Steuerstreit USA – Schweiz: Gesucht: Die liberale Lösung

Nr. 23 –

Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf hat letzte Woche einen Deal mit den USA vorgelegt. Damit könnte der Streit über unversteuerte Gelder auf hiesigen Bankkonten bereinigt werden. Im Parlament gehen seither die Wogen hoch. Was ist davon zu halten?

Bis am Mittwoch vor einer Woche um 12.30 Uhr ging man in Bundesbern davon aus, die Regierung habe mit Washington einen Vertrag ausgehandelt. Einen Staatsvertrag, der vereinbaren würde, wie der Streit mit den hiesigen Banken, die über Jahrzehnte unversteuerte US-Gelder in ihren Tresoren versteckten, beigelegt wird. Doch es kam anders: Die Lösung, die Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf den Medien präsentierte, sieht vor, dass die USA den einzelnen Banken ein «Programm» anbieten, mit dem sich diese reinwaschen können.

Der Berner Wirtschaftsrechtler Peter V. Kunz, Hofberater des Bundesrats in Sachen US-Steuerstreit, stärkte der Regierung sogleich den Rücken: Der Deal, so Kunz kurz darauf in einem Onlineinterview, folge einem «liberalen Konzept». Anstatt dass der Schweizer Staat gegenüber den USA die Verantwortung für die Banken übernehme, müssten sich diese allein der US-Justiz stellen. So argumentiert auch Widmer-Schlumpfs BDP, die den Deal als einzige Partei seit Beginn vorbehaltlos mitträgt.

Die Details zum «Programm» wollen die USA nicht verraten. Die Eckpunkte sind jedoch bekannt: Die Banken werden eine Busse bezahlen – die laut Gerüchten bis zu vierzig Prozent der undeklarierten Gelder betragen soll. Zudem sollen die Banken Informationen über Geschäftsbeziehungen liefern, inklusive solcher über BankmitarbeiterInnen sowie «Dritte» (Treuhänder, Anwältinnen, Vermögensverwalter), die ins US-Geschäft involviert waren. Zentral sind die «Leaver-Listen»: Listen geschlossener US-Kundenkonten samt der Bank, an die das Geld weitergeflossen ist.

Die USA haben darauf verzichtet, die Herausgabe von US-Kundendaten zu verlangen. Diese sollen die US-Steuerbehörden in einem zweiten Schritt durch Amtshilfegesuche erhalten. Washington und Bern haben im September 2009 ein Doppelbesteuerungsabkommen unterzeichnet, das den USA nicht nur im Fall von Steuerbetrug, sondern neu auch bei Hinterziehung Amtshilfe gewährt. Der US-Senat muss das Abkommen allerdings noch ratifizieren.

Zwar hat Bern gemäss Widmer-Schlumpf bei der Austarierung des US-Programms mitreden können. Die Rolle der Schweiz soll sich nun jedoch darauf beschränken, eine rechtliche Grundlage zu schaffen, die es den Banken erlaubt, mit den Daten rauszurücken. Derzeit ist das nicht der Fall. Bereits haben vierzehn Banken mit den USA Verhandlungen aufgenommen. Diesen Banken hat der Bundesrat letztes Jahr unter anderem erlaubt, MitarbeiterInnendaten an die USA zu liefern. Keine Erlaubnis erhielten sie jedoch insbesondere für die Herausgabe der Leaver-Listen. Der Ablasshandel blieb versperrt.

Der Bundesrat hat dem Parlament jetzt ein Gesetz vorgelegt, das dieses verabschieden soll. Darin werden die Banken «ermächtigt, allen Verpflichtungen nachzukommen», die sie gegenüber den USA eingehen, um sich freizukaufen. Zudem werden die Institute verpflichtet, ihren Mitarbeitenden trotz Auslieferung ihrer Namen bestmöglichen Schutz zu gewähren.

Die Schönheitsfehler

Die FDP verlangt, dass der Bundesrat den Banken in Eigenregie erlauben soll, die nötigen Daten an die USA herauszurücken. Doch der Bundesrat will nicht. Unter anderem, weil er befürchtet, eine solche Bewilligung sei nicht wasserdicht. Die Herausgabe von Daten, so der Bundesrat in seiner Botschaft, könnte vor Gericht gestoppt werden. Die Bewilligung via Notrecht wäre ihrerseits verfassungswidrig. Deshalb will der Bundesrat ein Gesetz. Dieses soll im Dringlichkeitsverfahren in der aktuellen Sommersession von beiden Räten abgesegnet werden.

