Wichtig zu wissen: Die Freiheit von uns

Nr. 39 –

Die aktuellen Helden des Bürgertums.

Das Schweizer Rechtsbürgertum jubelt Wladimir Putin zu. Wie er doch diese Greenpeace-Aktivisten vom Schiff herunterprügelte! Auch wie er feministische Protestlerinnen behandelt, löst stehende Ovationen aus. Depardieus Flucht nach Russland war doch ein Akt der Freiheit; der Schauspieler als Winkelried unserer ureigensten Interessen! Das kommunistische Regime in Beijing ist bald der beste Geschäftspartner der Schweiz, Syriens Gewaltherrscher Assad die letzte Bastion gegen den Islamismus und Kim Jong Un ein Objekt der Einigelungsträume Christoph Blochers. Israel wird ebenfalls unterstützt, kaum wegen der Juden, sondern weil da die Muslime in Schach gehalten und auch mal wieder Waffen geliefert werden können. Eine qualitativ gute Schweizer Todesstrafe findet auf Facebook breiteste Unterstützung. In Fukushima sollte nach Ansicht mancher Rechtsbürgerlicher ein Wellnessbad eröffnet werden.

Provokation und Lust auf Verbalkrawall sind seit Monaten des verunsicherten Bürgertums höchstes Gut.

Plötzlich steht die Linke vor einer paradoxen Situation. Sie kann nicht mehr nach Moskau gehen, um die Bürgerlichen zur Weissglut zu treiben, weil diese selbst schon da sind oder in Beijing mit Li Keqiang herumturteln.

Überhaupt sind die Linken wahnsinnig adrett. Man solle Flüchtlinge aufnehmen, klingt so bünzlig wie die Aufforderung, im Tram älteren Fahrgästen den Sitzplatz anzubieten. Oder die 1:12chen mit ihren Brillen und Hemden, die sagen, die Schweiz solle wieder so sein wie in den heilen achtziger Jahren. Da stehen einem Bürgerlichen die Haare zu Berge wie einem wasserstoffblonden Wave-Popper! Sollen die Linken doch selber Vokuhilafrisuren und neongelbe Jacken tragen, wenn sie das so mögen. Eigenverantwortung!

Verloren steht US-Präsident Obama da. Die Drangsalierung der Schweizer Banken und der geplante Angriff auf Assad haben ihn in der bürgerlichen Schweiz vollends zum schwarzen Präsidenten gemacht.

Die Liste der Feinde des Schweizer Bürgertums ist lang: Feministinnen, amerikanische Politiker, die arabischen Aufständischen, die russischen Demokraten, die chinesischen Widerständler, die Atomgegner, die Sozialarbeiterinnen, die linke Presse, die EU, die Tanzjugend, der Gesamtbundesrat ausser Ueli Maurer, die Muslime in der Schweiz, die 1:12-Initiative, der Deutsche an sich. Wer bürgerlich denkt, ächzt derzeit unter einer bisher nicht gekannten Last. Dabei hat das Bürgertum einst der undankbaren Welt die Aufklärung, die Freiheit und die Demokratie gebracht!

Nur haben die arabischen Revolutionen mit Demokratie nichts zu tun. Menschen kommen in die Schweiz, die ihr Leben lang nur auf diesen einen Moment gewartet haben: endlich uns Schweizern das Portemonnaie zu klauen. 

Bei Aspekten der Armee und der Wirtschaft stellt die Demokratie auch hierzulande zunehmend die falschen Fragen und ist deshalb ein eher ungeeignetes Instrument der Staatslenkung. 

Es gibt aber Hoffnung: der Gripen. Die Tatsache, dass die Rohstofffirmen in Zug nur 36 Millionen Franken Steuern entrichten müssen. Blochers Anti-EU-Kampagne und Berlusconis neue Forza Italia. Der norwegische Rechte Breivik, der in der Haft ein Studium der Politologie beginnen darf (das im Gegensatz zum Thaiboxtraining keine Kuscheljustiz ist). Der Zorn auf den Genfer Vergewaltiger und den Zürcher Messerstecher walzt endlich den gesamten Sozialstaat nieder. Schliesslich der ernst zu nehmende, flehende Hilfeschrei des Schweizer Volkes nach der Todesstrafe.

Die Freiheit ist immer die Freiheit von uns, nicht von irgendjemand anderem. So ist es auch mit der Dummheit.

Ruedi Widmer ist Cartoonist in Winterthur und Befürworter der Cartoonstrafe.