«Pepperminta»: Schau, was passiert

Nr. 37 –

Pipilotti Rists erster Langspielfilm ist eine Mischung aus Pippi Langstrumpf und Alice im Wunderland. Visuell ist er wunderschön. Nur: Die Protagonistin ist eine Nervensäge. Warum eigentlich?


Pepperminta ist eine Superheldin. Und: Sie nervt. Doch, dies gleich vorweg, der erste Langspielfilm der Künstlerin Pipilotti Rist ist ein unterhaltsames, visuell wunderschönes und sehenswertes Werk. Pipilotti entführt uns in eine verwunschene Märchenwelt, in der Erdbeeren tanzen, farbige Lichtkegel Orgasmen verursachen und das Trinken von Menstruationsblut die Menschen für immer miteinander verbindet.

Schön und packend sind dabei vor allem die Bilder, die der Kameramann Pierre Mennel, der seit fünfzehn Jahren mit Pipilotti Rist arbeitet, geschaffen hat: Die intensiven Farben – immer wieder das Rot, das sich durch den ganzen Film zieht, von den Erdbeeren über die liebevoll bemalte Schnecke, das Menstruationsblut bis hin zu Peppermintas Kleidern – lassen das Publikum in eine Traumwelt à la Alice im Wunderland eintauchen. Hinzu kommen kunstvoll inszenierte Zeitlupen, Unterwasseraufnahmen und Einzelbildaufnahmen. Unterlegt mit der Musik, die Anders Guggisberg und Roli Widmer für den Film komponiert haben, wirkt der Film manchmal wie ein langer, unterhaltsamer Videoclip.

«Ein kleiner Moment ohne Angst»

Die Protagonistin heisst Pepperminta (Ewelina Guzik) – eine erwachsen gewordene Pippi Langstrumpf, die aber gar nicht erwachsen sein möchte. Rote Haare, Sommersprossen, leuchtende Augen, freches Lachen: Pepperminta ist eine naive und doch erotische Kindsfrau, verspielt, verwöhnt, lustig, launisch. Ihre beste Freundin ist der Augapfel ihrer verstorbenen Grossmutter, mit dem sie sich regelmässig unterhält und der ihr Ratschläge gibt: «Mach immer, was du dich nicht traust, und schau, was passiert.» Oder: «Es braucht nur einen kleinen Moment ohne Angst und ein paar Menschen, die mitmachen.»

Pepperminta nimmt sich die Ratschläge des Augapfels zu Herzen. Im pummeligen Muttersöhnchen Werwen (Sven Pippig) und der verschwiegenen, androgynen Edna (Sabine Timoteo) findet sie FreundInnen, und gemeinsam machen sich die drei auf den Weg, die Welt bunter und die Menschen glücklicher zu machen. Das allerdings derart aufdringlich, dass sie ziemlich nerven. Aber warum eigentlich?

Die Suche nach Antworten auf fünf Fragen, warum mich Pepperminta nervt:

Frage 1: Warum nervt mich, dass Pepperminta die ganze Zeit mit einem verklärten Blick durch die Welt hüpft?

Menschen, die genau wissen, was gut und was schlecht ist, sind mir seit je verdächtig. Pepperminta ist so überzeugt von ihrer farbigen, fröhlichen Welt, dass ich nicht anders kann, als misstrauisch zu werden. Sie erinnert mich an jene Menschen, die zu Gott gefunden haben und deswegen stets wissen, dass sie das Richtige tun. Mit einem missionarischen Eifer möchte sie auch ihr Umfeld von ihrer besseren Welt übezeugen. Ob sie heimlich Mitglied einer Sekte ist?

Frage 2: Warum nervt mich, dass Pepperminta die Klingel mit der Zunge abschleckt, ehe sie sie dann mit derselben betätigt?

