Zeltmacher: Familiär und erfolgreich

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Am Fuss des Zürichbergs fertigt eine kleine Firma Zelte und Schlafsäcke an. Die Spatz AG floriert seit 75 Jahren und trotzt in ihrer Nische der Globalisierung. Sie ist im Besitz der MitarbeiterInnen.


Ein älterer Herr führt sein teures Spielzeug spazieren, verfährt sich dabei und blockiert beim Wendemanöver mit dem blütenweissen Rolls-Royce die Strasse unterm Zürichberg. Etwas abseits davon stinkt es weniger nach Geld, dort riecht es nach alten Zeiten. Wer den Backsteinbau an der Hedwigstrasse 25 betritt, fühlt sich um Jahre, ja Jahrzehnte zurückversetzt. Man findet sich in einem Laden wieder, der nichts weiter ist als ein Laden. In den Regalen sind die Stirnlampen, Moskitonetze, Taschenmesser oder Gassturmfeuerzeuge sauber eingeordnet. Hier taucht die Kundschaft in Nüchternheit ein. Es geht ganz ohne den üblichen Marketingzauber – keine glanzvollen Inszenierungen, keine Illusionen, keine Glasfronten, keine zudringlich grinsenden VerkäuferInnen lenken von den Produkten ab: solide und zeitgemässe Ausrüstung für Camping-, Outdoor- und Wanderfans.

Was die Spatz AG aber im Kern in der Schweiz einmalig macht, liegt über dem Laden. Dort rattern im alten Haus die Nähmaschinen, lagern in der Schweiz hergestellte Stoffbahnen, dort produzieren an diesem Vormittag vier Frauen und ein Mann Sonderanfertigungen und Zelte – Spatz-Zelte. Sie beugen sich über Stoffbahnen und drücken aufs hydraulisch betriebene Pedal der Nähmaschinen, Dreifadenrollen, Scheren und Nadelkissen neben sich. Eine Näherin flickt eine Sonderanfertigung. Die Spatz AG hat das dreizehn mal fünfzehn Meter grosse Sonnen- und Regendach für das Seebad Enge hergestellt. Der letzte Sturm hat es zerrissen.

Geniale Einfälle

Die Firma wurde im Jahr 1935 vom Tüftler und Erfinder Häusi Behrmann gegründet, in den schwierigen Zeiten der Weltwirtschaftskrise. 1941 erfand Pionier Behrmann laut Firmenchronik das Doppeldachzelt: Dieses Prinzip, bei dem eine Luftschicht zwischen sehr dicht gewobenen Baumwollstoffen für ein gutes Klima sorgt, ist heute Standard. Der Tüftler entwarf über sechzig Zeltmodelle und liess sie in seiner Firma produzieren. Auch der Dreilochspanner gilt als «genialer Einfall» von Häusi Behrmann. Dieses Instrument dient dazu, die Zeltspannschnüre zu verstellen und zu fixieren. Behrmanns Erfindergeist lebt in seinen Zelten weiter. Generationen von Jugendlichen, die in Pfadi-, Cevi-, Jungwacht- oder Blauringlagern das Leben unter freiem Himmel genossen und geniessen, verbrachten und verbringen ihre Nächte wie auch die Regentage in einem rehbraunen Gruppen-Spatz. Im Zelt finden sechs bis acht Jugendliche Platz. Es ist robust, überdauert die Zeit, bleibt vierzig und mehr Jahre im Einsatz.

Neben dem Gruppen-Spatz produziert die Firma acht weitere Zeltmodelle, zwei Schlafsacktypen, den «legendären», besonders leichten Dreibeinhocker sowie Sonderanfertigungen. Das Spatz-Atelier näht jährlich 400 Zelte, repariert Outdoorprodukte und schickt Bestellungen, die bis 14 Uhr eintreffen, noch am gleichen Tag ab. Dazu kommen Serviceleistungen, die im Zeitalter der Billigprodukte so selten geworden sind wie Tiere und Pflanzen auf der Roten Liste.

