Sklaverei: Zerknirschte Worte reichen nicht

Nr. 43 –

Vierzehn karibische Staaten wollen von Britannien, Frankreich und den Niederlanden für das Unrecht der Sklaverei entschädigt werden. Sie klagen beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag.

Zwanzig Milliarden Franken forderte Haiti 2003 von Frankreich – ohne Erfolg: Wandmalerei in Port-au-Prince.

200 Jahre hat es gedauert, bis sich die britische Regierung zu Worten des Bedauerns durchringen konnte. 1807 wurde der Sklavenhandel im Vereinigten Königreich verboten, erst 2006 empfand der damalige Premierminister Tony Blair öffentlich «tiefe Scham» darüber, dass sein Land über drei Millionen Schwarze aus Afrika entführt hatte, um sie in Amerika als SklavInnen zu verkaufen. Später hörte man von der holländischen Regierung ähnliche Worte, und 2010, nach dem verheerenden Erdbeben in der ehemaligen Kolonie Haiti, schwadronierte der damalige französische Präsident Nikolas Sarkozy diffus über «Wunden des Kolonialismus».

Vierzehn karibische Staaten, die mehrheitlich von Nachkommen der SklavInnen bewohnt sind, wollen sich nun mit zerknirschten Worten nicht mehr abspeisen lassen. Sie bereiten eine Klage gegen Britannien, die Niederlande und Frankreich vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag vor, mit der sie das Recht auf Entschädigungszahlungen erstreiten wollen. Denn die Armut dieser Länder stehe «in direktem Zusammenhang damit, dass unsere Nationen in der Zeit der Sklaverei und des Kolonialismus keinen Reichtum akkumulieren konnten», sagt Baldwin Spencer, Premierminister der Karibikinseln Antigua und Barbuda.

Knebelvertrag oder Invasion

Bislang nämlich floss Geld nur in eine Richtung – auch in nachkolonialen Zeiten. So war Haiti die erste karibische Nation, die die französische Kolonialmacht in einem blutigen Befreiungskrieg aus dem Land geworfen und 1804 die Unabhängigkeit erlangt hatte. Von den reichen Ländern des Nordens aber wurde die junge Republik erst anerkannt, nachdem sie sich in einem Knebelvertrag verpflichtet hatte, Frankreich für die verloren gegangenen Zuckerrohr- und Kaffeeplantagen eine Entschädigung von 150 Millionen Francs in Gold zu bezahlen. Auf diesen Gütern hatten ausschliesslich schwarze SklavInnen geschuftet. Bis zu 40 000  im Jahr waren dafür importiert worden. Ihre Lebenserwartung lag bei knapp über zwanzig Jahren.

Das Geld lieh sich Haiti bei Banken in den USA und in Deutschland. Bis 1947 stotterte das Land seine Schulden ab, Zinsen und Tilgung frassen rund achtzig Prozent des Staatshaushalts. Als die Regierung 1915 erwog, den Schuldendienst einzustellen, intervenierte die US-Armee und blieb. Bis 1934 verwalteten die Vereinigten Staaten Haiti als Protektorat und sorgten mit vorgehaltener Waffe für regelmässige Zahlungen. 2003 forderte der damalige Präsident Jean-Bertrand Aristide von Frankreich die Rückerstattung dieser «Entschädigungszahlungen». Die 150 Millionen Goldfrancs hätten damals umgerechnet gut 20 Milliarden Franken entsprochen. Doch Frankreich ging auf die Forderung nicht ein, Aristide wurde wenige Monate später gestürzt.

«Durchaus Chancen»

Die vierzehn karibischen Staaten versuchen es nun auf dem Rechtsweg und lassen sich dabei von der Londoner Anwaltskanzlei Leigh Day vertreten. Die hat Erfahrung mit solchen Fällen: Im Oktober vergangenen Jahres erstritt sie für drei Kenianer das Recht auf Abfindung durch Britannien, weil sie am Ende der Kolonialzeit gefoltert worden waren. Aussenminister William Hague sagte danach, man wolle weitere Prozesse vermeiden und gut 5000 weitere KenianerInnen mit rund dreissig Millionen Franken entschädigen.

Der Fall der karibischen Staaten ist rechtlich komplizierter: Sklaverei war bis 1834 im britischen Kolonialreich legal – es lag also kein Rechtsbruch vor. Zudem gibt es keine direkten Opfer mehr. Trotzdem sieht der Anwalt Martyn Day «durchaus Chancen», dass seine Klienten zu ihrem Recht kommen – wenn nicht juristisch, dann eben politisch. «Alle historischen Ansprüche wurden in den vergangenen Jahren politisch beigelegt», sagt er. Der Prozess, der im nächsten Jahr beginnen soll, könne den nötigen öffentlichen Druck schaffen.

Immerhin wurde wegen Sklaverei schon einmal bezahlt: 1833 beschloss das britische Parlament, zwanzig Millionen Pfund Entschädigung zu bezahlen. Das waren vierzig Prozent des Staatshaushalts, nach heutiger Rechnung rund dreissig Milliarden Franken. Doch schon damals bekamen nicht die Sklavinnen das Geld, sondern – als Kompensation für die Befreiung ihrer Sklaven – die PlantagenbesitzerInnen.