Iris Balmer, Atomkraftgegnerin: Jetzt wehrt sie sich für die eigene Familie

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Die 27-jährige Iris Balmer ist nahe beim Atomkraftwerk Mühleberg aufgewachsen. Schon als Kind schien ihr das AKW «etwas Verbotenes». Dennoch ist die Atomkraftgegnerin wieder neben das AKW gezogen.

«Wenn etwas passiert, sind ganz viele von uns Anwohner»: Iris Balmer mit ihrer Tochter Erhun vor dem Hauptsitz der BKW in Bern.

Wileroltigen, Berner Mittelland. Iris Balmer sitzt am Küchentisch und erzählt. Als das kleine Mädchen auf ihrem Schoss schreit, reicht sie ihm eine Reiswaffel. Als Balmer vor anderthalb Jahren Mutter wurde, zog sie mit ihrem Mann hierhin zurück. Von der Stadt Bern aufs Land, ins Haus ihrer Eltern, auf dessen Dach man keine Ziegel sieht vor lauter Sonnenkollektoren. Die Balmers erzeugen ihren Strom selbst. Obwohl hier ganz in der Nähe so viel davon hergestellt wird. Obwohl – und auch ein bisschen deswegen: Das Atomkraftwerk Mühleberg ist nur zwei Kilometer entfernt. Zu sehen ist es nicht von Balmers Haus aus, der satte Wald verdeckt den Kamin. Aber präsent war das Kraftwerk immer.

Iris Balmer wurde als drittes von vier Kindern in diesem Haus gross. Als Tochter einer Mutter, die einst ins Dorf kam, obwohl sie Bedenken hatte, in die Zone 1 zu ziehen – in die unmittelbare Nähe eines Atomkraftwerks –, und die sich seit Jahren gegen das benachbarte AKW Mühleberg einsetzt. Früher, wenn Iris Balmer als Mädchen mit dem Velo an den Wohlensee zum Baden fuhr, kam sie am Kraftwerk vorbei. Es habe ihr Eindruck gemacht, erinnert sich die heute 27-Jährige. Die hohen Zäune um die Anlage, von der immer dieses monotone Summen ausging. Der Wächter, der am Abend patrouillierte. «Etwas Verbotenes» sei das für sie gewesen, was hinter den Zäunen lag.

Schon als kleines Mädchen sei ihr bewusst gewesen: «An AKWs stimmt etwas nicht.» Obwohl das Kernkraftwerk in der Primarschule kaum je ein Thema gewesen sei. «Man durfte nichts sagen», viele Eltern von Schulkollegen hätten schliesslich dort gearbeitet.

An vielen Scheunen SVP-Plakate

An der Stimmung im Dorf hat sich bis heute wenig geändert. Die allermeisten der 397 WileroltigerInnen sind der Meinung: Atomkraftwerke, die braucht es einfach. Iris Balmer, die im Vorstand der Regionalgruppe Bern des Vereins Nie wieder AKW sitzt, macht sich Gedanken, ob sie hier bleiben möchte. Hier, wo im Vergleich zur Stadt «alles ein bisschen verlangsamt» sei, wo der Wald nicht weit ist und wo sie mit dem Töchterchen die Milch direkt von der Kuh holen könne. Aber auch, wo vor den Wahlen an jeder zweiten Scheune ein SVP-Plakat hänge, wo kaum jemand in ihrem Alter lebe, wo sie ausser ihrer Familie eigentlich nicht viel halte.

Früher habe sie sich «wegen anderer Leute» gegen Atomkraftwerke gewehrt – für die künftigen Generationen, für die Menschen, die in verseuchten Uranabbaugebieten lebten. Doch jetzt, wo sie Mutter sei, sei da diese neue Besorgnis. Früher habe sie sich gesagt: «Wenn etwas passiert, steige ich ins Auto und haue ab.» Heute merke sie, dass das nicht mehr einfach so ginge. «Um die eigene Familie Angst zu haben, ist anders.»

Einspruch gegen Mühleberg

Ein Jahr ist vergangen seit der Katastrophe im japanischen Fukushima. Sie sei damals «überhaupt nicht erstaunt» gewesen, sagt Iris Balmer, dass in einem Industriestaat ein solcher Atomunfall passiert sei. Fukushima habe gezeigt, dass nicht «besoffene Sowjets» das Problem seien, «die es nicht fertigbringen, ein AKW sicher zu betreiben». Nach dem Unglück in Japan habe sie wirklich gehofft, dass Mühleberg vom Netz genommen werde. Aber nun investiere der Stromkonzern BKW wieder in das Kraftwerk. «Ich glaube nicht, dass sie es so schnell aufgeben werden.»

Iris Balmer hat, wie ihre Mutter auch, als Einzelperson vor Bundesverwaltungsgericht gegen die unbefristete Betriebsbewilligung von Mühleberg Einspruch erhoben. Das Verfahren zieht sich nun seit Jahren hin. «Man fühlt sich hilflos», sagt Balmer. Manchmal denke sie: Jetzt kommt es gut. Und dann wieder: Das sind doch alles nur Spielchen. Es sei schwer, immer wieder Energie aufzuwenden gegen die Atomenergie. Seit Balmer Mutter ist, bleibt neben Familie, dem Studium der Sozialen Arbeit in Luzern und ihrer Arbeit als Masseurin kaum mehr Zeit, Leserbriefe zu schreiben oder Aktionen zu organisieren.

Aber an diesem Sonntag wird Iris Balmer dabei sein, beim «Menschenstrom gegen Atom», beim Marsch nach Mühleberg, genau ein Jahr nach Fukushima. Es sei wichtig, dass der Protest wieder angekurbelt werde. Sie wird vor das AKW mitlaufen, von Gümmenen aus, dem Nachbardorf. Eine Frage wird Iris Balmer dann sicher wieder hören: Wie es sei, neben dem AKW zu leben, in Zone 1. Iris Balmer hält das für keine gute Frage. Es spiele doch keine grosse Rolle, ob man nun in zwei oder zwanzig Kilometern Distanz zu einem Kernkraftwerk lebe. «Wenn etwas passiert, sind ganz viele von uns Anwohner», sagt sie. «Es geht uns alle etwas an.»