Nahrungsmittelspekulation: Wenn der Bundespräsident übers Essen spricht

Nr. 5 –

Johann Schneider-Ammann stellt im Abstimmungskampf gegen die Spekulationsinitiative falsche Behauptungen auf. Dazu beruft er sich auf eine Studie eines ehemaligen Nahrungsmittelinvestors.

Johann Schneider-Ammann ist derzeit auf einer kleinen Tournee gegen die Juso-Initiative, die Wetten auf Essen verbieten will. Wo er auftritt, liest er holprig die Gegenargumente von seinem Spickzettel ab. Erstens: Die Wissenschaft beweise, dass Nahrungsmittelspekulation den Armen dieser Welt nicht schade, wie dies die Initiative behaupte. Zweitens: die Arbeitsplätze! Er wolle nicht den Teufel an die Wand malen, doch die Initiative gefährde Arbeitsplätze. Das ist platte Propaganda.

Doch der Reihe nach: Mit Nahrungsmitteln wird seit jeher gehandelt. Wenn ein Bauer irgendwo auf dieser Welt etwa Weizen anpflanzt, muss er wissen, wie viel er für sein Getreide am Ende erhalten wird. Nur so kann er berechnen, ob sich die Mühe lohnt. Dazu geht er ein Termingeschäft ein: Er macht mit seinem Abnehmer bereits im Voraus den Preis ab, zu dem er ihm Weizen liefern wird.

Seit Ende der neunziger Jahre drängen jedoch neue Akteure auf die Agrarmärkte: Banken, Hedgefonds und andere Spekulanten. Sie kaufen Terminverträge (Futures), die ihnen das Recht geben, zu einem späteren Zeitpunkt den Rohstoff zu einem bestimmten Preis zu kaufen. Dies, weil sie darauf hoffen, dass der Rohstoffpreis steigen wird. Trifft dies ein, gewinnt der Future an Wert, da er seinem Besitzer das Recht verleiht, unter dem Marktpreis zu kaufen. Kurz bevor der Kauf über die Bühne geht, verkaufen sie den Future weiter.

Hunger in der Zwischenzeit

Bei diesen Futures setzt die Kritik an, die seit Jahren immer lauter wird: Zwar ist unbestritten, dass es Frost, Dürren oder politische Exportbeschränkungen sind, die am Anfang von steigenden Agrarpreisen stehen. Die Spekulanten jedoch, die in solchen Situationen aufspringen, senden das Signal aus, dass die Preise weitersteigen werden. Darauf erhöhen sich die Preise weiter, da andere Marktakteure versuchen, sich noch möglichst rasch mit dem Rohstoff einzudecken.

In den Jahren 2007 und 2008 sowie 2011 kam es zu enormen Preissprüngen. Weltweit tobten Hungerkrisen, 150 Millionen Menschen litten zusätzlich an Unterernährung. Dies in einer Welt, in der ohnehin bereits 800 Millionen Männer, Frauen und Kinder zu wenig zu essen haben. Irgendwann kommen die Preise wieder herunter. In der Zwischenzeit nagte jedoch der Hunger. Für manche brachte er gar den Tod.

Das ist der Hintergrund, vor dem die Juso zusammen mit einer breiten Allianz von Parteien, NGOs und Kirchen die Initiative «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln» lancierte, die Ende Februar an die Urne kommt. Die Forderung: In der Schweiz ansässigen Investoren soll das Wetten auf Essen verboten werden. Absicherungsgeschäfte wären allerdings vom Verbot ausgenommen.

Massgeschneiderte Studie

Um seine These zu untermauern, streckte Schneider-Ammann in der TV-«Arena» eine Grafik in die Kamera, die aufzeigt, wie die Nahrungsmittelpreise seit der Ölkrise 1973 gefallen sind. Das, so der Minister, sei das Verdienst der Spekulanten. Ein kompletter Unsinn. Wenn er seine eigene Botschaft zur Initiative gelesen hätte, wüsste er, dass die Spekulanten erst Ende der neunziger Jahre in die Agrarmärkte eingefallen sind. An dem Punkt, an dem auf seiner Grafik die Preise erneut stark zu schwanken beginnen.

Weiter beruft sich Johann Schneider-Ammann auf eine Untersuchung der Universität Basel und der Hochschule Luzern, die hundert andere Studien zum Thema ausgewertet hat. Ihr Fazit, das Wirtschaftsminister Ammann überall zitiert: 79 Prozent der Untersuchungen würden keinen oder gar einen abschwächenden Effekt auf Preisschwankungen nachweisen. Abgesehen davon, dass sich diese 79 Prozent auf Studien zu Rohstoffen insgesamt beziehen (die Zahl für einzelne Nahrungsmittel liegt weit höher), ist die Untersuchung wissenschaftlich gesehen eine Zumutung: Die AutorInnen geben keinerlei Begründung, wie sie die Studien ausgewählt haben. Warum etwa eine kritische Studie der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung fehlt, bleibt offen.

