SVP-Familieninitiative: Hütet euch vor einem Ja!

Nr. 43 –

Die Familieninitiative bevorzugt wohlhabende Familien und hätte massive Steuerausfälle zur Folge. Zudem torpediert sie die Gleichstellung. Dennoch stimmen ihr auch Linke zu.

Seit 2011 können Eltern Fremdbetreuungskosten von den Steuern absetzen, also Auslagen für Kinderkrippen oder Tagesstätten geltend machen. Davor frassen diese Kosten und die steigende steuerliche Progression einen Grossteil des Doppelverdienstes wieder weg. Manche gut ausgebildeten und im Arbeitsmarkt gefragten Mütter kehrten an den Herd zurück. Mit der Abzugsmöglichkeit reduzierte der Gesetzgeber diese Wirkung.

Nun möchte die SVP, dass Elternpaare, die ihre Kinder zu Hause betreuen, bei der direkten Bundessteuer die gleichen Abzüge geltend machen können wie jene, die ihre Kinder auswärts betreuen lassen (vgl. «Familie A und Familie B» im Anschluss an diesen Text). Klingt gut. Und findet bis in die linke Wählerschaft hinein Anklang. So würden derzeit rund 44 Prozent der SP-WählerInnen der Familieninitiative der SVP zustimmen, über die am 24. November an der Urne zu befinden ist. Die letzte Umfrage des Instituts GfS ergab eine Zustimmung von insgesamt 64 Prozent. Offenbar gehen auch nicht wenige davon aus, dass sie selbst steuerlich profitieren. Tatsache ist allerdings, dass bloss fünfzig Prozent der Familien überhaupt direkte Bundessteuern bezahlen und somit in den Genuss des Abzugs kämen.

Wohlhabende bevorzugt

Die Sache hat gleich mehrere Haken. Bevorzugt würden wohlhabende Familien, die mit einem Einkommen sehr gut leben können und auf einen Zweitverdienst nicht angewiesen sind. Dieser Abzug führte allein beim Bund zu Steuerausfällen von 400 Millionen Franken. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund rechnet vor: Falls der Eigenbetreuungsabzug gleich hoch wäre wie der Fremdbetreuungsabzug heute, käme es bei Bund und Kantonen zu Steuerausfällen von insgesamt 1,4 Milliarden Franken.

Die Folge wären weitere Sparpakete. Manche Kantone schnüren bereits jetzt eins nach dem anderen und erhöhen teilweise die Steuern. Dabei stehen mit der Umsetzung der Unternehmenssteuerreform und der geplanten Abschaffung der Emissionsabgaben Steuerausfälle in Milliardenhöhe erst bevor. Zu leiden hätte auch der Ausbau der Krippenplätze und Tagesstätten. Der Gewerkschaftsbund sagt zudem, die Initiative sei steuersystematisch unsinnig. Genauso gut wie einen Betreuungsabzug geltend zu machen, obwohl man kein Geld für ausserhäusliche Betreuung ausgibt, könnte man als MieterIn zum Beispiel auch den Mietzins vom steuerbaren Einkommen abziehen, obwohl man keinen Eigenmietwert versteuert.

Das ist die fiskalische Seite. Folgen hätte die Initiative, die von der Linken und von der FDP bekämpft wird, auch für die Gleichstellung. Die Aargauer SP-Nationalrätin Yvonne Feri sagt, die Vorlage löse kein einziges Problem in der Familienpolitik und basiere auf einem fragwürdigen Familien- und Gesellschaftsbild. Sie sei ein Steilpass für die Forderung «Frauen zurück an den Herd». Und: «Die Initiative zielt an der Realität vorbei, schliesslich liegt die Nettoerwerbsquote von Frauen heute bei über 75 Prozent», sagt die Präsidentin der SP-Frauen Schweiz. Alles spreche dafür, dass Frauen einer Erwerbsarbeit nachgehen: die hohe Scheidungsrate, das Armutsrisiko für geschiedene Alleinerziehende und die Gleichstellung der Geschlechter.

