Crash mit Folgen: Einstürzende Altbauten

Nr. 38 –

Die Ereignisse markieren das Ende des bisherigen Wall-Street-Regimes.


Seit dem schwarzen Montag dieser Woche wissen wir es besser: Die internationale Finanzkrise, deren Ende seit August 2007 unablässig verkündet wurde, hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Vor zwei Wochen, bei der Rettung der Hypothekarbanken Fannie Mae und Freddie Mac, hiess es, jetzt sei alles unter Kontrolle. Nichts da. Das Schlimmste liegt noch vor uns.

Eine Sensation war die Rettung von Fannie und Freddie dennoch: Hier ging die grösste Verstaatlichungsaktion in der Geschichte des Kapitalismus über die Bühne. Die US-Regierung tat, was sie bisher noch in jeder grösseren Finanzkrise getan hatte: Sie sozialisierte die Verluste von privaten Geldhäusern, deren Manager sich zuvor ein goldene Nase verdient hatten. Fannie Mae und Freddie Mac, die beiden grössten Hypothekenbanken der USA (und der Welt), waren einfach zu riesig geworden, um sie bankrottgehen zu lassen. Das hätte den Zusammenbruch des US-amerikanischen Hypothekenmarktes bedeutet. Vor allem aber Ärger mit dem Rest der Welt. Denn die Anleihen von Fannie und Freddie wurden weltweit verkauft, ausländische Zentralbanken und Staatsfonds horteten sie. Eine Pleite der beiden hätte eine neue Dollarkrise ausgelöst.

Zurück zu den Staatspapieren

Noch ein Weltrekord: Der Konkurs der Investmentbank Lehman Brothers Anfang dieser Woche ist - mit ausstehenden Forderungen in Höhe von 600 Milliarden US-Dollar - die grösste Pleite aller Zeiten. Diesmal weigerte sich die US-Regierung, die Bank zu retten. Merill Lynch, der Nummer drei an der Wall Street, ging es besser. Die Bank of America hat sie für ein Schnäppchen übernommen. Damit sind von den fünf grossen Investmentbanken, die noch vor einem Jahr an der Wall Street den internationalen Handel mit strukturierten Finanzprodukten beherrschten, nur noch zwei übrig: Goldman Sachs und Morgan Stanley.

Wo der Staat ausnahmsweise nicht hilft, helfen sich die Banken manchmal selbst. Zehn internationale Grossbanken, darunter die UBS und Credit Suisse, haben einen Nothilfefonds in Höhe von siebzig Milliarden Dollar aufgelegt. Der soll allerdings nur der gegenseitigen Unterstützung dienen - die Topliga der internationalen Grossbanken bleibt auch in der Not ein exklusiver Club. Der US-amerikanische Einlagensicherungsfonds, der für alle Banken da ist, verfügt nicht über genügend Geld, und seine Reserven schmelzen rasant dahin.

Die Bankenpleite vom Montag hat ein weltweites Beben an den Aktienbörsen ausgelöst. In Massen sind die AnlegerInnen aus den Finanzwerten geflüchtet, weltweit haben sie sich in die guten alten Staatsanleihen gerettet. Staatspapiere bringen nicht viel Zinsen, gelten aber nach wie vor als sicher; der Staatskredit ist der letzte Notanker des internationalen Finanzsystems. Die Rendite ist egal, Hauptsache, man bekommt sein Geld zurück. Wenn das keine Krisenstimmung ist.

Die Zentralbanken reagierten hektisch wie gewohnt. Sie pumpten wie wild Geld in die Märkte - insgesamt weit über 120 Milliarden Dollar. Die ZentralbankerInnen glauben nach wie vor, die Banken befänden sich in einer Liquiditätskrise, es fehle ihnen also einfach an flüssigen Mitteln. Dabei müsste ihnen jeder neue Bankenkrach vor Augen führen, dass es sich hier längst um eine Insolvenzkrise handelt, dass viele Institute hoffnungslos überschuldet sind. Ihre mit Krediten finanzierten «Investitionen» in allerlei hochkomplizierte, sogenannt strukturierte Finanzprodukte, die sich längst nicht nur auf den kriselnden US-Hypothekenmarkt beziehen, haben rasant an Wert verloren. So sitzen sie jetzt auf Bergen von Schulden, denen nur Berge wertloser Papiere gegenüberstehen. Weil diese Papiere praktisch unverkäuflich geworden sind, bleiben all die Geldspritzen der Zentralbanken wirkungslos.

Staatssozialismus

Der vorläufig letzte Akt des Dramas - und wieder ein Weltrekord: Die US-Regierung hat den grössten Versicherungskonzern des Landes und die Nummer zwei weltweit, die American International Group (AIG) genauso verstaatlicht wie Fannie und Freddie vor zwei Wochen. Für einen Notkredit von 85 Milliarden US-Dollar hat sie fast achtzig Prozent der Anteile des Konzerns übernommen. Die AIG durfte nicht Pleite gehen, denn sie ist durch das Geschäft mit Ausfallversicherungen für Anleihen - darunter die hochriskanten verbrieften Hypothekenanleihen - an den Rand des Untergangs gekommen. Mit dem Zusammenbruch dieses Konzerns hätte es weltweit kein Halten mehr gegeben. Wieder einmal ist die US-Regierung die letzte Rettung im System der faulen Kredite und der allgemeinen Überschuldung. In der Krise blüht plötzlich eine besonders abstruse Form des Staatssozialismus. Das entspricht der Logik eines internationalen Finanz- und Währungssystems, das nur zwei Stützen hat - Papierdollars (Schuldscheine der US-Notenbank) und Schuldscheine der US-Regierung.

