Kost & Logis: Reality Cooking

Nr. 7 –

Susi Stühlinger guckt in die Röhre

An einem eher peinlichen gesellschaftlichen Anlass, bei dem mitzumachen ich törichterweise eingewilligt hatte, kam es, dass ich «backstage» mit ein paar Cervelatprominenzen, darunter dem CEO der örtlichen Brauerei, zusammensass. Letzterer echauffierte sich lautstark über das heutige Privatfernsehen, bedenklich sei das, wer denn so etwas konsumiere und was das wohl über die Gesellschaft aussagen würde – überraschenderweise ging aus seinen Ausführungen hervor, dass er über die Ereignisse der laufenden Staffel des «Dschungelcamps» offenbar recht detailliert Bescheid wusste.

Ich stelle allgemein fest, dass in bildungsnahen Schichten bezüglich Privatfernsehen eine unsägliche Doppelmoral vorherrscht. Alle finden es furchtbar schlimm, mindestens die Hälfte konsumiert es heimlich trotzdem. Ich hingegen bewundere offen die Heerscharen von AutorInnen, die Sachen scripten, die mir – und für gänzlich einfallslos halte ich mich nicht – auch nach einer Flasche Hochprozentigem nicht in den Sinn kämen.

Allerdings gibt es Dinge, die auch ich nicht verstehe. Während Formate wie «Der Schuldenberater» oder «Raus aus dem Messie-Chaos» auf plausible Art darauf abzielen, das elendeste Prekariat in der Vorstellung zurückzulassen, dass es so schlimm um sie selbst doch auch nicht stünde, ist bei anderen Formaten ein geradezu protestantischer Produktions- und Perfektionseifer zu beobachten. Ich rede von: «Die Kochprofis – Einsatz am Herd», «Rach, der Restauranttester», «Funky Kitchen Club», «Das perfekte Dinner» und so weiter.

Während ich noch ein gewisses Verständnis für die gute alte Julia Child aufbringe, die die amerikanischen Massen streng, aber nachvollziehbar das «French Cooking» lehrte, oder selbst noch für Alfred Biolek, der sich zumindest die journalistische Weisheit zunutze machte, dass Leute anders reden, wenn sie nebenbei Gemüse klein schnippeln, sind die Kochshows neueren Formats einfach nur – blöd. Wenn ich zusehen will, wie jemand gehetzt kocht, setze ich mich in eine volle Zürcher Sushibar und nicht mit einer Fertigpizza vor die Glotze.

Allerdings muss ich zugeben, dass ich mein neustes Hobby vielleicht doch von einer solchen Kochsendung abgeguckt habe: Man koche relativ aufwendig, besorge viel Alkohol und lade Leute ein, die sich nicht kennen und von denen man entweder weiss, dass sie sich gut leiden können werden oder, im noch besseren Fall, mit grösster Wahrscheinlichkeit ganz schrecklich in die Haare geraten. Da hat man schon für hundert Franken eine solide Abendunterhaltung zusammen, gegen die jeder Dinnerkrimi abstinken kann – und jede Kochshow sowieso. Beim gehetzten Kochen kann man sich selbst zusehen, und den Talkteil besorgen die Gäste von selbst.

Susi Stühlinger lässt im Hintergrund 
gern Privatfernsehen laufen, 
wenn sie das zerschlagene Geschirr 
vom Vorabend aufwischt.