Whistleblowing: Ausgepfiffen

Nr. 30 –

Wer korrupte ChefInnen verpfeift, muss sich warm anziehen. Denn man zahlt einen hohen Preis, zumindest in der Schweiz. Anderswo gibts Schutz vor Repressalien - und sogar massenhaft Geld.


Ein Herr Bradley Birkenfeld arbeitete als Direktor bei der UBS in Genf, von wo aus er US-amerikanische KundInnen betreute. Nachdem er in den USA wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung angeklagt wurde, packte er aus. Ein Herr Rudolf Elmer war Vizechef der Bank Bär auf den Cayman-Inseln, bevor er Insiderwissen ausplauderte. Ein Herr Heinrich Kieber wiederum arbeitete bei der liechtensteinischen LGT-Bank im Archiv. Die Kundendaten verkaufte er für 4,2 Millionen Euro an den deutschen Bundesnachrichtendienst. In allen Fällen ging es um Steuerhinterziehung im grossen Stil.

Diese drei Herren sind Whistleblower - Insider, die unethisches oder illegales Handeln aufdecken. Also Gutes tun, aus idealistischen oder auch eigennützigen Gründen. Man sollte sich hüten, ihrem Beispiel zu folgen. Denn solche Geschichten enden selten gut.

Von Privatdetektiven verfolgt

Da wäre Rudolf Elmer, 53, Brillenträger, zerfurchte Stirn, bis 2003 Vizechef der Bank Bär auf den Cayman-Inseln. Nach einer Zurückstufung beginnt er, zu Hause Kundendaten zu horten. Er will die Bank Bär unter Druck setzen. Bei einem Lügendetektortest, mit dem die Bank herausfinden will, wer die Akten gestohlen hat, fällt Elmer durch, die Bank entlässt ihn fristlos. Gegenseitige Anzeigen. Elmer droht, die Steuerbehörden zu kontaktieren. Sein Haus wird durchsucht, seine Familie von Privatdetektiven verfolgt, Elmer schreibt anonyme Briefe, er und seine sechsjährige Tochter brauchen psychologische Hilfe. Er stellt heisse Dokumente ins Internet, ruft mehrere NGOs an - und die rechtsextreme NPD. «Wenn Ihnen niemand hilft», sagt Elmer, «sind Sie bereit, einen Bund mit dem Teufel einzugehen.»

Wegen des Vorwurfs, das Bankgeheimnis gebrochen zu haben, kommt Elmer für einen Monat in Untersuchungshaft, dann zieht er nach Mauritius, verliert wieder den Job, weil niemand einen singenden Banker will. In der Schweiz dürfen seine Unterlagen nicht den Steuerbehörden übergeben werden. Die Bank Bär habe ihn, sagt er, zu «einem Handlanger der Unmoral» gemacht, er wolle, dass «die Finanzwelt moralischer und ethischer» werde.

Elmer hat Angst. Eines Abends ertappt er sich dabei, wie er im Garten liegt, in seiner Hand ein Nagelbrett, mit dem er die Autos seiner Feinde stoppen will, «da habe ich gemerkt, ich bin wieder an eine Grenze geraten». Längst ist Elmer zu seinem eigenen Fall geworden, er ist isoliert, finanziell am Ende und ohne Rechtsvertretung. Und so tut er, was in dieser Situation alle tun: Er dokumentiert seine Geschichte mit Akribie. Eine Geschichte, die bald niemand mehr hören will.

Elmer kann nicht aufgeben. In einem gefälschten Brief, den er im Namen eines ehemaligen Bank-Bär-CEO verfasst, vergleicht er sich mit Gandhi und Nelson Mandela. Auf seiner Website swisswhistleblower.com schreibt er von sich in der dritten Person - er ist David, die Bank Bär wird «im weiteren GOLIATH genannt»: «DAVID hat aber auch Rechte und der LIEBE GOTT unterstützt ihn sicher darin!»

