Mali: Tuareg, Dschihadisten, Loyalisten

Nr. 38 –

Die Regierung erweist sich als ratlos, die Milizen als unnachgiebig, und die Bevölkerung Malis ist wütend: Die Situation im Norden des Landes ist angespannter denn je.

Vor zwei Jahren ist Ibrahim Boubacar Keïta mit über 77 Prozent der Stimmen zum Staatspräsidenten gewählt worden. Die Hoffnungen in den neuen grossen Mann Malis, der am 4. September 2012 den aus dem Amt geputschten Amadou Toumani Touré ablöste, waren enorm – besonders was die angespannte Situation im Norden betraf. Was Touré nicht zustande brachte, sollte Keïta richten: die Unruhen im von Dschihadisten und Tuaregmilizen besetzten Norden besänftigen und die Abspaltung dieses Landesteils verhindern.

Ruf nach überirdischer Hilfe

Als die malische Armee im Januar 2013 unter den Kämpfen kollabierte und die Islamisten drohten, die Hauptstadt Bamako einzunehmen, schaffte es eine französische Militärintervention mithilfe malischer Truppen, mehrere Städte zurückzuerobern. Doch ganz vertreiben konnten sie die bewaffneten Verbände nicht. Auf der einen Seite versuchten die Dschihadisten, sich als «Befreiungskämpfer» gegen die frühere Kolonialmacht zu profilieren. Auf der anderen Seite traten nun die Tuaregmilizen, die sich im Dachverband Koordination der Bewegungen von Azawad zusammenschlossen, als Verbündete Frankreichs gegen die Dschihadisten auf.

In der Ansprache anlässlich seiner zweijährigen Amtszeit rief Keïta oft nach überirdischer Hilfe. Mehr als «Inschallah» (So Gott will) habe die Rede nicht beinhaltet, spotten BeobachterInnen der Fernsehübertragung in einem Wohnzimmer in Bamako. «Wo sind die versprochenen Arbeitsplätze?», fragt einer. «Ein Lügner und ein Dieb ist er», empört sich die sechsfache Mutter und Polizistenwitwe Aminata*. Der Unmut gegen den Präsidenten ist weitverbreitet. Allerdings kommt er keinem Konkurrenten zugute, da kaum jemand auf Veränderungen durch die Politik hofft: Die Hälfte der rund sechzehn Millionen EinwohnerInnen Malis lebt unter der Armutsgrenze. Viele versuchen auszuwandern.

Die nach wie vor instabile Lage im Norden stand im Mittelpunkt der Rede von Ibrahim Boubacar Keïta. Erneut versuchte er, die Hoffnung auf Frieden wach zu halten: Am 20. Juni war in der Hauptstadt Bamako ein fadenscheiniges Friedensabkommen unterzeichnet worden, das den Konflikt zwischen den Tuaregkämpfern und der Regierung hätte beilegen sollen. Allerdings wurde die Einigung von einem Grossteil der Tuareg nicht mitgetragen (siehe WOZ Nr. 26/2015 ). Die Dschihadisten fühlten sich ebenfalls nicht daran gebunden und verstärkten ihre Attacken, die im Juni erstmals bis an die südliche Grenze zur Elfenbeinküste getragen wurden. Spätestens seit auch die Milizen der Tuareg wieder an verschiedenen Schauplätzen kämpfen, gilt das Abkommen als gescheitert. Letztere sprechen von «nationaler Befreiung»: Das von ihnen als «Azawad» bezeichnete Land soll von Mali unabhängig werden. Problematisch ist dabei, dass die Tuareg in Gesamtmali zwei, im Norden nur zwanzig Prozent der Bevölkerung ausmachen. Allein schon deshalb erscheint die Bildung eines «Tuaregstaats» höchst problematisch.

Uralte Ressentiments

Die TuaregseparatistInnen und die Dschihadisten sind heute, anders als 2012, zwar nicht mehr verbündet und kämpfen phasenweise auch gegeneinander. Doch nach wie vor bestehen Geschäftsbeziehungen zwischen ihnen – insbesondere im lukrativen Handel mit Drogen, Waffen und Geiseln quer durch den teilweise rechtsfreien Raum der Sahara.

«Diesen Hellhäutigen im Norden, die mit ihren Waffen ständig Probleme bereiten, kann man nicht trauen», sagt Aminata. «Sie sind Nachfahren von Sklavenhaltern. An ihrer Einstellung gegenüber uns Schwarzen und Leuten aus dem Süden hat sich nichts geändert.» In der alten Zeit des Handels mit Karawanen hielten die meisten Tuareg und Mauren Haus- und Feldsklaven. «Viele ihrer Hausangestellten werden nach wie vor wie Sklaven behandelt», so Aminata. Tatsächlich gibt es im Norden Malis, wo eher hellhäutige Wüsten- und dunkelhäutige Ackerbaubevölkerungen wohnen, nach wie vor viel Unterdrückung. So erklärte die Regierung Malis letztes Jahr, sie werde Massnahmen ergreifen, um das gesetzliche Verbot der Sklaverei effektiv durchzusetzen.

Eine grosse Wut auf die Separatisten haben auch die «Loyalisten», die für den Zentralstaat eintretenden Milizen, die sich unter dem Namen «Republikanische Plattform» zusammengeschlossen haben. Mitte August griffen sie in Eigenregie die von sezessionistischen Tuareg eroberte Stadt Anefis im Nordosten Malis an. Bei den daraufhin aufflammenden Kämpfen starben mindestens zwanzig Menschen. Staatspräsident Keïta forderte die «Plattform» mehrfach auf, die von ihr gehaltenen Stellungen zu räumen. Nach langen Verzögerungen erfolgte der Abzug der «loyalistischen» Milizen an diesem Dienstag. Unterdessen mischen diese sich unverhohlen in die Politik ein und fordern die Verschiebung der für Oktober geplanten Regionalwahlen.

* Name geändert.