Bauen in Zug: Konzeptlos hoch hinaus

Nr. 39 –

Wie kann sich die Boomstadt weiterentwickeln? Die Abstimmung vom kommenden Wochenende über das Areal des ehemaligen Kantonsspitals könnte die Frage beantworten.


Der Zuger Stadtrat war sich einig: In corpore trat er ins Befürworterkomitee für den Bebauungsplan Belvedere ein. Wohl, um nicht den Eindruck zu erwecken, es gäbe innerhalb des Rates Opposition gegen das ambitionierte Projekt auf dem Areal des ehemaligen Kantonsspitals. Öffentlicher Druck, LeserInnenbriefe und vor allem die Hinweise auf die Richtlinien über das Verhalten der Exekutive im Wahlkampf nahmen danach zu. Und die Exekutive war sich abermals einig: Geschlossen trat der Stadtrat wieder aus dem Komitee aus. Um am selben Tag wieder ein - geschlossen, bis auf den christlich-sozialen Andreas Bossard. Dieser sah sich in den Tagen zuvor mit dem Vorwurf konfrontiert, er habe seine Frau nicht daran gehindert, im Vorgarten ein Plakat gegen das Belvedere-Projekt aufzustellen.

Schlimmste Wohnungsnot

Die Abstimmung über den Bebauungsplan Belvedere vom nächsten Sonntag bietet Stoff für vielerlei Geschichten. Das Hin und Her um den unentschlossenen Stadtrat ist die eine. Die Frage, ob eine Stadt zuerst Hochhäuser bauen und erst danach ein Hochhauskonzept erstellen soll, eine weitere. Die Geschichte dreht sich aber vor allem darum, was mit einer Stadt geschehen soll, die durch tiefe Steuern und viele finanzkräftige ZuzügerInnen ihr Gesicht verändert hat.

Auf dem Areal des ehemaligen Kantonsspitals sollen zwei Hochhäuser entstehen, mit teuren Miet- und Eigentumswohnungen. Zudem soll auf dem Gelände eine exklusive SeniorInnenresidenz gebaut werden. Und ein Luxushotel. Dem Plan erwuchs von verschiedenen Seiten Opposition.

Vor allem die Alternativen verknüpfen die Vorlage mit dem Problem der Wohnungsnot. Durch die Steuergünstigkeit herrscht in Zug eine hohe Nachfrage nach Wohnraum - im oberen Preissegment. Dies drückt alle Mieten nach oben und verknappt das Angebot an preisgünstigen Wohnungen. Zug wird so nach Genf der Kanton mit der geringsten Quote an leer stehenden Wohnungen, in einer Zeit akuter Wohnungsnot. «Viele junge Familien können sich eine Wohnung in Zug nicht mehr leisten und ziehen weg», sagt Marianne Zehnder, Gemeinderätin der Alternativen. Zug wachse viel zu schnell «und in die falsche Richtung». Es fehle ein Konzept dafür, wie die soziale Durchmischung erhalten werden könne und wie der dafür dringend benötigte bezahlbare Wohnraum zu schaffen sei. Der Bauplan des Belvedere-Areals stehe exemplarisch für den politischen Unwillen, in diese Richtung zu gehen. Öffentlicher Boden wird an private Investoren zum Bau von Luxusobjekten verkauft. Zudem wird mit dem Bau der Hochhäuser preisgünstiger Wohnraum im früheren Schwesternhaus des Kantonsspitals zerstört.

Urbanes Zug?

In der SP dagegen findet man das Projekt gar nicht so schlecht. Urs Bertschi, Präsident der Stadtpartei, erhofft sich «Urbanität, von der am Ende alle profitieren werden - auch der Mittelstand». Es sei nicht nur Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass die weniger Wohlhabenden in diesem Urbanisierungsprozess nicht verdrängt würden. Private InvestorInnen könnten durch ein Anreizsystem in die Pflicht genommen werden, den Bau bezahlbarer Wohnungen zu fördern, sagt Bertschi. Die SP-Fraktion hat der Vorlage denn auch mehrheitlich zugestimmt, und die Partei wirbt im Abstimmungskampf für ein Ja.

Aber nicht alle GenossInnen stehen dahinter. Die Zuger SP-Gemeinderätin Susanne Giger tritt gegen die Vorlage ein. An der Mitgliederversammlung, an der die Parole bestimmt wurde, waren gerade mal neun Personen auf der Proseite - ein deutlicher Entscheid angesichts der insgesamt elf Anwesenden: «Viele Mitglieder, die mit dem Parteikurs nicht einverstanden sind, kommen gar nicht mehr an die Versammlungen», sagt Giger.

Für sie ist klar: «Jetzt muss etwas geschehen, bevor alles zubetoniert ist!» Susanne Giger fordert, dass die Stadt Zug das Areal dem Kanton abkauft und in einem Mitwirkungsprozess entschieden wird, was mit dem Land an guter Lage geschehen soll. Es müsse eine Nutzung sein, die allen ZugerInnen etwas bringe - etwa ein dringend benötigtes Pflegeheim. Der Stadt Zug fehlen langfristig hundert Pflegebetten. Die Stadt könnte sich diese leisten. Der von den InvestorInnen gebotene Bodenpreis liegt mit 1400 Franken pro Quadratmeter nur etwas über der Hälfte des marktüblichen Zuger Bodenpreises für Areale in bester Lage.

Hochhäuser nicht am See

Giger ist nicht grundsätzlich gegen ein urbaneres Zug. Sie möchte aber, dass Zug «mit einer modernen Architektur, die den Menschen dient und sich in die Landschaft einpasst, die Nase vorn hat». Dazu könnten zwar durchaus Hochhäuser gehören, aber «sicher nicht direkt am See und auch nicht ohne ein taugliches Hochhauskonzept». Eine von den GegnerInnen des Belvedere-Projekts eingereichte Initiative verlangt denn auch die Schaffung von Planungsgrundlagen für den Bau von Hochhäusern.

Während sich die Zuger Alternativen und SP-DissidentInnen wie Susanne Giger mit dem Widerstand gegen die Belvedere-Hochhäuser grundsätzliche Fragen über die Zukunft Zugs stellen, wiegelt die SP-Parteispitze ab. Präsident Bertschi: «Ich halte es für verfehlt, linke Politik anhand einer einzelnen Vorlage zu betreiben. Zug braucht eine umfassendere Politik, die Lösungen auch im Wohnungsbau ermöglicht.» Für diese brauche es allerdings Mehrheiten. Bertschi sieht bei den Bürgerlichen allmählich Kooperationswillen, da auch ihre Klientel zunehmend von der Wohnungsnot betroffen ist. Diesen Kooperationswillen will er nicht mit Widerstand gegen den Belvedere-Plan gefährden.

Die linken GegnerInnen des Projektes stehen jedoch keineswegs alleine. Es ist ihnen gelungen, mit ihrer Kampagne auch Bürgerliche anzusprechen, die sich über den zukünftigen Charakter Zugs Gedanken machen. Laut Gemeinderätin Marianne Zehnder finde in Teilen der Bevölkerung ein Umdenken statt. Es werde allmählich erkannt, dass die Hoffnung, mehr Reiche würden allen etwas bringen, ein Fehlschluss sei. Sie ist zuversichtlich, die kommende Abstimmung gewinnen zu können.