Dies stösst bei der SVP (die vor allem Widmer-Schlumpf auf ihrer Abschussliste hat), der SP und den Grünen auf Widerstand. Anders als in dem von der FDP favorisierten Bundesratsbeschluss hat das Parlament bei dieser Variante immerhin ein Mitspracherecht. Die Dringlichkeit verunmöglicht jedoch eine vertiefte Debatte. Und da das Gesetz nur ein Jahr gelten soll, kann dagegen auch kein Referendum ergriffen werden. Der grüne Nationalrat Louis Schelbert: «Der Bundesrat hat zwei Jahre lang verhandelt, die Banken sollen ein weiteres Jahr zur Bereinigung ihrer Angelegenheiten erhalten – und das Parlament muss das Gesetz in nur drei Wochen durchwinken?!»

Wie die meisten ParlamentarierInnen räumt jedoch auch Schelbert ein, dass er die Dringlichkeit nicht abschliessend beurteilen kann. Klagen die USA andernfalls eine Bank an? SP-Nationalrat Roberto Zanetti: «Das ist das, was uns der Bundesrat sagt …»

Der Bundesrat ist mit den Schutzbestimmungen für Bankangestellte in seinem Gesetz den Empfehlungen des eidgenössischen Datenschützers Hanspeter Thür gefolgt. Dieser gibt sich entsprechend zufrieden: «Der einzelne Mitarbeiter wird über die Herausgabe von Daten, die ihn betreffen, vorgängig informiert, so kann er sich vor Gericht dagegen wehren.» Somit seien die Anforderungen des Datenschutzes erfüllt. Dennoch gibt es auch hier Kritik. Der Präsident des Westschweizer Bankenpersonalverbands und SP-Nationalrat, Jean Christophe Schwaab, räumt ein, dass das Gesetz eine Verbesserung gegenüber der bisherigen unkontrollierten Datenherausgabe bedeute. Er sei deshalb «nicht gegen» den Deal. Doch obwohl das Gesetz juristisch sauber sei, bleibe die Datenherausgabe eine Aushöhlung des Datenschutzes.

«Die Herausgabe bleibt ein Skandal – wir wissen nicht, was mit den Daten in den USA passiert.» Was geschehe, so fragt Schwaab, wenn ein Bankmitarbeiter, dessen Name ausgeliefert wurde, in die USA reist?

Schliesslich kritisiert das Parlament auch, dass es keinerlei Informationen über das US-Programm erhält. Eine offene Frage sei, so Schwaab, von welchen MitarbeiterInnen Namen ausgeliefert würden. Auch die Namen kleiner Angestellter? Und was ist mit jenen in den oberen Etagen, die das US-Geschäft zu verantworten haben? Zumindest bei der Schweizer Bankiervereinigung, die in der Wandelhalle für das Gesetz lobbyiert, zeigt man sich auf Anfrage überzeugt, dass auch die Daten hochrangiger MitarbeiterInnen ausgeliefert werden könnten.

Die Frage ist also: Wie liberal ist eine Lösung des US-Steuerstreits, die mit Dringlichkeitsrecht den Datenschutz lockert, um MitarbeiterInnendaten auszuliefern, damit sich Banken von ihren Vergehen freikaufen können – und jene, die die unternehmerische Verantwortung tragen, möglicherweise schlüpfen lässt?

Die Alternative(n)

Bestünde die liberale Lösung nicht darin, die Banken innerhalb des bestehenden Rechts sich selbst zu überlassen? Was würde geschehen, wenn das Parlament das Gesetz an den Bundesrat zurückweist, bachab schickt oder verzögert?

Gut möglich, dass die USA unverzüglich Anklage gegen eine Schweizer Bank erheben würden. Falls nicht, könnte der Bundesrat doch noch versuchen, die Banken eigens zur Herausgabe der nötigen Daten zu ermächtigen. Wie der Bundesrat jedoch in seiner Botschaft schreibt, könnten in gewissen Fällen Gerichte die Herausgabe von Daten verhindern. Damit würde es für die entsprechende Bank unmöglich, ihren Verpflichtungen gegenüber den USA nachzukommen. Es besteht die Möglichlichkeit, dass es auch in diesem Fall zu einer Anklage gegen eine Bank käme.