Die Schweiz ist bei der Gleichstellung ein Entwicklungsland. Obwohl Frauen inzwischen im Durchschnitt besser ausgebildet sind als Männer, bleiben sie in Führungspositionen krass untervertreten. Flächendeckende Tagesstrukturen fehlen oft, das Angebot ist ein löchriger Flickenteppich. Von einem bezahlten Elternurlaub wie in Deutschland oder den skandinavischen Ländern ist die Schweiz weit entfernt. Parlament und Bundesrat haben sich mehrfach gegen einen bezahlten Vaterschaftsurlaub ausgesprochen, der Mutterschaftsurlaub beträgt bloss vierzehn Wochen, und Teilzeitarbeit wirkt sich karrierehemmend aus. Bloss 13,8 Prozent der erwerbstätigen Männer entscheiden sich daher für Teilzeit; das Aufteilen von Erwerbs- und Erziehungsarbeit wird blockiert.

Glücklichere Kinder

Es ginge auch anders. Die Niederlande haben im Jahr 2000 das Recht auf Teilzeit gesetzlich verankert und Teilzeitmodelle zu subventionieren begonnen. Heute arbeiten dort 22 Prozent der Männer Teilzeit, 12 Prozent der Teilzeitbeschäftigten sind in Führungspositionen. Mütter oder Väter können ausserdem bis zu 26 Wochen bezahlten Elternurlaub nehmen, und siebzig Prozent der niederländischen Kinder zwischen drei und fünf Jahren werden in Vorschuleinrichtungen betreut. Die Beschäftigung der Frauen liegt inzwischen bei siebzig Prozent – es ist die dritthöchste Quote in der EU. Dass Vereinbarkeit von Familie und Beruf funktionieren, bestätigt ein Bericht der Unicef zum Wohlergehen von Kindern in den führenden Wirtschaftsnationen aus dem Jahr 2007: Die Kinder der Niederlande liegen darin auf Platz eins, sowohl was das materielle und subjektive Wohlbefinden als auch was Gesundheit, Sicherheit, Erziehung, Beziehungen zu Gleichaltrigen und Familie betrifft.

Noch ist die SVP, unterstützt von CVP und BDP, mit ihrer rückwärtsgewandten Initiative im Umfragehoch. Für SP-Nationalrat Matthias Aebischer ein Weckruf: Weil auch unter den SP-WählerInnen ein beträchtlicher Teil die herkömmliche Familienform lebe, stosse die Initiative auf Sympathie. Sicher, jedeR solle das Familienmodell frei wählen können. «Aber uns ist es bisher nicht gelungen, die Konsequenzen der Initiative aufzuzeigen. Letztlich würden das Steuergeschenk an die wohlhabenden Familien jene bezahlen, die nicht davon profitieren.»

Aebischer verweist unter anderem auf die widersinnige SVP-Politik: Sie ist gegen «Masseneinwanderung» und möchte gleichzeitig gut ausgebildete Mütter zurück an den Herd beordern. Dagegen wenden sich – im Gegensatz zur Mutterpartei – auch die CVP-Frauen: Deren Präsidentin Babette Sigg ist zwar ebenfalls für Wahlfreiheit beim Familienmodell, aber gegen die steuerliche Bevorzugung wohlhabender Familien und lehnt daher die SVP-Initiative vehement ab.

Familie A und Familie B

In der Familie A geht der Mann arbeiten, die Frau ist bei den Kindern. Die Familie verdient 100 000  Franken; sie verfügt über 100 000  Franken und versteuert 100 000  Franken.

Die Familie B verdient auch 100 000  Franken; doch um dieses Einkommen zu erzielen, müssen beide Elternteile arbeiten. Er zu 100 Prozent, sie zu 60 Prozent. Für die Kinderbetreuung zahlen sie 20 000  Franken Betreuungskosten. Bei den Steuern kann die Familie davon 10 000  Franken abziehen. Sie versteuert also nicht 100 000  Franken, sondern 90 000  Franken, hat aber nur 80 000  Franken zur Verfügung.

Was die SVP nun will, ist Folgendes: Die Familie A soll neu nur noch 90 000  Franken versteuern, obwohl sie 100 000  Franken zur Verfügung hat; die Familie B hingegen soll auch 90 000  Franken versteuern, obwohl sie nur 80 000  Franken zur Verfügung hat. Damit privilegiert die SVP die wohlhabende Einverdienerfamilie.