Kulturpolitik: Da wars! Genau da

Nr. 39 –

In Zürich wird an diesem Wochenende über einen Kredit von jährlich 315 000 Franken abgestimmt - und zugleich über das Schicksal eines Kulturzentrums mit europaweiter Ausstrahlung.


Es geht das Gerücht, dass in Wien das Sigmund-Freud-Haus an der Berggasse 19 geschlossen werden soll. Aus drei Gründen, wie man hört: weil eine Gedenkstätte immer etwas Museales habe, weil im Namen der Psychoanalyse zu oft schon Humbug betrieben worden sei und vor allem weil alles viel zu viel koste. Für ein Gebäude an so zentraler Lage würden sich rentablere Nutzungen aufdrängen. Wohl habe es, sagt man, sofort Unmutsbezeugungen gegeben im zahlreichen Publikum, das von weit her an die Berggasse kommt, um Freuds originale Wirkungsstätte zu besichtigen.

Magie des Ortes

Kein Grund zur Aufregung, verlautet aus inoffiziellen Quellen, man werde die berühmte Couch eben anderswo ausstellen. Verschiedene Museen im In- und Ausland hätten ihr Exil angeboten. Als ob es um die Couch ginge! Und nicht um die Magie des Ortes: dass es hier war, genau hier, in diesem Praxiszimmer an der Berggasse 19, wo die Psychoanalyse ihren Anfang nahm.

Noch ist nichts entschieden und das Ganze erst ein Gerücht, an dessen Wahrheitsgehalt berechtigte Zweifel angebracht sind: Wieso sollte Wien ein Interesse daran haben, sich selbst eines derart bedeutsamen Kulturdenkmals zu berauben und so eine internationale Blamage riskieren? Da müsste man schön blöd sein! Ja, und genau das könnte Zürich in den nächsten Tagen passieren: Wird die Vorlage zum Cabaret Voltaire verworfen, darf die Stadt Zürich die Miete für die Räumlichkeiten an der Spiegelgasse 1 im Niederdorf nicht mehr bezahlen. 315 000 Franken würde die öffentliche Hand bis 2011 jährlich sparen, für das Cabaret Voltaire (auch Dadahaus genannt) wäre dies das Ende. Denn wie könnte zusätzlich zum Betriebsbudget von 500 000 Franken auch noch die Miete aus privaten Quellen und Eigenleistungen beschafft werden?

Schon mal den Zug verpasst

26 000 Franken monatlich für 292 Quadratmeter: ein ansehnlicher Betrag, man nennt dies Marktmiete. Doch was soll man da machen, die Stadt Zürich hat dummerweise die Gelegenheit verpasst, das Haus zu kaufen, als es vor bald zehn Jahren zum Verkauf stand. Zugegriffen hatte Swiss Life, und kaum hatte sie Anfang 2002 den Auftrag erteilt, Geschäftseinrichtungen für einen - nach aussen hin - anonymen Mieter zu installieren, besetzten junge Leute das Haus, um mit ihren Aktionen klarzumachen, dass es da war, genau da, wo am 5. Februar 1916 mit Dada alles begonnen hatte.

Es gab Führungen durchs besetzte Haus. Unter den Gästen war Hans Bolliger, der 87-jährige Antiquar und Kunstsammler; er erzählte von seinen Begegnungen mit Hans Arp und andern DadaistInnen der ersten Stunde. Auch ein Fernsehfilm war zu sehen, 1994 von einer deutschen Crew gedreht, anlässlich der Ausstellung «dada global» im Zürcher Kunsthaus. Der Reporter hatte sich das Haus an der Spiegelgasse zeigen lassen, in dessen Innerem - damals eine Disco - gefilmt und war sehr erstaunt darüber, dass die wenigsten ZürcherInnen sich für das Geburtshaus des Dadaismus interessierten.

Dies änderte sich sehr rasch. Es folgten zahlreiche Medienberichte, eine Unterschriftensammlung, das Komitee pro Dadahaus, Vorstösse im Stadtparlament. Auch ein Sponsor hatte sich gemeldet, Nicolas Hayek junior, mit dem Angebot, sich im selben Mass wie die Stadt zu engagieren. Falls die öffentliche Hand die Miete für das Dadahaus zahle, würde er fünf Jahre lang mit jeweils 320 000 Franken die Betriebskosten übernehmen. Public Private Partnership nennt man diese Art der Förderung.