Es mag ja originell sein, mit der Zunge eine Klingel zu betätigen, aber wirklich praktisch ist es nicht. Einfacher wäre es doch, den Finger zu gebrauchen. Doch es soll wohl erotischer sein, eine Klingel abzulecken, als sie zu drücken. Aber vielleicht bin ich einfach nur verklemmt, und dieses pseudoerotische Gezüngel berührt mich irgendwie peinlich.

Frage 3: Warum nervt mich, dass Pepperminta ihr Menstruationsblut in einen Pokal tropfen lässt, es dort aufbewahrt, um es dann gemeinsam mit ihren FreundInnen zu trinken?

Es gab mal eine Zeit, da war es unter den weiblichen Kunstschaffenden nicht unüblich, mit ihrem Menstruationsblut Kunst zu machen. Das war in den siebziger Jahren, in einer Zeit, in der ich Windeln und keine Binden trug, mich mit Puppen und Sandburgen beschäftigte und keine Ahnung hatte vom kostbaren Blut der Frauen. Vielleicht bin ich einfach zu spät geboren, um die Kostbarkeit dieses Blutes wertzuschätzen, vielleicht bin ich zu wenig feministisch, um diesen Akt stark zu finden.

Was mich jedoch am meisten stört, ist die aufgesetzte Natürlichkeit, die wiederum völlig künstlich wirkt. Im Sinne von: «Es gibt ja nichts Natürlicheres als mein eigen Blut, deshalb ist es auch nicht eklig, das zu trinken.»

Frage 4: Warum nervt mich, dass Pepperminta mit ihren FreundInnen ein Restaurant kapert, die Küche übernimmt und den Gästen ihre heimlichen Wünsche serviert?

Irgendwie finde ich das einfach kindisch. Es hat etwas von pubertierenden Teenagern, die in leicht beschwipstem Zustand in einen Raum eintreten, kichern, grölen, lärmen, sich den anderen Leuten im Raum überlegen fühlen und sie durch ihre penetrante Präsenz einschüchtern und verdrängen. Respekt vor der Privatsphäre anderer kennt Pepperminta nicht.

Frage 5: Warum nervt mich, dass Pepperminta Menschen auf der Strasse begrabscht, um sie glücklich zu machen?

Streicheltherapie, nein danke! Es gibt nichts Schlimmeres, als von Unbekannten betatscht zu werden. Wenn ich Zärtlichkeiten möchte, dann suche ich sie dort, wo ich will. Die Vorstellung, am Morgen auf dem Weg zur Arbeit von einer Pepperminta begrabscht zu werden, hat etwas Gruseliges!

Demonstrative Spontaneität

Eigentlich geht es in «Pepperminta» vor allem um eines: um die Angst. Die Angst, etwas Falsches zu machen, ausgelacht oder verstossen zu werden, sich unbeliebt oder lächerlich zu machen. Diese Angst, die uns täglich daran hemmt, Dinge zu tun oder zu sagen, die wir eigentlich ganz gerne tun oder sagen würden. Pepperminta überwindet diese Angst – so scheint es zumindest. Dadurch wird sie aber leider nicht mutig, sondern hemmungslos. So zelebriert sie ihre Kindlichkeit auf eine kindische Art, ihre Natürlichkeit stellt sie dermassen zur Schau, dass es völlig unnatürlich ist, und ihre überbetonte Körperlichkeit wirkt erzwungen und dadurch unerotisch. Ihre demonstrative Spontaneität ist übermotiviert und aufdringlich.

Schön wäre es, wenn Pepperminta auch Mut zur Zurückhaltung zeigen würde, Mut zu einer Zärtlichkeit, die nicht so besitzergreifend ist, und vor allem den Mut, nicht von allen geliebt werden zu wollen. Denn obwohl «Pepperminta» ein Plädoyer für ein angstfreies Leben sein soll, ist Pepperminta im Grunde die grösste Angsthäsin, die vor allem eines möchte: von allen geliebt werden. Genau das macht sie aber dann doch wieder liebenswert.

«Pepperminta». Regie: Pipilotti Rist. Schweiz 2009. Ab 10. September in Deutschschweizer Kinos.