Was folgt daraus? Wir erleben den Untergang eines Nimbus, das Ende der Legende von der Überlegenheit des US-amerikanischen Finanzsystems. Wir erleben eine rasante Neuordnung der Wall Street. Fortan wird die Gruppe der Finanzgiganten, die hier das Sagen haben, erheblich überschaubarer sein als je zuvor. Mehr Konzentration und Zentralisation des Finanzkapitals geht kaum noch. Wir erleben das Ende eines weiteren Mythos - des Mythos der «Finanzinnovationen». All die schicken «Finanzprodukte» der letzten Jahre erweisen sich jetzt als hochriskante Windeier. Offenbar begreifen jetzt selbst Börsianer und Analystinnen, dass man mit reinen Luftnummern nur Spekulationsblasen füllen kann.

Wer ist der nächste?

Die Finanzkrise geht weiter. Es gibt gemäss dem US-Einlagesicherungsfonds allein in den USA weit über hundert Banken, die kurz vor der Pleite stehen. Washington Mutual, die grösste Sparkasse der USA, steckt mindestens ebenso tief im Schlamassel wie die jetzt verstaatlichten Hypothekenbanken Fannie und Freddie oder die Versicherungsgesellschaft AIG. Seit Beginn der Finanzkrise haben ihre Aktien mehr als neunzig Prozent ihres Börsenwerts verloren. Sie ist die nächste Grossbank, die bankrottgehen könnte. Wieder ist es nur der Staat, der sie retten kann - ein Staat allerdings, der jetzt mit 9,6 Billionen US-Dollar in der Kreide steht.

Kommentar : Jetzt braucht es einen gezielten Eingriff des Staates

Die Auswirkung der Krise auf hiesige Institute wird immer noch unterschätzt.


Die US-Regierung hatte keine andere Wahl: Bei einem Bankrott der weltweit grössten Versicherungsgesellschaft AIG oder der Hypothekarbankriesen Fannie Mae und Freddie Mac wäre das US-Finanzsystem funktionsunfähig geworden - trotz der Kredite in dreistelliger Milliardenhöhe, die seit über einem Jahr von der US-Nationalbank in das Bankensystem geflossen sind.

Jetzt liegt der von den bankrotten Investmentbanken produzierte Wertschriftenmüll beim amerikanischen Staat und bei der US-Nationalbank und verschlechtert die Schuldnerqualität der USA - mit noch unabsehbaren Auswirkungen auf die US-amerikanisch dominierten globalen Finanzmärkte.

Ein mögliches Szenario ist ein massiver Kurssturz des Dollars mit der Folge, dass die US-Währung ihre Funktion als Weltreservewährung und Referenzwährung für den Energie- und Rohstoffhandel verliert. Sollte es dazu kommen, könnten die USA ihr jährliches Budgetdefizit von rund 600 Milliarden Dollar und das Aussenhandelsdefizit von 800 Milliarden nicht mehr finanzieren. Das wäre der Tod der Globalisierung und der Beginn einer Re-Regionalisierung der Weltfinanz - ein Trend, der angesichts der steigenden Spannungen zwischen den USA, Russland und China plausibel erscheint.

Die Schweizer Grossbank UBS ist das grösste Opfer der US-Finanzkrise in Europa, und das ist kein Zufall. Das ist der Preis von Marcel Ospels Strategie, der die Bank zu einem der grössten Player im US-Investmentbanking machen wollte. Weil es mit Credit Suisse, Swiss Re und Zurich noch drei weitere schlingernde Finanzinstitutionen gibt, die sich nach dem Vorbild von US-Firmen umgebaut haben, ist der Finanzplatz insgesamt angeschlagen.

Trotzdem halten Bundesrat und Nationalbank, zumindest bis Redaktionsschluss, hartnäckig an den neoliberalen Dogmen fest, welche den ideologischen Überbau des US-Finanzsystems bilden. Finanzminister Hans-Rudolf Merz rechtfertigt sein Nichtstun mit der Erklärung, die Schweizer Banken seien gut kapitalisiert; während das Nationalbankdirektorium auf Tauchstation ging und die Öffentlichkeit meidet.

Diese Passivität von Bundesrat und Nationalbank schadet dem Finanzplatz. Standortvertrauen setzt mehr voraus als Eigenkapital -  zumal die aktuelle Finanzkrise im Kern darin besteht, dass man nicht mehr zwischen Kapital und Wertschriftenmüll unterscheiden kann. Dies ist eine Folge des Masseneinsatzes von sogenannten Derivaten, die alles mit allem koppeln und die Grenzen zwischen realen Werten und imaginären Finanzwerten verschwinden lassen.

Wenn überhaupt, entsteht in einer Finanzkrise Vertrauen nicht durch billige Worte, sondern nur durch den gezielten Eingriff des Staates. Wenn der Finanzplatz Schweiz seine Position als Weltzentrum der Vermögensverwaltung halten will, dann müssen Finanzsystem und Bankwesen neu reguliert werden. Nötig ist eine Brandmauer zwischen den Spar-, Kredit- und Handelsbanken einerseits und der riskanten Wertschriftenspekulation von Investmentbanken und Hedgefonds. Die Abspaltung der UBS Investmentbank muss an die Hand genommen werden. Wenn nötig durch die Bankenkommission. Der Staat darf nicht erst eingreifen, wenn er Verluste übernehmen muss.

Gian Trepp