Vielleicht sollte man beim Lesen der Studie wissen, dass Heinz Zimmermann, der sie (zusammen mit seiner ehemaligen Doktorandin Yvonne Seiler Zimmermann) verfasst hat, bis 2013 Partner der Firma CYD war, eines nach eigenen Angaben führenden Anbieters von Anlagestrategien in Rohstoffderivaten. Das sind Zustände wie in einer Bananenrepublik.

Tatsächlich sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Nahrungsmittelspekulation nicht eindeutig. Es spricht allerdings etliches dafür, dass sie Preisschwankungen verursacht. Erstens das Ausmass des Geschäfts: In den Jahren zwischen 2003 und 2013 stieg das Vermögen, das in Rohstoff-Futures investiert war, von 13 auf 430 Milliarden US-Dollar. Zweitens der Zustand der Finanzwissenschaft: In einer Wissenschaft, die massgeblich von Banken mitfinanziert wird und in der bis heute die Markteffizienzhypothese vorherrscht (nach der es Blasen gar nicht geben kann), ist es bemerkenswert, dass es überhaupt so viele kritische Studien gibt. Drittens die Erfahrung: Sieben Jahre nach einer der grössten Finanzkrisen, die die Welt je gesehen hat, sollte allen klar sein, dass Finanzmärkte ständig Blasen bilden.

Aufgrund eigener Studien kommen schliesslich unter anderem auch wichtige internationale Organisationen wie die Uno und die Weltbank zum Schluss, dass Spekulation mit Nahrungsmitteln zu Preisschwankungen und damit zu Hunger führt. Und selbst der Rohstoffhändler Glencore hielt in seinem Jahresbericht 2012 fest, dass «spekulative Aktivitäten» die Preise beeinflussen würden.

Dass der Bundespräsident trotzdem behauptet, es sei wissenschaftlich erwiesen, dass Spekulation «keine Auswirkung» auf die Nahrungsmittelpreise habe, grenzt an Irreführung der StimmbürgerInnen. Und das ist sehr höflich ausgedrückt.

Wird das Ziel erreicht?

Bleibt Schneider-Ammanns Warnung, die Initiative schade der Wirtschaft. Ein Produzent, so einer seiner Einwände, werde ohne Spekulanten kaum noch jemanden finden, der mit ihm ein Termingeschäft eingehe. Das stimmt kaum. Zum einen lässt die Initiative Spekulanten, die direkt mit Produzenten Absicherungsgeschäfte eingehen, explizit zu. Zum anderen gäbe es an den Börsen in London, Paris oder Chicago weiterhin genug andere Spekulanten – auch wenn das nicht im Sinn der InitiantInnen ist.

Weiter warnt Schneider-Ammann, dass die Trennung zwischen Spekulation und Absicherungsgeschäft beinahe unmöglich wäre und die Durchsetzung des Verbots zu einer «riesigen Bürokratie» führen würde. Dies würde zusammen mit der Abwanderung von Investoren zum Verlust von Arbeitsplätzen führen. Das ist weit übertrieben. Die Unterscheidung zwischen Spekulation und Absicherung haben die USA bereits geregelt. Und die Durchsetzung des Verbots wäre, verglichen mit den Auflagen, die die Finanzaufsichtsbehörde Finma bereits heute überwacht, gut machbar.

Vom Verbot direkt betroffen wären vor allem die Spekulationsabteilungen, die die hiesigen Rohstoffhändler aufgebaut haben, sowie die Banken. Wie stark, ist angesichts deren mangelnder Transparenz schwer abzuschätzen. Allerdings dürften sich die Auswirkungen in Grenzen halten: Etliche Banken sowie die AHV haben sich bereits wieder aus dem Geschäft verabschiedet; die Zürcher Kantonalbank besitzt gerade mal eine Vollzeitstelle für diese Sparte. Auch Gewerkschaftsökonom Daniel Lampart schätzt, dass sich die Arbeitsplatzverluste «in engen Grenzen» halten würden.

Ein weltweites Problem

Die Schwäche der Initiative liegt eher darin, dass sie für ein weltweites Problem auf eine nationale Lösung setzt: Wenn Schweizer Spekulanten nicht mehr an den Rohstoffbörsen handeln dürfen, bleiben dort Tausende andere Spekulanten. Eigene Rohstoffbörsen, die von der Initiative betroffen wären, hat die Schweiz keine. Allerdings haben die USA und die EU jüngst für Nahrungsmittelspekulanten sogenannte Positionslimiten beschlossen. Demnach dürfen sie nur noch eine bestimmte Menge an Rohstoffpapieren halten, damit sie keine zu grossen Preisschwankungen auslösen können.

Auch das Schweizer Parlament hat dem Bundesrat kürzlich die Kompetenz erteilt, Positionslimiten einzuführen. Dieser macht jedoch keine Anstalten, dies zu tun. Mit einem Ja zur Spekulationsinitiative würde die Schweiz zu den USA und der EU aufschliessen. Und darüber hinaus eine kleine Pionierrolle einnehmen.