Von Gott sprach auch der berühmteste Whistleblower der Schweiz, der Nachtwächter Christoph Meili, der 1997 im Schredderraum der Schweizerischen Bankgesellschaft (heute UBS) Bundesordner aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs nach Hause nahm und sie so vor der illegalen Vernichtung rettete: «Es ist ein bisschen wie David und Goliath. Aber ich habe Gott auf meiner Seite.»

Damals, 1997, war die Schweiz aufgewühlt von der Aufarbeitung ihrer Rolle im Zweiten Weltkrieg, die Bergier-Kommission steckte mitten in ihrer Arbeit zu den nachrichtenlosen jüdischen Vermögen. Im Herbst beschloss der Nationalrat, dass InformantInnen, die der Kommission Auskunft erteilen, vor Repressalien geschützt sein sollen: 98 von 110 stimmten der sogenannten Lex Meili zu. Einige Wochen später kippte die Stimmung aus Ärger über Meili, der vor dem US-Senat gegen die Schweizer Behörden und Banken ausgesagt hatte. Die Lex Meili kam nie. Danach passierte bezüglich eines Schutzes von WhistleblowerInnen lange Zeit kaum etwas.

Nun, Jahre später, lässt der Bundesrat ein Gesetz ausarbeiten. Anstoss dazu war eine SP-Motion von 2003 - erst hatte der Bundesrat abgelehnt, aus Angst vor einem «allgemeinen Denunziantentum». Das Gesetz dürfte zahnlos bleiben. Allenfalls könnte die Entschädigung bei einer missbräuchlichen Kündigung erhöht werden - momentan liegt sie bei durchschnittlich zwei Monatslöhnen.

WhistleblowerInnen müssen auch künftig damit rechnen, dass ihre Entdeckungen vertuscht werden. Oder dass sie entlassen und mit Klagen eingedeckt werden. Denn Angestellte dürfen Missstände eigentlich nur intern melden, sie sind zu Verschwiegenheit verpflichtet.

Ein Anruf pro Woche

Speziell die Banken schützen ihre Geheimnisse mit viel Energie: Die Eidgenössische Bankenkommission plante vor drei Jahren ein Verfahren, nach dem sich WhistleblowerInnen melden können; das Anliegen scheiterte. Mehr noch: Die Banken erreichten, dass ab 2009 die maximale Strafe für Bankgeheimnisverletzungen erhöht wird, von sechs Monaten Gefängnis auf drei Jahre.

Auch die Behörden tun sich schwer. Die Eidgenössische Finanzkontrolle hat zwar eine Meldestelle - sie bietet aber keine Anonymität, ist kaum bekannt und kaum besetzt. Die wenigen städtischen und kantonalen Ombudsstellen sehen sich nur für Unrechtmässigkeiten in der Verwaltung zuständig. Die einzige Anlaufstelle bietet die Antikorruptions-NGO Transparency International, sie führt eine Hotline, auf die etwa einmal pro Woche angerufen wird, wie Simon Brugger von Transparency sagt. «Einige dieser Fälle sind brisant. Doch die Whistleblower melden sich leider meist erst bei uns, wenn sie schon geplaudert haben und in der Klemme stecken.» Eine NGO könne sich der Fälle nicht wirklich annehmen, sagt Brugger. «Ich sage immer: Schicken Sie mir keine Dokumente! Wir können nur Tipps geben, mehr nicht.»

Dabei gäbe es viele interessante Dokumente zu prüfen: Gemäss einer aktuellen Studie der Beratungsgesellschaft PwC war jedes dritte Unternehmen in den letzten zwei Jahren mindestens einmal von Betrug betroffen, die meisten Delikte wurden durch WhistleblowerInnen aufgedeckt. Nach wie vor wird rund die Hälfte aller Fälle von Wirtschaftskriminalität auf der Teppichetage begangen - dort also, wo WhistleblowerInnen sich melden müssten. Immer mehr Schweizer Grossfirmen richten deshalb Meldestellen ein, bislang sind es aber erst 22 Prozent. Zum Vergleich: In Westeuropa sind es 32, in den USA sogar 77 Prozent (dort sind die börsenkotierten Unternehmen dazu verpflichtet).