Würde der Bundesrat abwarten, könnte die US-Justiz so weitermachen wie bisher. Die Banken hätten dann die Möglichkeit, die Daten zu liefern, indem sie Schweizer Recht brechen. Dies hätte juristische Folgen. Thür weist darauf hin, dass gemäss Artikel 271 des Strafgesetzbuchs eine «verbotene Handlung für einen fremden Staat» mit Gefängnis bestraft wird. Hinzu kämen die Verstösse gegen das Datenschutzgesetz, das laut Thür allerdings neben einem Reputationsschaden unter Umständen lediglich zivilrechtliche Schadenersatzansprüche zur Folge hätte. Sowie allfällige Verstösse gegen arbeitsrechtliche Schutzpflichten.

Damit würde die Führung der Bank zur Verantwortung gezogen. Das ist der Weg, den insbesondere SVP-Nationalrat Christoph Blocher und SP-Parteipräsident Christian Levrat propagieren. Allerdings entfielen in diesem Fall die Schutzpflichten zugunsten der Bankangestellten, die das Gesetz vorsieht.

Das Szenario ist zudem wenig realistisch. Lehnt das Parlament das Gesetz ab, würde der Bundesrat wohl kaum die Arme verschränken – und wenn doch, würde die US-Justiz vermutlich vorher zur Anklage greifen.

Bankenrettung 2.0?

Die letztjährige Anklage gegen die kleine Privatbank Wegelin war ein Schuss vor den Bug. Doch was, wenn weitere Institute angeklagt würden?

Die Bankiervereinigung spricht vom sicheren Tod einer Bank, KritikerInnen denunzieren dies als taktisches Manöver, um das Gesetz ins Trockene zu bringen. Die Gefahr ist jedoch unbestritten gross. Sergio Rossi, Wirtschaftsprofessor der Universität Fribourg, sagt: «Eine Anklage würde mit aller Wahrscheinlichkeit einen Banken-Run auslösen.» Kunden würden ihr Geld abziehen, was die Bank in einen ernsthaften Liquiditätsengpass führen würde. Zudem droht ein Ausschluss aus dem US-Dollar-Markt: Den Banken würde es entsprechend verwehrt, sich Geld zu leihen sowie an ihre in den USA vergebenen Kredite zu gelangen. In diesem Fall, so Rossi, drohte auch die Insolvenz. Schliesslich würde auch eine allfällige Geldstrafe das Eigenkapital belasten.

Was dann? Gemäss Nationalbank sind einzig die UBS und die Credit Suisse «too big to fail», so gross, dass sie vom Staat gerettet werden müssten, um einen Kollaps des Banken- und des Wirtschaftssystems zu verhindern. Bankenspezialist Rossi bezeichnet die Zürcher Kantonalbank (ZKB), viertgrösste Bank der Schweiz, jedoch als ebenfalls systemrelevant. Ausgerechnet jene Bank, die die USA wohl zuvorderst auf ihrer Anklageliste hat. Den Grund für die Systemrelevanz sieht Rossi in der Führungsrolle, die die ZKB auf dem Schweizer Immobilienmarkt aufgebaut hat. Hinzu kommt: «Obwohl kleine Banken für sich allein nicht systemrelevant sind, könnten Anklagen gegen einige von ihnen grössere Banken in Schieflage bringen und eine Kettenreaktion auslösen.»

Sergio Rossi ist überzeugt, dass der Bund in einer solchen Situation kaum umhinkommen würde, nach der Rettung der UBS von 2008 erneut den Banken zu Hilfe zu eilen.

Das Parlament hat die Wahl: im Dringlichkeitsverfahren die Aushöhlung des Datenschutzes beschliessen, um zu vermeiden, dass Banken ins Wanken geraten. Oder zulassen, dass die Banken in Schwierigkeiten geraten, um sie anschliessend mit grosser Wahrscheinlichkeit retten zu müssen.

Der übermächtige Schweizer Bankenplatz lässt eine liberale Lösung wohl kaum zu.

Der Fahrplan

Der Nationalrat hat am Mittwoch mit hundert zu neunzig Stimmen einem Ordnungsantrag von SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer zugestimmt, der vom Bundesrat mehr Informationen zum US-Steuerdeal verlangt.

Das Parlament soll noch in der laufenden Session ein Gesetz beschliessen, damit Banken auf ein «Programm» der USA einsteigen können, um ihren Steuerstreit mit ihnen zu bereinigen. Über Details des US-Programms erhielt das Parlament bis jetzt jedoch keine Informationen.

Ob der Bundesrat das Parlament nun doch noch informiert und welche Auswirkungen der angenommene Ordnungsantrag auf den weiteren Fahrplan hat, war bei Redaktionsschluss nicht bekannt.