Multicheck: Die Suche nach Fähigkeiten im grossen Zahlenwust

Nr. 38 –

Die private Firma Multicheck betreibt für viele Schweizer Unternehmen eine Vorselektion bei der Lehrlingssuche. Die Qualität der Testergebnisse ist wissenschaftlich umstritten, die Berechnungsgrundlage undurchsichtig.

Immer mehr Lehrstellensuchende müssen da durch: Viele Firmen verlangen, dass mit den Bewerbungsunterlagen die Resultate eines sogenannten Multichecks eingereicht werden. Dieser muss auf eigene Rechnung in einem «Testcenter» der Firma Multicheck absolviert werden und dauert je nach gewünschter Berufsrichtung zwischen eineinhalb und vier Stunden. Über 30 000 Stellensuchende haben innerhalb eines Jahres einen solchen Test absolviert, heisst es bei der Firma Multicheck. Bezahlt haben sie dafür zwischen fünfzig und hundert Franken.

Nur wenige Tage nach dem Test bekommen die ProbandInnen das Resultat per Post. Ein Zahlenwust und die klare Ansage, ob die abgelieferte Leistung «ausreichend» ist, können Berufswünsche schon vor der ersten Bewerbung zunichtemachen. Pech für Leute mit Prüfungsängsten oder jene, die mit dieser spezifischen Testform am Computer aus anderen Gründen nicht klarkommen. Denn der Test wird von den Firmen oft genutzt, um diejenigen ausscheiden zu können, die nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden. Entsprechend ist der Multicheck zu einem wichtigen Selektionsinstrument geworden und die Vorbereitung darauf zu einem lukrativen Markt für Lernstudios und Privatschulen. Die Preise bewegen sich dabei zwischen 150 Franken (zwei Lektionen Gruppenunterricht) und rund 1500 Franken (zehn Lektionen Einzelunterricht). Die Kurse haben offenbar regen Zulauf. So sagt Susanna Roshardt von der Firma Lern-Forum, dass ihre drei Sommerkurse mit zehn Lektionen in fünf Tagen voll belegt waren. Kostenpunkt pro Person: 510 Franken.

Versprechen im Wirrwarr

«Wir verlangen den Multicheck, weil die Vergleichbarkeit der Schulzeugnisse nicht gegeben ist», sagt Pierre Marville, oberster Lehrlingsverantwortlicher bei der Schweizerischen Post, mit rund 2000 Lehrlingen nach Migros und Coop der drittgrösste Lehrbetrieb in der Schweiz. Tatsächlich verfügt jeder Kanton über sein eigenes Schulsystem. Zudem sind Zeugnisnoten von vielen Zufällen bestimmt (vgl. «Dramatische Verfälschungen» ). Der Multicheck verspricht in diesem Wirrwarr eine «standardisierte Bewertung» mit einer «Durchführungsobjektivität», so Multicheck-Geschäftsleiter Adrian Krebs.

Kann ein Schnelltest schaffen, was Schulnoten nicht gelingt? Daniel Jungo ist skeptisch. Der Diagnostikverantwortliche des Stadtzürcher Laufbahncenters betont, dass so ein Test immer nur etwas zur Leistung einer Person zu einem bestimmten Zeitpunkt aussagt. Es müsse um eine Gesamtbeurteilung gehen. Lehrlingsselektion sei eine «Mosaikarbeit». Das Interesse am Beruf sei dabei von sehr grosser Bedeutung. Das misst der Multicheck überhaupt nicht. In einer zweiten Selektionsstufe wird denn etwa bei der Post auch primär auf das Bewerbungsgespräch und das Verhalten in der Schnupperlehre geachtet.

Jungo hat gegenüber dem Multicheck auch wissenschaftliche Vorbehalte: Anders als beim Konkurrenztest Basic-Check (den Jungo als unabhängiger Experte prüft) fehle ein öffentlich zugänglicher Bericht zur Berechnungsgrundlage des Multichecks. Das widerspreche allgemeingültigen Standards. «So kann wissenschaftlich nichts belegt werden», kritisiert Jungo. Eine Einschätzung, die auch von Jungos KollegInnen in der Fachgruppe Diagnostik des Schweizerischen Dienstleistungszentrums Berufsbildung (eine Institution der Erziehungsdirektorenkonferenz) geteilt wird.

