CIA-Thriller «Zero Dark Thirty»: Bin Ladens letzter Coup endet mit einem billigen Appell

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In den USA ist Kathryn Bigelows CIA-Thriller bereits ein Kassenschlager. Warum uns die Art und Weise, wie die Jagd auf Bin Laden filmisch verarbeitet wird, zu denken geben sollte.

Trotz hochkarätiger Auszeichnungen für Starregisseurin Kathryn Bigelow und Drehbuchautor Mark Boal wage ich zu behaupten: Ihr neuster Film, «Zero Dark Thirty», ist unehrlich, unmoralisch und letztlich ziemlich uninteressant. Der Film über die Jagd auf Bin Laden ist eine Fortschreibung des Teufelskreises von Arroganz und Rache, in den die USA nach dem 11. September 2001 geraten sind.

Unehrlich ist das Werk, weil Bigelow und Boal zugleich die Autorität des Faktischen und die Freiheit der Fiktion für sich beanspruchen. «Zero Dark Thirty» (Militärjargon für «eine halbe Stunde nach Mitternacht») will Zeitgeschichte dokumentieren und gleichzeitig ein packender Thriller sein. Bigelow bezeichnet die Mischung als «lebensechtes Drama». Das geht dann so: In der ersten Einstellung des Films sehen wir den Schriftzug «September 11» auf schwarzem Grund und hören authentische Hilferufe von Opfern des Terroranschlags in New York. Schnitt zum – fingierten – geheimen CIA-Gefängnis in Pakistan, wo während qualvoll langer Minuten und in pornografischem Detail «erweiterte Verhörtechniken» vorgeführt werden, die das breite Publikum von den berüchtigten Fotos aus Abu Ghraib und beliebten Fernsehserien wie «24» kennt.

«Grösste Menschenjagd aller Zeiten»

Die Folterszenen in «Zero Dark Thirty» sind brutal, aber Folter ist erwiesenermassen Teil der jüngsten US-Geschichte. Das Problem ist nicht (oder jedenfalls nicht in erster Linie), wie diese schwierige Realität nachgestellt, sondern wie sie dramaturgisch genutzt und umgedeutet wird. Die Nacherzählung der «grössten Menschenjagd aller Zeiten» (Filmwerbung) suggeriert, das Folterprogramm des US-Geheimdiensts sei erstens die einzige mögliche Reaktion auf Terroranschläge und zweitens ein notwendiges – und erfolgreiches – Instrument zur Terrorismusbekämpfung. Tatsache ist: Die Kausalität zwischen Folter und Fahndungserfolg lässt sich nicht nachweisen, auch nicht im Fall Bin Laden.

Das bestätigt die Fachliteratur zum Thema «Folter». Das sagt die Sicherheitskommission im US-Senat, die das Thema intensiv studiert hat. Das gibt heute sogar die CIA selbst zu. Angesichts dieses Realitätschecks verschanzen sich Bigelow und der ehemalige Kriegsberichterstatter Boal flugs hinter ihrer künstlerischen Freiheit und den Regeln der Dramaturgie. Doch wer die Bedeutung und Wirksamkeit von Folter derart überzeichnet, folgt nicht bloss einem bestimmten kinematografischen Genre, sondern befördert auch die ganz reale gesellschaftliche Akzeptanz der Folter. Der spontane Applaus des US-Publikums am Ende des Films, wenn der Erzschurke – Folter sei Dank – endlich gefasst und eliminiert wird, ist der beste Beweis dafür. Und diese Verrohung westlicher Sitten ist gleichermassen Usama Bin Ladens letzter Coup.

Folter ist immer politisch

Unmoralisch ist «Zero Dark Thirty», weil Folter zur Schau gestellt und dramatisch genutzt wird, ohne dass sich der Film den politischen und ethischen Konsequenzen für die Gesellschaft stellt. Die Folterdebatte besitze für die USA heute dieselbe moralische Bedeutung wie ehemals die Diskussion über Sklaverei, urteilt die bekannte US-Publizistin Jane Mayer. In Bigelows Film jedoch gibt es keine einzige Szene, in der die Anwendung von Folter explizit infrage gestellt wird – wenn man vom leichten Naserümpfen der hübschen jungen Agentin Maya absieht, als diese ihrem Kollegen den Wassereimer fürs nächste Waterboarding reicht. In Wirklichkeit waren die Verhörtechniken des CIA Anlass für heftige Diskussionen. Und zwar nicht bloss in Menschenrechtsgruppen und linken Organisationen. Auch beim Geheimdienst selbst wogten interne Kämpfe, es gab Zusammenstösse des Geheimdiensts mit dem FBI, dem US-Justizdepartement und dem Militär.