Gammelfleisch und Schmiergeld

Andere Länder gehen radikalere Wege als die Schweiz. Sie bezahlen WhistleblowerInnen. In den USA wurde der Kronzeugenschutz nach den Milliardenskandalen bei Enron und Worldcom ausgebaut - TippgeberInnen dürfen nicht entlassen oder eingeschüchtert werden, sie dürfen direkt an die Öffentlichkeit, und sie dürfen anonym bleiben. Wenn sie im öffentlichen Sektor mithelfen, dass Betrugsfälle auffliegen, können sie mit bis zu dreissig Prozent der Schadenssumme rechnen. Das können Hunderte von Millionen Dollar sein. Eine effiziente Methode: Seit der Einführung dieses Gesetzes 1986 werden in den USA jährlich im Schnitt Betrugsfälle von mehr als einer Milliarde Dollar angezeigt - fünfzig Mal mehr als davor.

Auch in Europa tut sich einiges: In Britannien, das seit 1999 ein gutes Whistleblowing-Gesetz hat, wird gerade an einem besseren InformantInnenschutz für den Finanzmarkt gearbeitet. Und das deutsche Bundesfinanzministerium will eine hochsichere Plattform für anonyme Hinweise einrichten (in Niedersachsen hat man damit gute Erfahrungen gemacht). Zudem soll die rechtliche Situation von TippgeberInnen verbessert werden. Das Anliegen wird als so dringlich betrachtet, dass es an einem erstaunlichen Ort untergebracht werden soll: im neuen Lebensmittel- und Futtermittelrecht. Weil durch TippgeberInnen künftig Gammelfleischskandale aufgedeckt werden sollen. Aber auch Schmiergeldaffären wie bei Siemens und VW oder Spitzelaktionen wie bei der Telekom.

Zurück zu Elmer und Meili. Denn es bleibt die Frage, wieso sich zwei so unterschiedliche Männer in einem Kampf von biblischen Ausmassen wähnen.

Die Folgen des Whistleblowings sind erschreckend - je grösser das aufgedeckte Vergehen, desto härter die Vergeltung: 90 Prozent der TippgeberInnen werden entlassen oder zurückgestuft, 27 Prozent juristisch verfolgt, 26 Prozent brauchen psychologische oder medizinische Hilfe, 17 Prozent verlieren ihr Haus, 15 Prozent lassen sich scheiden, 10 Prozent unternehmen einen Selbstmordversuch, viele verlassen ihr Land und ihren Beruf. Das entspricht mehr den Auswirkungen eines schweren Verbrechens als denen einer guten Tat.

Ein unheilvoller Mechanismus setzt sich in Gang. WhistleblowerInnen haben in einer Firma nicht die Position, Missstände anzukreiden, das können nur die ChefInnen. Dadurch bleibt ihnen zur Legitimation nur die Moral. Durch ihr Handeln gewinnen sie also moralischen Status, verlieren aber ihre soziale Stellung. Je tiefer ihr Fall, desto stärker wird ihre moralische Position zur einzigen Identifikation. Und dort, bei ihrer Integrität, werden sie am härtesten angegriffen - denn die Glaubwürdigkeit des Unternehmens und diejenige der WhistleblowerInnen verhalten sich umgekehrt proportional. Auch selbstlosen TippgeberInnen werden deshalb gerne unlautere Motive unterstellt («Geldgier!», «Rache!») oder persönliche Schwächen («Meili, der Star aus Amerika,» schrieb der «Blick», «war in der Schweiz. Für seine Mutter, seine Freunde und sein Meersäuli hatte er aber keine Zeit»). Ihre Informationen werden dadurch entkräftet.

Und so endet die Geschichte in einem oft lebenslangen Kampf. Gut gegen Böse. David gegen Goliath.

PS: Seit dem Fall Meili lässt die UBS alles Papier - selbst Zeitungen - von einer externen Firma vernichten.