Studien, die Bern eine Lebensqualität von Weltklasse attestieren. Sie könnte auch darauf vertrauen, dass die Bevölkerung erstaunlich resistent gegen rechte Propaganda ist: Bern hat das Asylgesetz an der Urne abgelehnt, sich viermal für den «Schandfleck Reitschule» (SVP) ausgesprochen und eine Pionierrolle in der kontrollierten Methadonabgabe übernommen, um nur einige Beispiele zu nennen. Zudem ist Bern - statistisch gesehen - nicht unsicherer geworden, was auch Stadtpräsident Alexander Tschäppät bewusst ist (vgl. Interview unten).

Doch Rot-Grün vollzieht lieber einen Kurswechsel. Sie beuge sich keinem Druck, das «subjektive Empfinden» der Bevölkerung habe zum Sinneswandel geführt, behauptet die Regierung. Und ihre Widersacher? Die Bürgerlichen bezichtigen Rot-Grün genüsslich der Wahlkampfmanöver und in den Kommentaren der Lokalpresse stehen Tschäppät und Co. als Opportunisten und Wendehälse da. Fragt sich, ob dieses Image an der Urne gut ankommen wird.

Innerhalb der SP brodelt es

Auch parteiintern regt sich Kritik: «Heute weiss niemand mehr so richtig, was für einen Kurs die Berner SP fährt», sagt Ruedi Keller, der seit sieben Jahren für die SP im Stadtparlament sitzt. Die SP bewege sich inhaltlich irgendwo im «rosaroten Bereich». «Alexander Tschäppät scheut oft die Diskussion und macht auf Friede, Freude, Eierkuchen», sagt Keller. Und die Partei tut es ihm offenbar gleich: Bei verschiedenen heiklen Abstimmungen, etwa zum Euro-08-Kredit oder zum Bahnhofreglement, herrschte Fraktionszwang. Neinstimmen waren somit für SP-ParlamentarierInnen verboten.

Auch die Linksgrünen wirken derzeit nicht gerade kämpferisch. Das Grüne Bündnis (GB) - Juniorpartnerin der SP in der Regierung - hatte bisher, gerade wenn es um Grundrechte ging, eine klare und konsequente linke Linie. Die GB-Leitung um Partei- und Fraktionspräsidentin Natalie Imboden gibt sich im Wahljahr aber regierungstreu: Erst wollte sie das Referendum gegen das Bettelverbot und die Privatisierung der Sicherheit im Bahnhof nicht mittragen - «aus taktischen Gründen». Doch ihren Entscheid machte die Basis an einer Mitgliederversammlung rückgängig.

Dann hat Imboden auch die Einführung von Sozialdetektiven begrüsst - «als Pilotprojekt». Sie nennt diese nicht «Sozialdetektive», sondern «von der Stadt ausgebildete und angestellte Sozialarbeiter, die nur nach restriktiven Kriterien handeln dürfen». Trotz dieser Sprachregelung wäre vor kurzem eine solche Position beim Grünen Bündnis undenkbar gewesen. Wenn SP und GB weiterhin auf die Mitte zugehen, dann tut sich links von ihnen eine Lücke auf. Braucht es eine neue Kraft, die Rot-Grün von links unter Druck setzt, oder können die bestehenden kleinen Linksparteien die Lücke füllen? Spätestens nach den Wahlen im Herbst wird es auf diese Frage eine Antwort geben.

Offen bleibt hingegen die Frage, wie lange die Zementpyramide beim Bahnhof den Randständigen noch einen warmen Hintern verwehrt. Bis der Zement weg ist, sitzen sie halt vor dem Lüftungsschacht - auf dem kalten Boden. Ob sie frierend das Stadtbild weniger stören?


Alexander Tschäppät (56) ist Jurist und seit sieben Jahren für die SP in der Stadtregierung, seit vier Jahren als Berner Stadtpräsident.

«Der 6. Oktober hat den Leuten die Augen geöffnet»

WOZ: Bürgerliche aus den steuergünstigen Gemeinden rund um Bern rufen nach mehr Repression und Sauberkeit in der Stadt, und man hat den Eindruck, Sie würden diesem Druck nachgeben.

Alexander Tschäppät: Auch seitens der Stadtbevölkerung höre ich vermehrt Kritik in Bezug auf Sicherheit und Sauberkeit. Im Bereich der Sicherheit ist das nicht objektiv begründbar, da die Delikte statistisch gesehen abnehmen. Sicherheit ist aber ein subjektives Empfinden, und wenn die Leute Angst haben, nachts durch gewisse Gassen zu gehen, dann ist das eine Sorge, die man ernst nehmen muss. Die Sicherheit ist ein Grundanspruch der Bürger und bedeutet keine Abkehr von meiner Politik.