Immer wieder stellten sich mutige Einzelpersonen – vom direkt involvierten Befrager bis zum obersten Juristen des Pentagons – gegen die Folterungen. Das böte doch ausgesprochen spannendes Thrillermaterial! Besonders da Regisseurin und Drehbuchautor ihren Film explizit den «unbesungenen Helden» der Terrorbekämpfung widmen, die unermüdlich ihr Leben «für Gott und das Vaterland» (so der ursprüngliche Filmtitel) aufs Spiel setzen. «Dieser Film verfolgt keine politischen Ziele. Punktum!», beteuert Mark Boal gegenüber der Presse. Doch das Thema «Folter» ist nun mal politisch. Immer. Und jeder grosse Film dazu ist es auch.

Folter lässt sich nicht ohne soziale Kosten in moralisch neutrale Unterhaltung umfunktionieren. Die seit den Anschlägen vom 11. September 2001 zunehmend populären Thriller, in denen eine Zeitbombe tickt und die Gefahr nur durch brutalste Misshandlung von Gefangenen abgewendet werden kann, haben der US-Bevölkerung die Idee der Folter als notwendiges Übel nähergebracht. «Unterhaltung hat einen alarmierenden Einfluss», sagt die Sicherheitsexpertin Amy Zegart von der Stanford University, die letzten Sommer eine Studie zur steigenden Akzeptanz von Folterpraktiken in den USA durchgeführt hat.

Modernes Marketendertum

«Zero Dark Thirty» ist in den USA bereits ein Hit. Die Filmkritiken füllen ganze Feuilletons. Kann man da noch sagen, der Film sei uninteressant? Man kann. Denn auch wenn die eigenwillige Regie von Bigelow, die Spannung und Action ohne billige Spezialeffekte erzeugt, Anerkennung verdient, reiht sich «Zero Dark Thirty» letztlich in die Tradition ganz konventioneller Kriegspropaganda ein: Gut gegen Böse. Helden gegen Schurken. Freund gegen Feind. Die eigenen Leute werden zu Menschen aus Fleisch und Blut. Der Gegner bleibt anonym, entmenschlicht.

Solch einseitige Berichterstattung hat mit dem Einmarsch der US-Truppen in den Irak eine Blüte erlebt, weil das Pentagon die Medienleute diesmal nicht wie in früheren Konflikten fernzuhalten suchte, sondern als moderne MarketenderInnen in den Krieg mit einbezog. «Zero Dark Thirty» ist ein spätes Produkt dieser 2003 eingeführten militärischen Einbettungspraxis. Der Drehbuchautor und ehemalige Kriegsberichterstatter Mark Boal hat so intensiv im Geheimdienstmilieu recherchiert, dass seine Kontakte heute Gegenstand parlamentarischer Untersuchungen sind. Und schliesslich hat er die Tunnelsicht seiner InformantInnen auf die Wirklichkeit übernommen und dramatisiert.

Die Hollywoodschauspielerin und Veganerin Jessica Chastain, die im Film die knallharte Hauptfigur Maya porträtiert, glaubt, dass gerade Bigelows vorurteilslose Darstellung der Geheimdienstarbeit die Leute zum Nachdenken anregen wird. Schön wärs. Dramatischer Höhepunkt des Films ist eindeutig die Hinrichtung von Usama Bin Laden. Und nicht die letzte Szene, in der sich Maya nach getaner Arbeit fragt: «Was nun?» Wenn sie dabei ein paar stille Tränen vergiesst – so wie das Folteropfer zu Beginn des Films während der rauen Behandlung ein paar stille Tränen vergossen hat –, ist das ein höchst billiger Appell an die Menschlichkeit. Ein Nachklapp, so unehrlich, unmoralisch und uninteressant wie der Rest.

Mehr zum Thema im Kapitel «Schauplatz Folter» im Buch von Lotta Suter: «Kein Frieden mehr. Die USA im Kriegszustand». Rotpunktverlag. Zürich 2008. 284 Seiten. 36 Franken.

Zero Dark Thirty. Regie: Kathryn Bigelow. USA 2012. Ab 31. Januar 2013 in den Kinos