Kapitalismus: Speise dich ein!

Nr. 26 –

Die Experten der Unternehmensberatungsfirma McKinsey kamen zu Gate Gourmet in Düsseldorf. Sie traten vor die Belegschaft, zogen ihre Krawatten aus, waren locker und gleich mit allen per Du. Sie sagten: «Lasst uns Gokart fahren gehen.»

Das war im Jahr 2005, und Gate Gourmet ist die ehemalige Swissair-Tochter, die Flugzeuge mit Fertigfood versorgt. Auf der Spielbahn beobachteten die Experten, wie die Leute ihre Runden drehten, und machten sich Notizen. Wer von der Belegschaft zeigte sich initiativ, wer trieb eher mit dem Strom mit? Der Betriebsausflug war ein Verhaltensexperiment. Die UnternehmensberaterInnen von McKinsey sammelten Wissen und begannen dann, die Arbeitsabläufe bei Gate Gourmet umzukrempeln. Die ArbeiterInnen wehrten sich mit einem sechsmonatigen Streik. «Menschenwürde» stand auf dem Transparent vor dem Streikzelt.

Detlef Hartmann engagierte sich im Umfeld dieses Streiks, und das Buch «Cluster», das er mit Gerald Geppert geschrieben hat, ist aus der Erfahrung von Kämpfen wie dem bei Gate Gourmet entstanden. Es sind Kämpfe um Menschenwürde - etwas technischer ausgedrückt: Kämpfe, in denen sich Menschen dem unternehmerischen Zugriff auf ihr Selbst widersetzen. Hartmann ist bekannt für diese Betonung des widerständigen Subjekts. Er hat 1981 «Leben als Sabotage» veröffentlicht, ein prägendes Buch für die Autonomen in den linksradikalen Zusammenhängen der Achtziger. «Cluster» nun bezieht eine sozialrevolutionäre Position, die man in aktuellen Theoriedebatten selten hört. Mit vielen Schachtelsätzen und Fremdwortkaskaden zwar, aber entschieden kämpferisch.

Das Buch befasst sich mit den Sozialtechnologien, die Firmen wie McKinsey vorantreiben. «Ich-AG», «Work-Life-Balance», «Humankapital»: Heute herrscht eine neue Etappe des Kapitalismus, so die Autoren, in der die Seele und die Subjektivität der Arbeitenden als Ressource verwertet werden. Das Fliessband hatte einst die ArbeiterInnen zur Maschine herabgesetzt. Nun soll deren Selbst sozusagen zu einem Computer umgebaut werden. Im Postfordismus wird «das Leben selbst zum Unternehmen, das sich auf einem Markt behaupten muss».

Die Durchdringung der Menschen bis in die verborgenen Winkel ihrer Innerlichkeit verlangt ganz konkret eine Neuordnung des Raumes. «Cluster» heisst die Verdichtung ökonomischer Aktivität in einer Region. Regionalplanung zielt auf wirtschaftliche Innovationen ab. Die Autoren untersuchen, wie McKinsey zusammen mit der Volkswagen AG und den Behörden die Region Wolfsburg umbaut und auf Weltmarktbedingungen trimmt. Das Buch verfolgt dabei, wie Managementstrategien die Wissensgesellschaft durchsetzen. Denn die Ware, die McKinsey verkauft, ist das Wissen darüber, wie man das Wissen der Arbeitenden neu arrangiert. Das Ziel ist, dass die Menschen in einem umfassenden Sinn sich selbst in die Produktion einspeisen.

Wie weit die Unterworfenen ihre Selbstbehauptung gegen diese Zumutung setzen, werde, so die Autoren, die zukünftigen Kämpfe bestimmen. Herz und Verstand waren seit je Elemente des Klassenkampfs. In der Wissensgesellschaft sind sie es erst recht.

Detlef Hartmann und Gerald Gebbert: Cluster. Die neue Etappe des Kapitalismus. Assoziation A. Berlin/Hamburg 2008. 222 Seiten. Fr. 25.90