Knapp daneben: Parteilichkeit im Bilderstreit

Nr. 16 –

Dass jetzt alle plötzlich auf der Firma Panini rumhacken, finde ich nicht gut. Empörte aller Landesteile schreiben Briefe an Zeitungen, mit dem ungefähren Inhalt, dass die Päckli immer teurer würden und dass das gemein sei, weil es sich bei der Kundschaft doch hauptsächlich um Kinder handle. Sogar der «Kassensturz» macht einen Beitrag über die vermeintliche Kleberabzocke. Aber die vorgebrachten Argumente sind schwach. Das Arme-Kinder-Argument: ein Witz. Wären die Kinder tatsächlich arm, könnten sie sich kein Album leisten, fertig. Das Immer-teurer-Argument: willkürlich. Was sollten die Bildli denn sonst werden, etwa immer billiger? Alles, was schön ist und dem Menschen guttut, ist in den vergangenen Jahrzehnten sehr viel teurer geworden: die Stange Bier, das Päckchen Zigaretten, das Zugbillet. Warum prangert das niemand an?

Es lässt sich schon über Panini lästern, aber sachlich. Das Album zur EM 2000 zum Beispiel war eine Zumutung: keine Aufkleber der Stadien und Spielorte, ein krank machendes Layout und die Spanier in Klub- statt Nationaltrikots. Danach schwor ich mir, ein Turnier auszusetzen, und boykottierte das Album 2004. Zu Recht, wie sich herausstellen sollte, denn die Spielorte fehlten erneut (und das bei der Schönheit der portugiesischen Städte), und die Stadien waren ins Heft gedruckt. Letzte Woche fand ich das komplette Album in der Spielzeugbörse, zwischen Globi und Harry Potter. Für sechs Franken sprang ich über meinen Schatten, geriet aber etwas ins Stottern, als mir die drei Buben an der Kasse erklärten, so ein Album sei eher etwas für Kinder. Nun denn, an der Version 2008 lässt sich nichts mehr aussetzen: nüchtern gestaltet, Städte und Stadien sogar als Doppelkleber vorhanden, die Spielerkader einigermassen realistisch. Wer jetzt reklamiert, kommt vier Jahre zu spät.

Ausserdem ist Panini eine gute Firma. Vor rund fünf Jahren – Panini war schon damals längst ein Millionenunternehmen – vermachte mir ein Bekannter das Album zur WM 1974. Ein grosses Glück, doch fehlten fünfzehn Bildchen. Von einem Insider hörte ich das Gerücht, dass Panini noch heute die allermeisten Aufkleber seiner Fussballalben an Lager habe und auch verkaufe. Ich schrieb ein Mail nach Modena mit meinen fünfzehn fehlenden 74er-Nummern. Die Antwort kam am nächsten Tag: Ja, diese Bilder seien allesamt noch erhältlich, für 50 Cents das Stück, und sobald ich den Betrag überwiesen hätte, würden sie sie mir schicken. Ich staunte und tat, wie mir geheissen. Nichts geschah. Nach einigen Wochen – ich hatte mir gerade überlegt, per Mail nachzufragen – klingelte zu Hause das Telefon. Buongiorno Signore, sie sei von Panini in Modena, und ich hätte ihnen 7,50 Euro überwiesen, doch sie wüssten nicht wofür. Ich hatte ihnen nie eine Telefonnummer angegeben. Sie hatten sie herausgesucht, wegen 7,50 Euro. Ja, ob sie denn mein Mail nicht mehr hätten, da stünden alle Nummern drin. «Nein», sagte sie, «nein, von einem Mail weiss ich nichts, Signore, doch schicken Sie die Nummern noch einmal an meine persönliche Adresse, dann kümmere ich mich drum.» Ich tat ein zweites Mal wie geheissen, und nach drei Tagen waren die fünfzehn Bilder da, darunter Johan Cruyff, und mein Album war komplett.

Es trifft mich darum ein bisschen, wenn die gegenwärtige Panini-Hysterie von einer Panini-Hatz begleitet wird. Auch wenn ich selbst nicht mehr sammle (ich setze fortan auf die Spielzeugbörse), so ist es mir doch ein Anliegen, angesichts der Müllberge in Städten, Fernsehkanälen und Regierungsgebäuden einer der letzten Bastionen italienischer Integrität den ihr gebührenden Respekt zu zollen. Panini hilft mir seit meinem ersten Album «Football 79», mich in der Schweiz, in Europa und in der Welt zu orientieren: Ich kenne den Unterschied zwischen Altstätten und Altstetten, weiss, wie Ungarn auf Ungarisch heisst, und kannte Kuwait, bevor der Irak es besetzte. Dass so viel Bildung nicht gratis sein kann, versteht sich von selbst.