Adrian Krebs reagiert auf Kritik von aussen ungehalten: «Tatsache ist, dass der Multicheck in den letzten Jahren einen höheren Stellenwert bekommen hat. Berufsbildner erhalten anhand der Zertifikate wichtige Zusatzinformationen für die Rekrutierung.» Der Multicheck messe die «Eignung eines Bewerbers für den Beruf», sagt Krebs. Er räumt allerdings ein, dass auch die Tagesform das Resultat eines Tests beeinflusst. Deshalb dürfe der Test einmal pro Jahr wiederholt werden. Dass seine Firma die Berechnungsgrundlage nicht veröffentlicht, rechtfertigt Krebs damit, dass die Firma in Konkurrenz zu anderen Anbietern stehe. Aber: «Interessierte Berufsbildnerinnen und Berufsbildner erhalten im Rahmen der regelmässig stattfindenden Informations- und Weiterbildungsveranstaltungen einen tiefen Einblick in die wissenschaftlichen Grundlagen der Multicheck-Eignungsanalysen.»

Auch den Einwand, mit Privatstunden könne man sich auf den Test vorbereiten, was andere benachteilige, lässt Krebs nicht gelten. «Wer regelmässig Schulstoff trainiert, kann sich im Bereich Schulwissen sicher verbessern. Die Multicheck-Eignungsanalysen messen aber vor allem das Potenzial und die berufsspezifischen Fähigkeiten. Hier bringt kurzzeitiges Üben keine sichtbare Verbesserung.»

Dem widerspricht Susanna Roshardt von der Firma Lern-Form: «Bei vielen Fragen geht es um den grundlegenden Schulstoff, der geübt werden kann. Und bei anderen Fragen, etwa im Bereich Logik, kann man trainieren, auf was zu achten ist.» Auch seien die Fragen in solchen Tests immer wieder dieselben, sie könnten durchaus trainiert werden. Der Multicheck sei eigentlich «ziemlich doof».

Schulnoten aussagekräftiger

Dass der Multicheck den späteren Erfolg in der Berufsschule voraussagen kann, wird auch in einer wissenschaftlichen Untersuchung angezweifelt. In seiner Masterarbeit hat der Ökonom Michael Siegenthaler die Berufsschulnoten von Lehrlingen mehrerer Migros-Genossenschaften mit ihren einstigen Schulzeugnisnoten sowie ihrem Multicheck-Test verglichen. Seine Schlussfolgerung: Die Volksschulnoten sind wesentlich aussagekräftiger als der Multicheck. Dieser erlaube es kaum, Voraussagen über den Erfolg in der Lehre zu machen.

Adrian Krebs stellt die Wissenschaftlichkeit der Arbeit von Siegenthaler nicht infrage, hält aber fest, dass er dessen Schlussfolgerungen daraus nicht teile. Er verweist zudem auf eine neuere Masterarbeit des Psychologen Carlo Capaul, der zu anderen Resultaten gekommen sei. Capaul arbeitet allerdings inzwischen selber bei Multicheck. Ausserdem kommt Capaul in seiner Arbeit, in der er die Berufsschulnoten von Informatiklehrlingen mit ihrem Multicheck-Test verglichen hat, zu keinen eindeutigen Ergebnissen. Denn ausgerechnet bei den Noten im ersten Lehrjahr der Informatiklehrlinge fand er keine Übereinstimmung zu den Multicheck-Resultaten. Erst die Noten im zweiten Lehrjahr zeigen ähnliche Resultate.

Aufgrund der Arbeit von Siegenthaler hat die Migros-Genossenschaft Aare inzwischen den Multicheck als «obligatorisches Selektionsinstrument» abgeschafft, wie Pressesprecherin Andrea Bauer sagt. Zur Vorauswahl würden nur noch ein Motivationsschreiben, der Lebenslauf und die Zeugniskopien der letzten beiden Schuljahre verwendet sowie allfällige Berichte von absolvierten Schnupperlehren.

Pierre Marville von der Post sagt, er sei sich der Defizite des Multichecks durchaus bewusst. Ein schlechtes Testresultat allein sei bei der Post denn auch kein Ausschlussgrund. «Wenn jemand ein schlechtes Multicheck-Resultat abliefert, aber gute Schulnoten hat, suchen wir das Gespräch mit dem Klassenlehrer. Wir möchten dann wissen, weshalb es zu dieser Diskrepanz gekommen ist. Es gibt sicher Jugendliche, die einfach etwas gar zu lässig an den Test gehen und ihn dann verhauen.»