«Lower Village Voice»: Weltoffen dörflich, altmodisch zeitgenössisch

Nr. 7 –

Unter der künstlerischen Leitung von Barbara Weber und Rafael Sanchez hat sich das Zürcher Theater Neumarkt zu einem anregenden Diskussionsraum entwickelt. Im Lauf ihrer bald fünfjährigen Arbeit haben die beiden neben dem eigentlichen «Kerngeschäft» – szenischen Ereignissen – Diskussionen, Salon- und Werkstattgespräche ermöglicht.

Seit einem Jahr ist das Theater um ein weiteres Format erweitert: Als «künstlerische Intervention» haben Weber und die DramaturgInnen Julia Reichert und Daniel Lerch eine Zeitung aus der Taufe gehoben, die hierzulande ihresgleichen sucht. «Lower Village Voice» soll Autorinnen und Journalisten die Möglichkeit geben, über Themen zu schreiben, die «in der Luft liegen, Relevanz haben und herausfordern».

Auch die unlängst erschienene dritte Ausgabe überrascht inhaltlich und formal mit Texten, die man in anderen Blättern weitgehend vermisst. Die Schriftstellerin Sibylle Berg hält eine «Nobelpreis-Rede», Constantin Seibt erklärt 2013 als «das Jahr des Untergangs», und WOZ-Redaktor Kaspar Surber hat sich mit dem Schriftsteller Robert Menasse über dessen Buch «Der europäische Landbote» unterhalten.

Neben StammautorInnen wie Schriftstellerin Dora Koster oder Frauenärztin Brida von Castelberg, Schriftsteller Michel Mettler oder Punkmusiker und Theatermacher Jens Rachut sind auch in der aktuellen Ausgabe neue AutorInnen zu lesen: So begründet der Musikwissenschaftler Peter Révai in «Am Nullpunkt der Musik», weshalb der 4. September 2640 voraussichtlich als wichtigster Tag in die Musikgeschichte eingehen wird, derweil der Anwalt Herbert Pfortmüller über den Stand der «Kunstfreiheit» in der Schweiz reflektiert.

Das alles und vieles mehr ist auf zwanzig Seiten schwarz-weiss und fast schon altmodisch zeitgenössisch aufbereitet: experimentelles Feuilleton und tiefschürfender Boulevard, so fantasieanregend unordentlich, dass man hofft, die weltoffene Zeitung aus dem Zürcher Lower Village Niederdorf möge auch nach dem kommenden Juni, wenn Weber, Sanchez und Co. das Theater der neuen Crew um Peter Kastenmüller und Ralf Fiedler übergeben, in irgendeiner Form weiterleben.

Die «Lower Village Voice» erscheint vierteljährlich und ist beim Theater sowie in Zürcher Buchhandlungen erhältlich. www.lowervillagevoice.ch