IV-Sanierung auf Kosten der Frauen: Zusätzliche Haushaltsstrafe

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Gemäss Bundesgesetz ist jede hierzulande wohnende Person gleichermassen invalidenversichert. Wird es dann aber konkret, wird das Recht auf eine angemessene Rente vielen teilweise oder gar ganz verwehrt. Leidtragende sind überwiegend teilzeitbeschäftigte Frauen, die nach der Geburt eines Kindes die Erwerbsarbeit reduziert haben.

Die Ungleichbewertung von bezahlter und unbezahlter Arbeit ist keineswegs das Resultat irgendeiner Sparmassnahme. Sie basiert vielmehr auf einer bundesgerichtlich legitimierten Invaliditätsbemessung. Zwar hat der Bundesrat in einer Antwort auf einen parlamentarischen Vorstoss anerkannt, dass Teilzeiterwerbstätige dadurch benachteiligt werden. Als Grund dafür, dieses Unrecht bis auf weiteres nicht beheben zu wollen, nannte er den Auftrag, die IV zu sanieren.

Wie hoch der Preis ist, den er dafür in Kauf nimmt, verdeutlicht nun ein Entscheid des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Strassburg. Das Gericht folgt dabei der Klage einer 39-jährigen Frau, die 2009 in Strassburg mit Unterstützung des Behindertenverbands Procap Beschwerde einreichte: Nachdem die Verkäuferin wegen Rückenproblemen zunächst noch eine halbe IV-Rente erhalten hatte, wurde ihr Invaliditätsgrad nach der Geburt von Zwillingen neu nach der Methode berechnet, die bei Teilzeiterwerbstätigen mit Haushaltspflichten angewendet wird. Darauf wurde der Grad ihrer Invalidität nur noch mit 27 Prozent bewertet, und die Frau erhielt überhaupt kein Geld mehr – für eine Rente wird ein Invaliditätsgrad von mindestens 40 Prozent verlangt.

Procap verspricht sich vom Urteil eine «Signalwirkung» für alle Teilzeiterwerbstätigen in der Schweiz, die wegen einer Behinderung ihr Arbeitspensum nicht mehr voll ausüben können. Inwieweit und bis wann die bisherige, gemäss dem Strassburger Urteil diskriminierende Praxis korrigiert wird, bleibt abzuwarten. Der beschwerdeführenden Frau muss der Bund 5000 Euro Genugtuung und 24 000 Euro für ihre Auslagen bezahlen.