Ballenberg: Heil ist in diesem Arrangement vor allem die Umgebung

Nr. 32 –

Gibt es einen Kulturkampf im vermeintlichen Heile-Welt-Freilichtmuseum? Die Chefin aus der Stadt musste gehen, und ein Folkloremusiker wurde zum passenden Antihelden. Ein Augenschein zeigt aber andere Konfliktlinien.

In der Woche vor dem Bundesfeiertag ging die Sache hoch wie eine verfrüht gezündete Rakete: Katrin Rieder, die Vorsitzende der Geschäftsleitung des Schweizerischen Freilichtmuseums Ballenberg, habe gekündigt, teilte das Museum am Dienstagnachmittag mit. Am Vormittag waren die nichts ahnenden Angestellten in militärischem Ton zu einer Versammlung gerufen und dort mit einer entsprechenden Mitteilung abgespeist worden. Auf Fragen gebe es keine Antwort, man habe Stillschweigen vereinbart, hiess es. Er habe sich gefühlt wie ein Sonntagsschüler, sagt ein Mitarbeiter ein paar Tage später, man werde «von oben» angelogen, es sei nicht zum Aushalten.

Auch für die meisten Angestellten kam die Kündigung Rieders unerwartet. Die 45-Jährige war erst 2012 zusammen mit dem Marketingleiter Norbert Schmid als Nachfolgerin des langjährigen Führungsduos Walter Trauffer und Edwin Huwyler ins Museum berufen worden. Rieder gilt als «linke» Historikerin, weil sie in ihrer Dissertation «Netzwerke des Konservativismus» reaktionäre und rechtsnationale Tendenzen in der Berner Burgergemeinde beschrieben und im selbstverwalteten Q-Hof in der Lorraine gelebt hatte. Qualifiziert für die Stelle auf dem Ballenberg hatte sie sich durch die Projektleitung beim Pro-Helvetia-Programm «echos – Volkskultur für morgen».

Rasch viele Feinde gemacht

Trotz des offenbar auf Wunsch von Katrin Rieder ausgehandelten Stillschweigeabkommens kam bald heraus, dass die Kündigung der Direktorin nichts anderes als ein verbrämter Rausschmiss war. Aufgrund welcher Vorkommnisse, bleibt aber nach wie vor unklar. Dass die im letzten Jahr gesunkenen Eintrittszahlen – die aber immer noch im langjährigen Mittel von einer knappen Viertelmillion liegen – ein Grund gewesen sein könnten, dementierten Vorstandsmitglieder. Ratlosigkeit herrschte besonders im sehr grossen, siebzigköpfigen Stiftungsrat, in dem National-, Stände- und Grossrätinnen, Gemeinde- und Verbandspräsidenten sitzen. Er stellt nicht mehr als ein dekoratives Spaliergremium dar. Das Sagen hat der fünfköpfige Geschäftsleitende Ausschuss, präsidiert von Altnationalratspräsident Yves Christen (FDP); weitere Mitglieder sind der Museumsberater Samy Bill und der Unterhaltungsmusiker und Spielzeugfabrikant Marc Trauffer.

Trauffer wurde in den letzten Tagen verdächtigt, der Intrigant hinter dem Thronsturz zu sein. Er ist der Neffe des vormaligen Museumsleiters Walter Trauffer und wurde im Mai letzten Jahres als Vertreter der Standortgemeinden in den Stiftungsrat und den Geschäftsleitenden Ausschuss gewählt. Gut möglich, dass es dem Einheimischen gelang, die lokale Unzufriedenheit zu sammeln und ihr Wirkung zu verschaffen. Aber einstimmig war die Ablehnung nicht: Hört man sich unter den Beschäftigten um, ergreift die eine Hälfte für, die andere gegen die geschasste Chefin Partei. Das Bild, das sie von ihr zeichnen, ist so widersprüchlich, dass der Verdacht entsteht, nach fünfzehn Jahren unter demselben Regime bedeute «führen» und insbesondere «verändern» zwangsläufig auch «stören» – und das in einem Landesteil, wo das Neue nicht unmittelbar willkommen ist, schon gar nicht, wenn es schnell kommt. Ausser vielleicht, es bringt Geld. Rieder hingegen wollte das Gegenteil: mehr Geld von den Partnerbetrieben, von den Standortgemeinden, von den Fördervereinen, die von einigen Privilegien profitieren. Das ging auch zulasten der ortsansässigen Angestellten, die ohnehin für kleines Geld im Museum arbeiten. Kurz: Rieder machte sich rasch viele Feinde, innerhalb und ausserhalb des Betriebs – am Schluss hatte sich offenbar eine zu machtvolle Gegnerschaft gebildet. Nur zwischen den Zeilen tun sich kulturkämpferische Bruchlinien auf: Es sei schwierig mit Akademikern, mit Städtern, mit Frauen, das klingt bei manchem an. Andere lachen darüber und sagen, solcherlei «imponiere ihnen nicht». Allerdings wäre der Ballenberg nicht der erste Kulturbetrieb, in dem es einen Graben zwischen der Abteilung der «Studierten» und derjenigen der «Handwerker und Büezer» gäbe. Nur gerät dieser Kampf im Freilichtmuseum vielleicht besonders heftig, weil das Verschwinden der alten Welt der «einfachen Leute» genau das ist, was das Museum thematisiert.

