Durch den Monat mit Edith Siegenthaler (Teil 1): Was kostet ein Super-Gau?

Nr. 36 –

WOZ: Warum sollen am 11. September 900 Velos auf dem Bundesplatz stehen?
Edith Siegenthaler: Wir wollen mit unserer Aktion darauf aufmerksam machen, dass Atomenergie auf dem Markt bevorteilt wird. Jedes Velo ist mit einer Vignette für zwei Millionen Franken haftpflichtversichert. 900 Velos sind also für 1,8 Milliarden Franken versichert – genauso hoch wie ein Atomkraftwerk. Das ist ein lächerlicher Betrag für ein AKW! Atomstrom wäre extrem viel teurer, wenn er ausreichend versichert wäre.

Wie viel teurer denn?
Atomstrom wäre nicht mehr wettbewerbsfähig.

Was wäre eine ausreichende Versicherung für ein AKW?
Ein Super-GAU kann bis zu 4300 Milliarden Franken Schaden verursachen. Und das ist nur eine vorsichtige Schätzung vom Bund. Die heutige Haftpflichtversicherung deckt davon nicht einmal ein Prozent.

Sie reden über Haftungsfragen. Wieso mobilisieren Sie nicht gleich gegen den Bau neuer Atomkraftwerke?
Die Medienoffensive der Atomstromlobby war sehr erfolgreich: Viele glauben heute, dass man unbedingt neue AKWs brauche. Darum weisen wir auf die Marktverzerrung hin. So wollen wir die Leute ansprechen, die sich von ökonomischen Argumenten überzeugen lassen.

Ist es nicht schwierig, mit kalten Zahlen zu argumentieren?
Ich glaube, mit den Velos können wir das Problem gut visualisieren. So können wir die Zahlen besser rüberbringen und gleichzeitig mehr Aufmerksamkeit wecken.

Wen erwarten Sie am 11. September auf dem Bundesplatz?
Ich erwarte natürlich Velofahrer und Velofahrerinnen. Aber es ist eine Illusion zu glauben, dass wir Menschen mobilisieren können, die sich sonst gar nicht mit dem Thema befassen. Wir hoffen einfach, dass engagierte AKW-Gegner kommen, sich gegenseitig kennenlernen und die Konzerte geniessen. Es soll ja auch Spass machen.

Diejenigen, die Sie eigentlich ansprechen wollen, werden also gar nicht da sein?
Es wäre natürlich schön, wenn sie kämen, sei es auch nur als Passanten.

Was erhoffen Sie sich von Ihrer Aktion?
Unser Argument soll in der Presse ausführlich diskutiert werden. Und bei einer Abstimmung sollen die Stimmbürger neue AKWs ablehnen – auch wegen der Haftpflichtversicherung.

Wie sieht der Fahrplan aus?
Der Energiekonzern Atel hat im Juni bereits ein Bewilligungsgesuch für ein neues AKW in Gösgen eingereicht. Über solche Rahmenbewilligungsgesetze kann man abstimmen, wenn ein Referendum dagegen ergriffen wird. Und das ist sicher. Bis dahin sollten wir so weit sein, dass wir die Leute sensibilisiert haben.

Sie haben für Ihre Fahrradaktion den 11. September ausgesucht – hat das einen bestimmten Grund?
Während der Session ist der Bundesplatz nicht für Kundgebungen freige-geben. Wir haben uns extra ein Datum in der letzten Woche der Sommerpause ausgesucht und einen Donnerstag -gewählt, weil an diesem Tag in Bern der Abendverkauf stattfindet und mehr Menschen in der Stadt sind. Ausserdem spekulieren wir auf die Studenten – das Wintersemester der Uni beginnt ebenfalls in der darauffolgenden Woche.

Aber gerade der 11. September hat ja einen grossen Symbolcharakter: AKWs könnten mögliche Angriffsziele terroristischer Organisationen sein ...
Das Datum ist wirklich purer Zufall. Aber es ist schon richtig, am 11. September ist allen viel mehr bewusst, dass etwas passieren kann.

Sie haben gerade vor dem Käfigturm in Bern Flyer verteilt. Wie waren die Reaktionen?
Na ja, ich habe mit einem Mitarbeiter vom AKW Mühleberg gesprochen, der war über unsere Forderung nicht sehr erfreut. Aber sonst habe ich gemerkt, dass das Thema bei Älteren auf mehr Verständnis stösst als bei Jüngeren.

Wirklich?
Es hat mich auch erstaunt, dass unter den Jungen so viele hartnäckige AKW-Befürworter sind.

Können Sie sich das erklären?
Ich glaube, das Problembewusstsein ist bei den Älteren grösser, weil Tschernobyl für sie ein einschneidendes Erlebnis war. Den meisten Jugendlichen wird nur die heile Welt des Atomstroms vorgegaukelt – die Gefahren sind ihnen nicht bewusst.

Sie waren damals drei Jahre alt ...
Das stimmt. Aber meine Eltern waren immer schon sehr kritisch eingestellt und haben mir diese Haltung weitergegeben. Sie waren auch die ersten in unserem Ort, die auf dem Dach eine Solaranlage installiert haben.

Edith Siegenthaler (25) studierte Geschichte, Philosophie und Slawistik. Zurzeit absolviert sie ein Praktikum im Bereich Kampagnen bei der SP. Ein Freund holte sie ins Organisationskomitee der Veloaktion.