«Wässerwasser»: Abgeschottet vom verdorrten Rest der Welt

Nr. 40 –

Der Kampf um die Ressource Wasser steht im Mittelpunkt von Urs Augstburgers neuem Roman: Eine Science-Fiction-Story mit mystischen Elementen und grosser Sogwirkung beschliesst seine Bergtrilogie.


Sommer 2041 in der Schweiz: Die letzten Gletscher sind geschmolzen, in den Städten herrscht sengende Hitze, die Seen liegen unter Glocken aus gelbem Dunst. Wer sich Urlaub vom Klimastress leisten kann, flüchtet ins «Eden». Denn das im schattigen Flischwald gelegene Luxusresort ist der letzte Ort, an dem es selbst im Hochsommer noch Tage gibt, an denen die Temperatur die 37-Grad-Marke nicht übersteigt. In diesem letzten Refugium einer ehemals paradiesischen Schweiz bewegen sich die Figuren von Urs Augstburgers neuem Bergroman «Wässerwasser», abgeschottet vom verdorrten Rest der Welt.

Mit seinem jüngsten Werk beschliesst der Ennetbadener Autor seine Bergtrilogie. Dabei nimmt er Handlungsstränge seiner ersten beiden Bergromane – «Schattwand» (2001) und «Graatzug» (2007) – wieder auf, um die Geschichten ihrer ProtagonistInnen fortzuschreiben und zusammenzubringen. Und dennoch liest sich «Wässerwasser» als eigenständiger Roman.

Technoider Alpenmythos

Agnes Bohrer – Gottenkind von Lucrezia Caminada, deren schicksalhafte Geschichte «Wässerwasser» in Rückblenden erzählt – leitet das von ihren Eltern im Jahr 2001 eröffnete Ökohotel Eden in zweiter Generation als Luxusresort. Dank des ausgeklügelten Wassersystems ihrer Vorfahren und langfristiger Verträge ist sie in einer Welt, in der Wasser längst kostbarer ist als Öl, zur Alleinherrscherin über die Wasser des Plontals geworden. Doch die nach aussen resolut und unnahbar erscheinende Geschäftsfrau ist Gefangene ihres schlechten Gewissens. So schleichen sich die Klimaflüchtlinge, die tagtäglich zu Tausenden den Weg ins abgeriegelte Europa wagen, tags wie nachts als Schatten in ihre Angstträume. Mehr als einmal musste sich die Hotelbesitzerin schon gegen Erpresser zur Wehr setzen. Doch als Unbekannte Zugang zu den Wassern des Schluchtsees fordern und damit drohen, den Flischwald in Brand zu setzen und damit Agnes’ Existenz und die ihres Sohnes in Flammen aufgehen zu lassen, bekommt die Lage einen neuen Ernst. Wie praktisch, dass gerade zufällig – oder von den Ahnen gesandt? – Agnes’ Halbbruder Albin und der Katastrophensöldner Noah vorbeikommen, um ihre Ferien im «Eden» zu verbringen. Aus der Entspannung wird nichts, stattdessen beginnt ein verzweifelter Kampf um die Wasser von Plon.

«Wässerwasser» ist eine Science-Fiction-Story mit mystischen Elementen, die die Lust des Technikfreaks Augstburger an der Ersinnung von Zukunftstechnologien ebenso deutlich spürbar werden lässt wie seine Faszination für die Bergwelt und die Traditionen und Mythen ihrer BewohnerInnen. Wie die ersten beiden Teile der Trilogie bewegt sich auch «Wässerwasser» auf zwei Zeitebenen – einer Vergangenheit zu Beginn des 21. Jahrhunderts und einer Gegenwart in den 2040er Jahren. Durch stete zeitliche Rückblenden stellt der Autor nicht nur eine Verbindung zu den vorausgegangenen Romanen her, sondern bereichert seine Figuren zudem um die Dimension ihrer Vergangenheit.

Urs Augstburger ist kein Krimiautor, der Plot seiner Erpressungsgeschichte ist mässig spannend. So macht er von Anfang an kein Hehl um die Identität der Erpresser und lässt den Final Countdown im Flischwald zunächst ausfransen, um ihn schliesslich verzischeln zu lassen wie ein feuchtes Streichholz. Trotzdem besitzt sein Roman von der ersten Seite an eine solche Sogwirkung, dass man ihn nicht mehr aus der Hand legen möchte. Sein stimmiger Sprachrhythmus und die fast filmisch beschriebenen Bilder bauen eine atmosphärische Spannung auf, die ihresgleichen sucht. Und die Empathie des Autors mit seinen Charakteren sorgt dafür, dass Figuren wie die alte Lucrezia, unter deren runzliger Haut und altersweiser Schlagfertigkeit noch immer die rätselhafte, zarte und liebeshungrige junge Frau von einst durchscheint, lange nachwirken.

Parabel für die Schweiz

Das Bergdorf, das sich der Welt verweigert oder sich ihr durch Staudammbau und Tourismus öffnet, steht in Augstburgers Romanen parabelhaft für die Schweiz. Denn nirgendwo, so der Autor im Interview, spüre man den gesellschaftlichen Wandel so stark wie in den Bergen. Und so hat Augstburger sein düsteres, von aktuellen Klimaberichten inspiriertes Zukunftsszenario an fiktiven Orten in den Walliser Bergen angesiedelt. Doch trotz Katastrophenbildern und Seitenhieben auf Konzerne wie Nestlé (Agnes’ Widersacher, der Nahrungsmittelgigant Pure Water, beutet die Grundwasservorkommen verschiedener Kontinente aus und verkauft sie den Betrogenen in Flaschen) hat Augstburger sich nicht der Rolle des Weltverbesserers verschrieben. Der «exzessive Skifahrer» (Augstburger über Augstburger) zeigt sich vielmehr als fatalistischer Beobachter, der die Stirn ob der düsteren Zukunftsaussichten für seine Töchter sorgenvoll in Falten legt, um seinen «letzten Tanz auf dem Schnee» nichtsdestoweniger zu geniessen.

So beschliesst er seinen Roman auch mit einer symbolischen Sühnetat der «Eden»-Chefin in einem etwas kitschig anmutenden, vermeintlichen Happy End. Denn die vorübergehende Rettung des Resorts und seiner BewohnerInnen ist, so viel ist angesichts der fortgeschrittenen Katastrophe klar, nicht mehr als ein Tropfen auf den heissen Stein.

Urs Augstburger: Wässerwasser. bilgerverlag. Zürich 2009. 344 Seiten. 39 Franken