«Eine Spitzeneinrichtung»

Die Frage, wie man sich zu dieser Vergangenheit stellt, sprich: was für ein Museum der Ballenberg sein soll, wurde oft als die entscheidende für die Absetzung Rieders genannt. Und weil Toni Brunner (SVP) im Stiftungsrat sitzt und gerade 1. August war, lagen politische Rückschlüsse nahe. Der folkloristische Trauffer stand in der Öffentlichkeit folglich für das «bluemete Trögli», für die «heile Welt» und die Ballenberg-Idylle, die es längst bis in die helvetische Metaphorik geschafft hat, als Verkörperung eines alten Unbehagens der Rechten gegen die Kultur: Sie soll schön sein, die Welt sei schlimm genug. Doch auch Trauffer liess verlauten, er stehe hinter dem Konzept, den Ballenberg als ein der Wissenschaftlichkeit verpflichtetes Museum zu betreiben. Dieses von Rieder getragene Konzept stehe nicht infrage, das betonen alle Beteiligten. In den Worten des Vorstandsmitglieds Samy Bill: «Über die Strategie des Museums herrscht überhaupt keine Unklarheit.» Seit der Gründung 1978 sei der Bestand des Museums aufgebaut worden, nun sei es Zeit, ihn zu sichern, zu erforschen und zu vermitteln. Der Museumsführer und das neu eingerichtete Haus Eggiwil sind Beispiele für diese Bemühungen, weniger Architektur- und mehr Sozialgeschichte zu zeigen. «Das Heile-Welt-Klischee trifft alle Freilichtmuseen. Es wird von Leuten vorgebracht, die nicht hingehen», sagt Jan Carstensen, Präsident des Verbands europäischer Freilichtmuseen. «Wer nur einmal bei Kälte oder Regen in einem Freilichtmuseum war, wird sich sofort die Frage stellen: ‹Wie konnte man so leben?›», sagt Carstensen. Er hält den Ballenberg vor und mit Rieder für eine «Spitzeneinrichtung ihrer Art in Europa. Das 2007 modellhaft renovierte Haus Matten, die Denkmalpflege, das Erscheinungsbild, davon träumen andere.»

Das Missverständnis

Also fährt man hin. Und sieht: Der Eindruck der «heilen Welt» beruht auf einem Missverständnis. Was am Ballenberg «heil», was Idylle ist – gemähte Wiesen, schöne Wege, saubere Zäune und Gärten –, kommt nicht von einer ideologischen Inszenierung, sondern einfach von der Tatsache, dass der Ballenberg ein Museum ist. Wie in jedem anderen Museum sind die Fenster geputzt und der Boden sauber. Der Eingang zum Gelände stellt die Grenze zu einem abstrakten Raum dar, einem vollkommen künstlichen Arrangement, das die Landschaft nicht anders einsetzt als naturhistorische Museen die illusionistischen Hintergründe in Dioramen. Den Ethnokitsch findet man nicht inner-, sondern ausserhalb dieser Grenze, in den umliegenden Dörfern, in denen sich die Menschen Mühe geben, ihre Häuser wie ein Dekor des Musikantenstadls aussehen zu lassen, oder am Hafen Brienz, wenn das mit Edelweiss und Enzian verzierte MS «Jungfrau» anlegt. Auf dem Ballenberg hingegen sind die Häuser zurückhaltend gestaltet. Es stehen keine animierten Puppen herum, die objektreichen, aber menschenleeren Räume erinnern im Gegenteil an Seherfahrungen in der zeitgenössischen Kunst. Wer schon einmal in der Räucherküche sass, wer sich gebückt durch das Taglöhnerhaus bewegte oder sechzehn laufende Webstühle im Haus Therwil gesehen hat, wird sich ein paar herbe Gedanken zum eigenen Dasein machen, sich womöglich fragen, wann er den Computer zu Hause zum letzten Mal ausgeschaltet hat und ob er vielleicht selbst nicht viel mehr ist als ein Posamenter des Dienstleistungssektors.