Das Geschäft in der Nische läuft, es trotzt der Globalisierung und der Konkurrenz aus Asien. Der Betrieb mit 25 MitarbeiterInnen macht einen Umsatz von vier Millionen Franken, Tendenz steigend. Dazu trägt die Eigenproduktion einen Drittel bei. Ohne eingekaufte Handelsware geht es freilich auch bei der Spatz AG nicht.

Wer hier arbeitet, ist meist seit Jahren, ja Jahrzehnten dabei. Man bleibt dem Betrieb treu. Die 25 MitarbeiterInnen erhalten jedes Jahr eine Aktie, so werden sie allmählich MitbesitzerInnen. «Entsprechend motiviert sind wir hier alle, die Hierarchien sind flach», sagt Felix Rennhard. Er selber dient dem Betrieb seit sechzehn Jahren als Generalist. Davor war er ein Jahrzehnt Antiquar. Sein Vater Hans Rennhard, einst Mitglied der Geschäftsleitung, hat ihn geholt.

Firmengründer Häusi Behrmann wollte, dass die Firma in seinem Sinne weitergeführt wird. Daher wandelte er, der noch einen Tag vor seinem Tod im Alter von 87 Jahren in der Firma arbeitete, den Betrieb zehn Jahre vor seinem Tod im Jahr 1989 in eine Mitarbeiter-AG um. Seither gehört die Firma den MitarbeiterInnen. Wer sie verlässt, muss seine Anteile an die Firma verkaufen. Die Wertsteigerung der Firma wird dabei berücksichtigt, die Mitarbeitenden werden also am Erfolg beteiligt. Aus dem Aktienpool können andere Spatz-MitarbeiterInnen diese Aktien kaufen. Eine Firmenübernahme ist daher kaum möglich. Felix Rennhard ist ein gutes Beispiel: Die Aktien seines Vaters, der aus der Firma ausscheidet, kann er nicht erben. Sie kommen demnächst zurück in den Aktienpool. 2000 Aktien gibt es, die höchste Einzelbeteiligung beträgt 200 Aktien.

Überlebenskünstler

Das obere und mittlere Kader hält zwar eine Aktienmehrheit, aber Einfluss nehmen kann im Grunde jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin – über die Einberufung einer Aktionärsversammlung. «Von dieser Möglichkeit wurde meines Wissens aber nie Gebrauch gemacht», sagt Richard Vogel, der über zwanzig Jahre den Betrieb leitete und vor kurzem die Geschäftsleitung in die Hände von Albert Keel gelegt hat. Gewerkschaftliche Organisation der Mitarbeitenden und Mitbestimmung im eigentlichen Sinn kennt die Spatz AG nicht, aber Ton und Umgang sind familiär. Entlassungen sind sehr selten, die «soziale Kompetenz» in der Firma sei hoch, meint Vogel. Auch der Geschäftsführer schnürt schon mal ein Päckchen für den Versand oder ist um die fristgerechte Ausführung einer Reparatur besorgt.

Nach wie vor produziert die Mitarbeiter-AG hauptsächlich für den Schweizer Markt und in geringem Umfang für den deutschen und den österreichischen. Spatz ist ein Winzling im globalen Markt, aber offensichtlich ein Überlebenskünstler. Mit dem kleinen, frechen Vogel hat der Firmenname freilich nichts zu tun. Selbst hier zieht die Firma Nüchternheit falscher Poesie vor: Spatz ist abgeleitet aus der Firmenbezeichnung der frühen Jahre: Spazefa (Sparta-Zelt-Fabrik).


www.spatz.ch

Wirtschaft zum Glück (18)

Seit eineinhalb Jahren stellt die WOZ in ihrer Serie «Wirtschaft zum Glück» unterschiedliche nachhaltige Produktions- und Eigentumsformen, neue Ideen für eine alternative Ökonomie und ökologisch sinnvolle Projekte vor. Finanziert wird diese Serie aus einem Legat des früheren Nachhaltigen Wirtschaftsverbandes WIV.