Geldpolitik: Schwarzmalen oder Nichtstun

Nr. 26 –

In vielen Ländern beginnen Währungschefs das Geld zu verteuern, um die Inflation zu bekämpfen. Aber die Schweizerische Nationalbank lässt die Zinsen unverändert. Wie funktioniert diese pragmatisch handelnde Machtzentrale des schweizerischen Finanzplatzes?

«Nur etwas Wichtiges ist in den letzten drei Tagen geschehen, und das ist, dass nichts geschehen ist», sagt Sherlock Holmes in Arthur Conan Doyles Kurzgeschichte «Der zweite Fleck». Was die Wirtschaftspolitik angeht, so war ein bemerkenswertes Ereignis der letzten Tage ebenfalls ein Nichtereignis. Am 19. Juni gab die Schweizerische Nationalbank ihren Entscheid bekannt, die Leitzinsen unverändert in einem Zielband bei 2,75 Prozent zu belassen. Dass die Nationalbank die Zinsen weder erhöhte noch senkte, scheint wenig aufregend. Doch für die Konjunktur- und Preisentwicklung sind Zinsentscheide von grosser Tragweite. Geldpolitik gehört zu den wichtigsten Instrumenten der staatlichen Wirtschaftspolitik.

Erhöht eine Notenbank ihre Leitzinsen, macht sie Geld teurer und dämpft damit das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP), weil weniger konsumiert und investiert wird. Damit bekämpft sie die Inflation. Die Teuerung ist in der Schweiz mit 2,9 Prozent im Mai so hoch gewesen wie seit 1993 nicht mehr. Das Problem ist: Das Wachstum ist ebenfalls abgeflaut. Eine Zinserhöhung würde also die Konjunktur weiter abkühlen. Für 2008 prognostiziert die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) 2,0 Prozent Wachstum in der Schweiz, für 2009 nur noch 1,4 Prozent.

Die Nationalbank steckt im Dilemma. Bei Zinssenkungen, um den Aufschwung zu erhalten, wird eine erhöhte Teuerung riskiert. Zinserhöhungen aber verschärfen die Konjunkturkrise. Für Lohnabhängige hätte eine Zinserhöhung eine Verschlechterung bedeutet. Zwar tönt ein Wachstumsrückgang von 0,6 Prozent, wie ihn die OECD voraussagt, alles andere als dramatisch. Und die Prognosen sind, was sie sind - eben Prognosen, die häufig danebenliegen. Trotzdem wären die Auswirkungen sehr real. Es würden weniger Stellen geschaffen und ziemlich sicher noch mehr Arbeitsplätze gestrichen. Grob gerechnet, etwa 20 000 Jobs.

Grelle Warnungen, grosse Reden

Bei steigenden Preisen die Zinsen zu erhöhen, um das System zu beruhigen und Preisstabilität zu gewährleisten, ist der offizielle Auftrag der Nationalbank. Zugleich soll sie dies unter «Berücksichtigung der Konjunktur» tun. Weil eine Währung das Scharnier einer Volkswirtschaft zum Ausland darstellt und die schweizerische Wirtschaft klein und weltweit verflochten ist, orientiert sich die Nationalbank stark international. Vor allem schaut die Nationalbank auf die Europäische Zentralbank (EZB), weil sie ein Interesse an einem stabilen Kurs im Verhältnis zum Euro hat. Dort wird schrill vor der Inflation gewarnt. Der Präsident der EZB, Jean-Claude Trichet, malte kürzlich ein düsteres Bild: «Der Feind ist um uns», sagte er und stellte verschlüsselt eine mögliche Zinserhöhung für Juli in Aussicht. Trichet gilt als harter Monetarist, ein Anhänger jener neoliberalen Denkrichtung, welche die Preisstabilität über alles setzt und dieses Ziel hauptsächlich über die Steuerung der Geldmenge erreichen will. Damit sei die EZB auf die Bekämpfung einer überschätzten Inflationsgefahr eingeschworen, urteilt der vergleichsweise linke Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel. Anders in den USA: Dort waren die Zinsen gesenkt worden, um die Finanzkrise abzufedern. Noch weiter runter kann die US-Notenbank (Fed) kaum mehr.

International sind eher Zinserhöhungen zu erwarten. Warum also zieht die schweizerische Nationalbank nicht mit? Die Inflation wird durch die explodierenden Preise für Nahrungsmittel und Erdöl verursacht. Und diese können über einen Zinsentscheid nicht beeinflusst werden. Rund ein Prozent der gegenwärtigen Teuerung geht auf den hohen Ölpreis zurück; zieht man dieses Prozent ab, ist die Inflation tiefer als 2 Prozent - dem Satz, den die Nationalbank offiziell noch für akzeptabel hält. Zieht man zusätzlich noch die Preise für Lebensmittel ab und berücksichtigt damit nur die sogenannte Kerninflation, so sind es gar nur 1,4 Prozent. KonsumentInnen trifft die Teuerung viel härter als die Unternehmen. «Der hohe Ölpreis trifft die privaten Haushalte stärker als die Unternehmen, denn es sind hauptsächlich die Haushalte, die Öl verbrauchen. Die Unternehmen verbrauchen vor allem Strom», sagt Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes. Zum Teil wird auch kräftig profitiert. Am hohen Ölpreis verdienen Förder- und Handelsunternehmen - auch in der Schweiz. Rund ein Drittel des weltweiten Rohölhandels läuft über Genf.

Nüchterne Machtzentrale

Mit ihrem Nichtentscheid präsentiert sich die Nationalbank als pragmatisches Gremium. «Die Nationalbank hat dazugelernt», meint Daniel Lampart. «Sie entscheidet heute weniger ideologisch und mehr analytisch.» Lampart, muss man dazu anmerken, sitzt als Gewerkschaftsökonom im Bankrat der Nationalbank, zusammen mit VertreterInnen der Kantone und der Wirtschaftsverbände. Der Konsens ist breit, dass die Nationalbank flexibel entscheidet. «Die Nationalbank betreibt schon länger keinen Monetarismus nach Lehrbuch mehr», sagt der emeritierte Wirtschaftsprofessor René Erbe, in den Neunzigern ein Kritiker der Nationalbank. Geldpolitik gibt sich als technokratische Angelegenheit. Geht es ums Geschäft, handeln KapitalistInnen pragmatisch. Die Bank der Banken macht da keine Ausnahme.

Diese Sachlichkeit der Schweizer Währungschefs bedeutet indes keine grundlegende Abkehr von neoliberalen Prinzipien. Die Nationalbank ist eine von der parlamentarischen Linken wenig beachtete und unterschätzte Machtzentrale. Das dreiköpfige Direktorium agiert unabhängig von Bund und Parlament. Die offiziellen politischen Instanzen haben keinen Einfluss auf seine Entscheide, vor der Öffentlichkeit rechtfertigen muss sich die Nationalbank kaum. Dabei wird der Bock zum Gärtner oder: der Spekulant zum Währungshüter gemacht. Der Nationalbank-Vizepräsident Philipp Hildebrand hat seine Karriere bei einem Hedgefonds begonnen, einem jener Finanzvehikel, die am meisten mit Fremdkapital hochgehebelt und am wenigsten reguliert sind. Bei der Nationalbank führt er genau das für Finanzmarktaufsicht zuständige Departement.