Mehr Subventionen

«Ein fantastisches Museum. Und erst der Eigenfinanzierungsgrad!», sagt Carstensen. Mehr als neunzig Prozent ihrer Mittel nimmt die private Stiftung Freilichtmuseum Ballenberg selbst ein. Allerdings erkauft sie sich diese märchenhafte Autonomie mit der Zukunft. So gut die Ausstellung des Museums ist, so investitionsbedürftig ist es hinter den Kulissen. Es fehlen ein Magazin und eine professionelle Datenbank, für zukünftige Renovierungen gibt es keine Rückstellungen. Deshalb hatte Katrin Rieder diesen Frühling in einer Kommunikationsoffensive massiv erhöhte Subventionen von Bund und Kantonen für den Ballenberg gefordert, um ihn museologisch auf die Höhe der Zeit zu bringen. Die Rede war von neunzig Millionen für die nächsten zehn Jahre. Der BDP-Ständerat und Ballenberg-Stiftungsrat Werner Luginbühl reichte einen entsprechenden Vorstoss ein, den der Bundesrat zwar ablehnte, der Ständerat aber annahm. Im Herbst kommt das Geschäft in den Nationalrat. Die Offensive kam bei der lokalen Bevölkerung aus «philosophischen Gründen» schlecht an, wie Stiftungsratspräsident Yves Christen sagt. Er spielt auf ein Milieu an, für das die Wörter «Subvention» und «Sozialismus» leicht als Synonyme verstanden werden.

Auch mit dem Subventionsproblem steht der Ballenberg nicht alleine da. In der Schweiz gibt es viele, sehr viele Museen. Nicht wenige davon sind unterfinanziert, weil sich die öffentlichen Kassen nicht beteiligen können oder wollen. Über kurz oder lang wird sich das Land entscheiden müssen, ob es sich das leisten will, und die Kulturbotschaft des Bundesrats für die Jahre 2016 bis 2019, die jetzt in der Vernehmlassung ist, deutet eine Antwort an: Hundert Millionen mehr für die Kultur. Auf den Ballenberg bezogen lautet die Frage, was die Schweiz sein will, folglich: ein Bauernstaat, in dem jeder für sich schaut und in dem man nur am Bundesfeiertag und wenn das Hochwasser kommt zusammenhält, oder eine Kulturnation, der es etwas wert ist, sich ernsthaft mit ihrer bäuerlichen Vergangenheit auseinanderzusetzen?

Nachtrag vom 14. August 2014 : «Komische Umstände»

Nach der Aufregung über die überraschende Freistellung der Ballenberg-Geschäftsleiterin Katrin Rieder folgten beschwichtigende Worte des Stiftungsrats: Mehrere Mitglieder dementierten die in den Medien verbreitete Aussage, das Museum wolle ein betriebswirtschaftlich geführter regionaler Erlebnispark sein. Und sie bestätigten, den Weg weiterzugehen, den die renommierte Historikerin gegangen ist: mehr Faktentreue und wissenschaftliche Tiefe bei der Darstellung der gezeigten Objekte.

Nicht alle glauben diesen Beteuerungen. Ein von 26 HistorikerInnen verfasster offener Brief an die Stiftungsräte, den Förderverein des Museums und die Geschäftsprüfungskommission des bernischen Grossen Rats verlangt Klärung. Der Brief kritisiert die Kündigung sowie das unprofessionelle Verhalten des Stiftungsrats und des Vorstands. «Eine kompetente Frau wird unter komischen Umständen und seltsamen Begründungen entlassen», so Caroline Bühler, «das lässt einen aufhorchen.» Die im Bildungsbereich tätige Soziologin und Historikerin ist eine von drei MitinitiantInnen des Briefs.

Die Kündigung Rieders wird in Fachkreisen als eine Absage an eine Neuausrichtung des Museums gesehen. Deshalb wollen die InitiantInnen auch wissen, «wie der Vorstand die weiterhin erforderliche finanzielle Sicherung und konzeptionelle Modernisierung des Museums zu erreichen gedenke». Ausserdem stellen sie die Frage nach der künftigen Ausrichtung des Museums. Dass hier schnell Klarheit geschaffen wird, liegt Bühler sehr am Herzen.

Ende August wird im Nationalrat über die Motion von BDP-Ständerat und Ballenberg-Stiftungsrat Werner Luginbühl diskutiert, in der er substanziell höhere Beiträge an die Betriebskosten fordert. Das Geld ist nötig, um die professionelle und wissenschaftlich fundierte Weiterführung des Museums sicherzustellen.

«Schülerinnen und Schüler, die auf den Ballenberg gehen, haben ein Anrecht darauf, gesichertes Wissen vorzufinden», sagt Bühler. «Gerade der Ballenberg als niederschwelliger Ort ist verpflichtet, Bilder zu vermitteln, die stimmig sind.»

Silvia Süess