Durch den Monat mit der Theatergruppe Schauplatz International (Teil 3): Scheinbefreit?

Nr. 47 –

«Freiheit bleibt eine Idee»: Martin Bieri von Schauplatz International (vorne) mit Lars Studer, Pips, Anna-Lisa Ellend, Mäxx, Nikki und Albert Liebl.

WOZ: Wie sind die Maskottchen beim Zürcher Publikum in der Roten Fabrik angekommen?
Lars Studer: Sie kamen sehr gut an.
Anna-Lisa Ellend:
Da wir «Mascots I» und «Mascots II» in einer Doppelaufführung spielten, dauerte das Stück vier Stunden. Diese Länge war auch für uns eine neue Erfahrung.

Albert Liebl: Wir haben herausgefunden: Ab einer gewissen Spieldauer wird der Zeitpunkt des reinen «nice to have» überschritten. Irgendwann kommt dann der Moment, wo sich Spieler und Zuschauer solidarisieren. Im Sinn von: Da gehen wir gemeinsam durch. Das hat was von Konsequenz.

Und wie hat sich das auf die Maskottchen ausgewirkt?
Ellend:
Es gab Zuschauer, die zeigten sich angetan von ihrer gesteigerten Lebendigkeit gegen Ende des Stücks.

Martin Bieri: Wir haben aber auch festgestellt, dass ihr Befreiungsprozess noch lange nicht abgeschlossen ist.

Studer: Die Maskottchen sind leider noch längst nicht am Punkt angekommen, wo man sie als befreit bezeichnen könnte. Sie können es einfach nicht. Und dann fallen sie immer wieder in ihr altes Verhaltensmuster zurück.

Liebl: Für mich ist das der Moment, wo wir über ihre Exekution nachdenken sollten.

Bieri: Hinzu kommt ja auch, dass sie in letzter Zeit sehr unangenehm riechen.

Eine Begleiterscheinung der Anstrengungen, die eine solche Selbstbefreiung mit sich bringt?
Liebl:
Anstrengung? In «Mascots II» führen wir sie zunehmend an einer längeren Leine. Wie wir nun aber sehen, handelt es sich dabei nur um eine scheinbare Freiheit. Die Maskottchen spielen ihre Freiheit, ohne wirklich befreit zu sein. Ist ja vielleicht auch durchaus zeitgenössisch.

Wie lautet Ihr Fazit aus der bisherigen Beschäftigung mit den Maskottchen?

Bieri: Freiheit bleibt für die Maskottchen bis auf weiteres eine Idee – und noch lange keine Möglichkeit.

Ellend: Wobei es umso bemerkenswerter ist, dass es ihnen dabei so gut geht. Ihre Happiness ist ja wirklich penetrant. Sie haben das Gefühl, mit diesem Projekt etwas Sinnvolles zu machen. Und inzwischen haben sie nicht mal mehr ein schlechtes Gewissen gegenüber ihren Berufskollegen, die ihre Dienste weiterhin der Werbung zur Verfügung stellen.

Liebl: Was mir jetzt vorschwebt, ist ein internationaler Weltkongresses der unabhängigen Maskottchen. Sie müssen Überzahl schaffen.

Mit Nestlé als Hauptsponsor? Der Weltkonzern ist mit Schauplatz International ja schliesslich eine Partnerschaft eingegangen. Widerspricht das nicht Ihren Überzeugungen?
Bieri:
Bei den 30 000 Franken handelt es sich nicht um die direkte Unterstützung einer Produktion. Das Geld wird uns für ein Jahr zur freien künstlerischen Verfügung gestellt und ist an sogenanntes Vertrauen gebunden. Wir haben ein ambivalentes Verhältnis zu dieser Zuwendung. Aber wir brauchen sie.

Liebl: Es handelt sich dabei nicht um den ersten Beeinflussungsversuch, dem wir begegnen. In unserem Stück «Stadt des Schweigens – eine Inselrevue» (2007) über den Zuger Finanzplatz gaben wir einen Unterstützungsbeitrag der Ernst-Göhner-Stiftung auf offener Bühne an südamerikanische Aktivisten weiter. Die Stiftung hatte ihr Geld mit Praktiken verdient, die wir im Stück kritisierten.

Wie wurde darauf reagiert?
Liebl:
Ein politischer Vertreter des Kantons Zug betrat während der Vorstellung in Zug die Bühne. Er fragte, ob das noch Theater sei, und versuchte, da er dies offensichtlich bezweifelte, die Situation mit theaterfremden, rhetorischen Strategien zu meistern. Was einen wirklich sehr tollen Theatermoment ergab.

Studer: Kulturförderung ist widersprüchlich: Man demonstriert Grosszügigkeit, möchte das unabhängige Kunstschaffen fördern und das eigene Image pflegen – weiss aber selbst offensichtlich nicht allzu genau, wie dieses Image dann aussehen soll. Gesellschaftskritik an sich ist zwar geradezu erwünscht – die konkrete Entblössung und Infragestellung der Politik des Geldgebers aber wird dann von diesem als Vertrauensbruch wahrgenommen.

Bieri: Kritik wird halt erst gefährlich, wenn sie konkret wird. Solange sie allgemein bleibt, gehört sie zum guten Ton.

Schauplatz International (Anna-Lisa Ellend, Albert Liebl, Martin Bieri, Lars Studer), Theaterkollektiv, wurde 1999 gegründet.

Homestorys: www.schauplatzinternational.net/homestories.html