Durch den Monat mit Alex Capus (Teil 4): Gibt es objektiven Journalismus?

Nr. 39 –

Vor zwanzig Jahren war Alex Capus Journalist. Heute schreibt er neben Büchern auch Kolumnen – obwohl er eigentlich weniger davon lesen möchte. Lieber hätte er mehr relevante Nachrichten in den Zeitungen.

Alex Capus: «Ich habe alle Texte von Niklaus Meienberg gelesen. Ich war immer beeindruckt, aber auch erschreckt von seinem Furor, der meinem Wesen so gar nicht entspricht.»

WOZ: Alex Capus, als Buchautor erzählen Sie immer Geschichten aus der Vergangenheit. Als Kolumnist und Autor für Zeitungen äussern Sie sich zu aktuellen gesellschaftlichen und politischen Themen. Warum schreiben Sie nicht einen Roman, der sich mit der Gegenwart beschäftigt?
Alex Capus: Für mich sind es zwei Paar Schuhe: Wenn ich gefragt werde, ob ich in der Zeitung Stellung nähme zu aktuellen politischen Themen, mache ich das als Citoyen. Aber als Autor möchte ich mich mit Dingen beschäftigen, die mich tiefer umtreiben als die politische Tagesaktualität.

Sie waren früher als Journalist tätig, da war die Auseinandersetzung mit der Tagesaktualität Ihr Alltag.
Ich arbeitete bei der Nachrichtenagentur SDA in Bern, und diese Arbeit hat mir sehr gut gefallen. Das ist für mich die wichtigste und ehrbarste Art von Journalismus: den Leuten zu sagen, was wann wo passiert ist. Und nicht einmal warum. Es ist sehr anspruchsvoll, die Essenz von dem, was passiert ist, wiederzugeben und sich damit abzufinden, dass es keinen Menschen interessiert, was meine unsterbliche Seele dazu meint.

Es war auch eine gute stilistische Übung: Ich lernte, mich klar und einfach auszudrücken. Davon profitiere ich noch heute, wenn ich einen Roman schreibe. Wenn ich keine Bücher mehr schreiben würde, würde ich jederzeit wieder zur SDA gehen.

Der Journalismus hat sich in den letzten zwanzig Jahren aber verändert …
Das weiss ich, ich bin ja nicht naiv. Das grösste Problem für mich als Konsument ist heute, dass ich mit so viel Blödsinn behelligt werde. Mich interessiert nicht, was Paris Hilton macht oder welcher Fussballspieler welche Frau hat. Doch es wird immer schwieriger, aus einem Meer von Quatsch relevante Informationen herauszufiltern.

Selbstkritisch muss ich auch sagen: Der Wust von Kolumnitis ist mir zu viel. Dieser Soft-News-Quatsch, zu dem ich selber auch beitrage, da das Schreiben von Kolumnen Teil meines täglichen Brots ist. Von einer Redaktion wünsche ich mir, dass sie Irrelevantes von Relevantem trennt und dass sie mir Nachrichten liefert.

Sie wünschen sich also mehr objektiven Journalismus. Gibt es den tatsächlich?
Ja, meiner Ansicht nach schon. Doch ein grosses Problem des Journalismus heute liegt darin, dass das Informationswesen völlig professionalisiert worden ist. Als ich vor zwanzig Jahren bei der SDA war, da war zum Beispiel das Militärdepartement ein geschlossener Block wie die Sowjetunion. Ab und zu tropften ein paar Informationen raus. Wenn man dort als investigativer Journalist selber etwas herausfinden konnte, war das ein Scoop, ein wirklicher Informationsbeitrag.

Dann kam Daniel Eckmann: Als Informationsbeauftragter von Bundesrat Kaspar Villiger begann er, Journalisten so mit Informationen zu überhäufen, dass sie nur noch ächzten unter der Last der Communiqués. Investigativ machen diese Journalisten sicher nichts mehr. Und das ist ein Teil des Problems. Heute haben alle Wirtschaftsunternehmen, die es sich leisten können, ihre PR- und Kommunikationsprofis. Diese machen es den Tagesjournalisten, die der Tagesaktualität nachhecheln, extrem schwierig, eine eigene Position und eigene Informationen zu finden.

Viele Journalisten wechseln heute nach ein paar Jahren in eine PR-Abteilung.
Alle, die ihren Karrierehöhepunkt im Leben etwas zu früh erreicht haben, müssen nachher Berater werden, um noch bis 65 dahinzusiechen. Und alle leiden darunter. Denn kein Journalist ist gerne ein PR-Fuzzi.

Heute machen angehende Journalistinnen und angehende PR-Leute dasselbe Studium, sitzen in denselben Hörräumen bei denselben Dozenten.
Das ist ja, wie wenn der Metzger und der Tierarzt zusammen studieren würden! Das ist natürlich schon ein Problem. Auch dass die Schweiz so klein ist: Jeder Journalist, der eine Zeit lang im Geschäft ist, kennt die PR-Verantwortlichen der Novartis oder der Bundesrätin XY. Es ist wie eine Familie. Und wenn man sich dann als Journalist in diesem Dunstkreis der Macht befindet, bildet man sich plötzlich ein, selber Bestandteil davon zu sein.

Einer, der schon vor Jahrzehnten gegen diesen Dunstkreis der Macht angeschrieben hat, ist der Journalist Niklaus Meienberg. Diesen Monat wurde ihm in St. Gallen eine Ausstellung gewidmet. Hatte er Einfluss auf Ihr journalistisches Schaffen?
Ich bin etwas jünger als er und habe ihn persönlich nicht gekannt. Doch sein Schaffen schon – ich habe alle Texte von ihm gelesen. Ich war immer beeindruckt, aber auch erschreckt von seinem Furor, der meinem Wesen so gar nicht entspricht.

Auch die Literatur, die mir gefällt, ist nicht diese Art der Furorliteratur. Wenn ich lese, dann suche ich mir nicht Bücher aus, die mich in Unruhe versetzen. Ich habe lieber die Erzähler, die mir so erzählen, dass ich mich ruhig und vertrauensvoll hingeben kann. Und so ein Erzähler war ja der Meienberg weiss Gott nicht.

Der Schriftsteller Alex Capus (52) wollte 
keines der vier Interviews gegenlesen, 
da er diese Angewohnheit eine der «schlechtesten Entwicklungen» im heutigen Journalismus findet.