Kultour

Nr. 41 –

Ausstellung

Ein Dichter kommt und geht wieder

Etliche Städte haben ihre berühmten Bewohner (an gefeierten Bewohnerinnen herrscht gerade Mangel). «Heimwärts» heisst eine Ausstellung in Biel über den Schweizer Prosaminiaturenmeister Robert Walser (1878–1956). Walser wurde in Biel geboren, besuchte dort die Schulen und absolvierte eine Lehre, bevor er 1905 nach Berlin auswanderte. 1913 kehrte er wieder zurück, ernüchtert von dem rasanten Berliner Leben und dem drohenden Weltkrieg, und wohnte in einer Mansarde im Hotel Blaues Kreuz, bis er 1921 erneut weiterzog.

Die Ausstellung behandelt sowohl die Berliner wie die Bieler Zeit Walsers. Anhand von Exponaten lässt sich der eigentümliche walsersche Blick auf Stadt und Landschaft und ihre Menschen erfahren. Die Texte selbst können in Hörstationen ihren Charme und ihre Spitzen entfalten. Eine Auswahl originaler Manuskripte schafft zusätzliche Aura.
«Robert Walser. Heimwärts» in: Biel Neues Museum, Di–So, 11–17 Uhr. Bis 12. Januar 2014. www.nmbiel.ch

Wo liegt Persien?

Persien und Europa warfen sich einst gegenseitig ihre Sehnsüchte im Spiegel entgegen. Als 1721 Charles de Montesquieus «Lettres persanes» erschienen, diente das Land bereits als satirisches Gegenbild, um die Zustände in Frankreich anzuprangern. Doch zuvor, im 17. Jahrhundert, existierte ein reger kultureller Austausch, insbesondere im Bereich der Kunst. Zuweilen gab es direkte Übernahmen von Motiven, die aber immer auch Anverwandlungen waren.

Das Museum Rietberg in Zürich dokumentiert diese historische Konfrontation mit Stücken aus den eigenen Beständen und Leihgaben aus führenden ausländischen Museen. Zugleich wird sie in die Gegenwart weitergeführt mit Werken von sieben KünstlerInnen aus Teheran. Da ist etwa Samira Eskandarfar mit ihrem Film «Root Canal» über die soziale Kontrolle, der drei Frauen ausgesetzt sind, wobei sich das Reale immer wieder ins Surreale steigert. Oder da ist Nazgol Ansarinia, die, im Auftrag des Museums, schön bunte und nostalgische Wandgemälde mit Häuserfassaden anfertigen liess, die, auf Brandmauern gemalt, jetzt mit der realen Architektur harmonieren oder kontrastieren.
«Kunst im europäisch-persischen Dialog 
(1590–1720) und Gegenwartskunst aus Teheran» 
in: Zürich Museum Rietberg, Di–So, 10–17 Uhr, 
Mi, Do, bis 20 Uhr. Bis 12. Januar 2014. 
www.rietberg.ch

Film

Aufs Dorf fahren

Das mobile Kino Roadmovie existiert seit zehn Jahren. Es will Filme in kleinere Ortschaften und Dörfer bringen, die über kein eigenes Kino verfügen. Ein Kinobus samt Leinwand und einem 35-Millimeter-Projektor ist von September bis November in allen Regionen der Schweiz unterwegs und präsentiert Beispiele aus dem aktuellen Schweizer Kinoschaffen. Am Nachmittag gibt es jeweils Filmunterricht in den lokalen Primarschulen, am Abend wird an einer von der Gemeinde organisierten öffentlichen Veranstaltung ein ausgewählter Schweizer Film vorgeführt, wobei zumeist eine am Film beteiligte Person Rede und Antwort steht. Angesichts der grossen Nachfrage ist die Tournee dieses Jahr von 28 auf 36 Spielorte ausgedehnt worden.

Nächste Woche gastiert der Bus in der Westschweiz, wo die WOZ ja auch gelesen wird; am 15. Oktober an der Sprachgrenze, die bekanntlich nicht Röstigraben heisst, und zwar im Freiburgischen. Vorgeführt wird «Win Win», eine Komödie des Genfer Regisseurs Claudio Tonetti, über die kulturellen Missverständnisse, die entstehen, als ein jurassischer Bürgermeister als Wahlkampfknüller das Halbfinale der chinesischen Misswahlen in sein Dorf holt. Apropos ins Dorf holen: Früher einmal gab es ganze Eisenbahnzüge, die mit Kinoprojektoren in die Landschaft fuhren, um die Kunst zu den Massen zu bringen.
Roadmovie mit «Win Win» in: Rue FR, 
Di, 15. Oktober 2013, 20 Uhr. www.roadmovie.ch