Damit war der Druck auf Swiss Life und den immer noch anonymen Mieter - ein Galerist? ein Apotheker? - so stark geworden, dass dieser vom Vertrag zurücktrat und die Stadt Zürich im April 2003 die untern zwei Etagen für vorerst fünf Jahre mieten konnte. Man einigte sich auf eine bestechend einfache Renovationsidee: Mit sanften Eingriffen wurde die Archäologie des Hauses zum Thema gemacht: Linoleum, Klötzliparkett, Steinboden - ähnlich disparat die Wände. Er sei sehr gespannt gewesen, was beim Ablösen der Farbschichten alles zum Vorschein kommen werde, sagt einer der Beteiligten: «Decke blau, Wände schwarz» vielleicht, wie 1916 auf der Einladungskarte angekündigt? Nein, so einfach wars dann doch nicht, auch wenn der Dadaforscher Raimund Meyer einige Überbleibsel aus dem Urzustand entdeckte. Im Übrigen hat sich bewährt, dass es - auch im wörtlichen Sinn! - genügend Freiraum gab, sodass nachträgliche Einbauten möglich waren, die Vitrine etwa für die Bücher, die das Dadahaus aus dem Nachlass von Hans Bolliger geschenkt bekam. Selbstredend erhielten sie einen Ehrenplatz.

Stachel im Fleisch

Im Parterre das Gewölbe für Ausstellungen, am Eingang ein Shop, im Obergeschoss die Cafébar und ein weiterer Veranstaltungsraum, das eigentliche Cabaret Voltaire - aus den Räumen selbst hatte sich bald schon ein erstes Grobkonzept ergeben. «Dokumentieren, transformieren, experimentieren» hiess die Aufgabendefinition, wie sie Thomas Kramer (heute Verlagsleiter bei Scheidegger und Spiess) und Juri Steiner (heute Direktor des Berner Paul-Klee-Zentrums) im Auftrag der Stadt Zürich entwickelt haben. Daraus hat sich für die beiden Leiter des Dadahauses eine Arbeitsteilung entwickelt. «Ich möchte herausfinden, was Dada uns immer noch zu sagen hat», erklärt Adrian Notz, «während mein Kollege Philipp Meier mit seinen Aktionen untersucht, was Dadaisten heute machen würden.» Erfolgreich sind beide Strategien, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Philipp Meiers provokative Experimente geben naturgemäss viel zu reden, ein dankbarer Stoff für die hiesigen Medien, während die Arbeiten von Adrian Notz im Ausland auf fachliche Anerkennung stossen. Seine Ausstellung «Dada east» zum Beispiel ist seit zwei Jahren pausenlos unterwegs, in Sibiu, Prag, Stockholm, jetzt in Warschau, demnächst in Lille. Ihre Kosten hat sie inzwischen selbst eingespielt.

18 000 BesucherInnen vermeldet das Dadahaus für 2007, darunter nach wie vor der Lesezirkel Hönggerberg der ETH, das Kunsthistorische Institut der Uni mit eigenen Veranstaltungen. Und immer wieder kommt es zu Happenings berühmter BesucherInnen wie Thomas Hirschhorn, Marylin Manson, Christoph Schlingensief, Jonathan Meese, Udo Lindenberg und Fischli/Weiss.

Erfolgreich waren die beiden Leiter auch, als es darum ging, einen Ersatz zu suchen für Nicolas Hayek junior, der sich wie angekündigt nach fünf Jahren zurückzog. Jetzt sind die 300 000 Franken der Swatch auf sechs Quellen aufgeteilt: Phonak-Gründer Andy Rihs zahlt 50 000, die Volkart-Stiftung 30 000, die Stiftung Albert und Melanie Rüegg 20 000 Franken; weitere Brocken kommen von drei anonymen GönnerInnen, einer gibt 50 000, ein zweiter 30 000 Franken und ein dritter rundet die privaten Spenden auf 250 000 Franken auf. Weitere 150 000 Franken will das Dadahaus mit Raumvermietungen und dem Shop selbst erwirtschaften (und davon mindestens 70 000 Franken in eigene Projekte investieren). Unter diesen Voraussetzungen hatte der Zürcher Gemeinderat im Frühling mit 85 zu 36 Stimmen eine Verlängerung des Mietvertrags mit der Swiss Life um drei weitere Jahre genehmigt.

Polemik und: Nicht verpennen

Dass die SVP das Referendum ergreifen würde, war abzusehen. Sie polemisiert auf ihrem Plakat gegen die Kosten und schreibt im Internet, dass Dada mit einer Sammlung des Kunsthauses in Zürich bereits genügend vertreten sei. Überraschend hingegen ist die Rolle der FDP. Im Gemeinderat hatte sie für die Vertragsverlängerung gestimmt, sich an der Delegiertenversammlung dann aber mit 45 zu 19 Stimmen für das Referendum entschieden. Aus verschiedenen Gründen, rekapituliert Geschäftsführerin Claudia Simon. Es habe Kritik an einzelnen Dadaaktionen gegeben, vor allem wegen eines Graffitiworkshops und eines T-Shirts mit dem Konterfei der RAF-Aktivistin Brigitte Mohnhaupt im Dadashop. Wer solcherart das Bürgertum provoziere, wurde argumentiert, müsse dafür selbst bezahlen, zumal das Dadahaus bewiesen habe, dass es durchaus in der Lage sei, finanzielle Mittel zu generieren.

Da alle anderen Parteien sich für die städtische Vorlage ausgesprochen haben, müsste das Dadahaus zu retten sein - vorausgesetzt, dass die grosse Anhängerschaft von Dada die Abstimmung nicht verschnarcht.