Ist die zunehmende Repression eine Wahlkampftaktik?

Eine erhöhte Polizeipräsenz bedeutet doch nicht mehr Repression! Es geht vielmehr darum, dass öffentliche Sicherheit ein Service Public ist. Der Reiche kann sich Sicherheit kaufen, etwa mit einer Alarmanlage und dem Bodyguard für die Villa. Alle anderen - die Mittelschicht und die Kleinverdiener - können das nicht. Darum muss der Staat für Sicherheit für alle sorgen. Und darum darf Sicherheit nicht privatisiert werden. Den Bürgerlichen, die mit der Sicherheit Wahlkampf machen wollen, passt es natürlich nicht, dass wir uns um die Sorgen der Leute kümmern. Ihnen wäre lieber gewesen, man hätte nichts gemacht, damit sie dann ein Jahr lang hätten sagen können, Rot-Grün nehme das Volk nicht ernst.

Sie selber wollen aber im öffentlichen Teil des Bahnhofs private Sicherheitskräfte einsetzen.

Das stimmt so nicht. Die Bahnhofordnung, die am 1. Juni zur Abstimmung kommt, sieht lediglich die Möglichkeit vor, dass die Securitrans beauftragt werden kann, neben dem privaten SBB-Teil des Bahnhofs auch im öffentlichen Teil für Sicherheit zu sorgen. Im gleichen Gebäude zwei verschiedene Sicherheitsmodelle anzubieten, ist für die Leute nicht wirklich nachvollziehbar. Da müssen wir uns pragmatisch dem Sachzwang beugen. Aber lieber wäre mir natürlich die öffentliche Polizei.

Sie wollen im Bahnhof auch ein Bettelverbot einführen. Ist es neuerdings ein sozialdemokratisches Anliegen, gegen Bettlerinnen und Bettler vorzugehen?

Nein. Es geht ja nicht um ein allgemeines Bettelverbot. Ein solches habe ich nie gefordert. Anders sieht es aus, wo die Räume eng sind, etwa im Bahnhof. Dort müssen täglich 150 000 Fussgänger durch ein Nadelöhr, wobei die Präsenz der Bettler die Räume zusätzlich verengt. In zehn Metern Abstand von den Eingängen kann weiterhin gebettelt werden. Bern hat übrigens immer grosse Verantwortung wahrgenommen gegenüber sozial Schwächeren. Wir verdrängen nicht einfach, sondern bieten Alternativen, die Verbesserungen bringen. Die neue Anlaufstelle für Alkoholkranke haben wir zum Beispiel sehr zentral im Bahnhof platziert.

Haben die Medien dazu beigetragen, dass das subjektive Sicherheits- und Sauberkeitsempfinden sinkt?

Dass die Meinungsvielfalt langsam verloren geht, ist spürbar. Mir fehlen linke Zeitungen, die ein Gegengewicht zur bürgerlichen Presse bieten könnten. Dabei sind wir in Bern in einer komfortableren Lage als in anderen Städten. Wir haben noch mehrere Lokalradios, kommerzielle und alternative, und immerhin zwei Tageszeitungen, auch wenn sie sich nicht mehr derart unterscheiden wir früher.

Beeinflusst das mediale Umfeld Ihre Art zu politisieren?

Das glaube ich nicht. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass in der Politik nur ein Rezept langfristig Erfolg verspricht. Nämlich die eigene Glaubwürdigkeit.

Die Medien haben die Ausschreitungen vom 6. Oktober zum Anlass genommen, Kampagnen gegen Ihre Regierung zu fahren. Wie schätzen Sie heute rückblickend diesen Tag ein?

Ich empfing im Wahlkampf ausländische Delegationen, die schockiert die Plakate mit den Handschellen und den Ausländer-raus-Parolen anstarrten. Dann kam der 6. Oktober, für Bern war das ein schwarzer Tag, medial gesehen gar eine Katastrophe. Man hat Fehler begangen und schlecht kommuniziert. Dann waren Nationalratswahlen. Auch hier wurde die Schweiz aufgrund der Ergebnisse in ihren Grundfesten erschüttert. Schliesslich kam die Abwahl von Bundesrat Christoph Blocher. Die drei Ereignisse sind nicht getrennt voneinander zu sehen. Der 6. Oktober hat aufgerüttelt, wahrscheinlich auf beiden Seiten, und vielleicht auch dem einen oder anderen die Augen geöffnet, wohin es führt, wenn man Wahlkämpfe in dieser zum Teil menschenverachtenden Tonart führt. Ich hoffe, das Ganze hat dazu beigetragen, dass wir uns wieder etwas mehr an unsere politische Kultur des Anstands und des Respekts erinnern.

Interview: Dinu Gautier