Lesung/Ballett

Durchs Gebirge

Die Georg-Büchner-Lawine zu dessen 200. Geburtstag am 17. Oktober 2013 nimmt allmählich Fahrt auf. Nach «Woyzeck» im Zürcher Schauspielhaus (siehe WOZ Nr. 38/13 ) hat man jetzt am Samstag die Wahl zwischen zwei Premieren im Zürcher Theater Rigiblick und am Opernhaus Zürich. An geografisch höherer Lage, am Zürichberg, unternimmt der Schauspieler Peter Schröder eine szenische Umsetzung von Büchners Erzählfragment «Lenz». Schröder war auch schon in Basel zu sehen, ist jetzt am Frankfurter Schauspiel engagiert und macht immer wieder erfolgreiche szenische Lesungen. Es wird uns versichert, für die «Lenz»-Lesung stehe der Text «im unverrückbaren Mittelpunkt», was wir nur begrüssen können. Die dramatische Inszenierung liefert ja schon das Werk selbst mit seiner Zerspaltung von Perspektive, Figur und Natur, eingerahmt von ersten und letzten Sätzen, die zu den eindringlichsten der Weltliteratur gehören.

An sozial höherer Lage, im Opernhaus, kommt ein Ballett zu Büchner in der Choreografie von Christian Spuck zur Aufführung. Es handelt sich um die aktualisierte Version des 2011 für das norwegische Nationalballett geschaffenen «Woyzeck». Spuck, seit der Spielzeit 2012/13 Direktor des Balletts Zürich, hat neben zahlreichen klassischen Werken auch schon Büchners «Leonce und Lena» inszeniert. Sein «Woyzeck» verwendet Musik von Martin Donner, Philip Glass, György Kurtag und Alfred Schnittke, die die arme geknechtete Kreatur einkesseln wird.

Als Vorwarnung sei zudem darauf hingewiesen, dass am Montag, dem 21. Oktober 2013, am Büchner-Grab auf dem Germaniahügel in Zürich eine offizielle Linde gepflanzt werden soll.
«Lenz» in: Zürich Theater Rigiblick, Sa, 12. Oktober 2013, 20 Uhr. www.theater-rigiblick.ch
«Woyzeck» in: Zürich Opernhaus, Sa, 12. Oktober 2013, 19 Uhr. www.opernhaus.ch

Lesung

Mit Ausrufezeichen

Ein anderer Autor, dessen Jahrestag heuer gefeiert wird, ist August Bebel (1840–1913). Der grosse Führer der deutschen Sozialdemokratie starb vor hundert Jahren. Eine neue Biografie von Jürgen Schmidt hat ihn soeben als «Revolutionär, Pragmatiker und Politstar» vorgestellt (siehe WOZ Nr. 34/13 ), und auch der Schriftsteller H. P. Gansner hat ein Stück über ihn geschrieben: «Am Saum der Zeit oder Bebels Tod» wurde im Frühling in der Edition Signathur in Dozwil veröffentlicht. Es spielt am Vorabend des Ersten Weltkriegs, im Kurhaus Passugg in Graubünden, wo Bebel seine letzten Tage verbrachte. Gansner präsentiert sein Stück im Friedhof Sihlfeld, wo Bebel begraben liegt.

Das Stück kommt mit einer Empfehlung von Jean Ziegler, der es ein «Meisterwerk» nennt, mit Ausrufezeichen, und der in einem kurzen Text zum Buch behauptet, wenn Bebel 1914 noch gelebt hätte, hätte es «keinen ‹Burgfrieden›, keinen Zerfall der Zweiten Internationalen und wahrscheinlich (fast sicher) keinen Ersten Weltkrieg gegeben.» Was ein kontrafaktisches Statement ist, das zur Diskussion einlädt. Auch Gansners Stück lässt sich pointiert vernehmen. Die kleine Bebel-Ausstellung im Forum des Friedhofs Sihlfeld dauert übrigens noch bis 25. Oktober 2013.
«Am Saum der Zeit oder Bebels Tod» in: 
Zürich Friedhof Forum, Aemtlerstrasse 149, 
Do, 17. Oktober 2013, 18.30 Uhr.

Das Lokale und die Weltgeschichte

Im Mai 1942 versuchten fünf jüdische Frauen aus Berlin, beim vorarlbergischen Hohenems über die Grenze in die Schweiz zu gelangen. Die Flucht misslang, vier Frauen kamen um, darunter auch Marie Winter. Ihr einziges Kind, die Tochter Ilse, lebte schon seit 1935 in Basel, wohin ihr die Mutter von 1938 an bis zu ihrem Fluchtversuch wöchentlich Briefe schrieb, insgesamt fast 200.

Diese Briefe von Marie Winter haben die Zeit in zwei Schuhkartons überdauert. Ihr Enkel, der Publizist Gabriel Heim, erzählt anhand der historischen Quellen eine dramatische Familiengeschichte in heillosen Zeiten. Heim liest aus seinem dieses Jahr im Berliner Quadriga-Verlag erschienenen Buch «Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus. Eine Mutterliebe in Briefen». Privates verbindet sich dabei mit einer weltpolitischen Tragödie.
«Ich will keine Blaubeertorte., ich will nur raus» in: Hohenems Jüdisches Museum, Mi, 16. Oktober 2013, 19.30 Uhr. www.jm-hohenems.at